Herr Ermisch, das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in den Nordkaukasus und spricht von einer erhöhten Sicherheitsgefährdung. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet mit Tschetschenien einen Kooperationsvertrag zu schließen?
Ich hatte bereits vor einigen Jahren die Gelegenheit, mit dem Freundschaftszug verschiedene Städte in Russland zu besuchen. Im letzten Jahr gab es dann die Freundschaftsfahrt. Dabei habe ich sehr viel von Tschetschenien gehört und wollte einfach mehr über dieses Land wissen.
Wie haben Sie Zugang zum Tourismusminister bekommen?
Unsere Reiseagentur ist bereits Repräsentant für St. Petersburg. Und die Stadt hat einen Vertrag mit der tschetschenischen Hauptstadt Grosnyj. Das brachte uns auf die Idee, unsere Aktivitäten auf den Nordkaukasus auszuweiten. Deshalb habe ich mir mit meinem Geschäftspartner Eduard Klein vor Ort ein Bild gemacht und mit den Kollegen in St. Petersburg anschließend Vorgespräche über das Projekt geführt. Diese haben uns dann Kontakte vermittelt, über die wir schließlich an den Tourismusminister Muslim Bajtasijew gekommen sind. Wir werden bald wieder nach Tschetschenien reisen, um unsere Idee vor Ort zu vertiefen.
Kann man St. Petersburg und Tschetschenien als Tourismusdestination vergleichen?
Nicht ganz. Es gibt schon einige Unterschiede. Tschetschenien ist eine muslimische Republik mit ihren Gesetzen und Traditionen, die sich von anderen russischen Gegenden unterscheiden. Ich würde die Unterschiede als teilweise spezifisch, aber nicht unüberwindbar bezeichnen. Aber Tschetschenien will sich öffnen und wir unterstützen das Land dabei. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen das wahrnehmen werden.
Wie nimmt man den Menschen die Angst vor Tschetschenien? Ist diese überhaupt berechtigt?
Viele Menschen haben noch die Bilder aus den 90ern im Kopf, den Krieg. Ich bin selbst kurz vor meiner Einberufung in die russische Armee nach Deutschland gekommen. Sogar viele Russen haben bis heute Angst, nach Tschetschenien zu reisen. Jetzt habe ich das Land selbst als Tourist und nicht als Soldat erfahren. Und ich möchte dieses Bild weitertragen, es gibt ja schließlich kaum welche. Diejenigen, die aber ins Land reisen, bringen viele schöne Bilder mit.
Es ist schon eine Art Mission für mich. Der Kaukasus verdient es, wiederentdeckt zu werden, denn die Region entwickelt sich rasant. Es gibt halt Menschen, die sich darauf einlassen und einen gewissen Rest, der immer Angst haben wird. Diese Leute sind selbst schuld. Ich kann nur sagen „Reisen bildet“.
Konnte Tschetschenien von der Fußball-Weltmeisterschaft profitieren?
In der Wahrnehmung hat die Fußball-Weltmeisterschaft Tschetschenien viel gebracht. Man muss aber sagen, dass es sehr schade ist, dass aus Deutschland sehr wenig Gäste nach Russland gekommen sind. Da wurde sicher vorher medial einiges falsch dargestellt. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass in Grosnyj bei der Fußball-Weltmeisterschaft einige Spiele stattgefunden hätten. Dadurch wäre sicher einiges an positiver Außenwirkung erzeugt worden. Aber wenn es der Weltfußballverband nicht schafft, sind wir am Zug.
Für wen wollen Sie die Reisen anbieten?
Da gibt es sehr viele Klischees. Man könnte meinen, dass nur Abenteuerlustige auf die Idee kommen, nach Tschetschenien zu reisen. Ich gebe zu, dass manches momentan noch ein wenig abenteuerlich ist. Was die lokalen Reiseleiter anbelangt ist Englisch schon weit verbreitet, Deutsch hingegen noch ein Problem. Aber die Infrastruktur ist im Land mittlerweile so gut ausgebaut, dass auch der Durchschnittstourist keine Überraschungen erlebt. Die ersten Touren sind bereits ausgearbeitet und werden demnächst auf unserer Homepage veröffentlicht. In Zukunft wollen wir Rundreisen durch den Nordkaukasus anbieten, also in die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan.
Wie viel Geld müssen die Touristen einplanen?
Tschetschenien ist generell eine sehr günstige Destination. Ein Vier-Sterne-Hotel gibt es beispielsweise bereits für 30 Euro pro Nacht. Auch Verpflegung und Fahrkosten sind vor Ort sehr günstig. Eine Woche Urlaub ist so bereits für 400 bis 500 Euro zu haben.
Es ist aber schwierig vorauszusagen, wie lange es dauern wird, bis Tschetschenien auf der touristischen Landkarte eine Rolle spielt. Ein paar Jahre wird es sicher dauern. Erfreulicherweise gibt es bereits erste Anfragen. Hier höhlt der stete Tropfen den Stein.
Sind Sie jetzt Deutschlands exklusiver Reiseanbieter für Tschetschenien?
Nein. Wir wollen Tschetschenien helfen, seine Produkte besser darzustellen und den Touristenfluss zu vergrößern. Wir verstehen uns als Informationszentrum, in dem wir Prospekte und Beratung aus einer Hand bieten. Es gibt sicher viele Menschen, die Tschetschenien als Reiseziel reizen würde. Aber sie wissen nicht, an wen man sich wenden kann.
Kann man demnächst direkt von Leipzig nach Grosnyj reisen?
Momentan gibt es Direktflüge nur von München. Aber das deutsche Interesse ist in Russland bekannt und die Flüge von Pobeda werden gut angenommen. Es ist schon ein großer Wunsch, Leipzig zu einem Drehkreuz für Russlandreisen zu machen. Wir befinden uns momentan in Gesprächen mit dem Flughafen, denn letztendlich fällt der die Entscheidung. Ich bin mir aber sicher, dass es irgendwann auch Direktflüge von Leipzig nach Grosnyj geben wird.
Die Fragen stellte Daniel Säwert.
Tourismus in Tschetschenien
Nach Angaben der Analyseagentur TurStat verbrachten im Jahr 2017 56,5 Millionen Menschen ihren Urlaub in Russland. Davon waren 24 Millionen ausländische Gäste. Nach Tschetschenien kamen 130000 Menschen, darunter 15000 Ausländer. Das waren 50000 mehr als noch 2016. Innerhalb Russlands belegt Tschetschenien damit Platz 66 unter den beliebtesten Tourismusregionen. Im Nordkaukasus hat lediglich Inguschetien weniger Touristen zu verzeichnen.
Um mehr Gäste von einem Urlaub in Tschetschenien zu überzeugen, setzt das Tourismusministerium in erster Linie auf naturnahe Erholung. Aus- gebaut wurde in diesem Jahr das Angebot in den Bereichen Offroad-Tourismus, Paragliding, Rafting, Mountainbiking und Fahrradtouren. Aber auch Wochenendausflüge, bei denen man die lokale Küche kennen- lernen kann, sollen mehr Menschen ins Land bringen