Trekking im Altai: Zu Fuß zum „Champion der Schönheit“

MDZ-Autor Christoph Ehrle hat sich einen Traum erfüllt: Mit einer zwölfköpfigen Wandergruppe hat er sich in die Wildnis des Altai-Gebirges aufgemacht, mit Zelt und Lastenpferd, fernab von Straßen und Handynetz. Was er bei der Trekking-Tour erlebt hat, schildert er in seinem Bericht.

Trekking im Altai
Bilderbuchlandschaft: der Fluss Schawla mit dem Nördlichen Tschuja-Kamm im Hintergrund (Foto: Christoph Ehrle)

Der Traum vom wilden borealen Nadelwald, ursprünglicher Taiga und Tundra, türkisfarbenen Bergseen mit schneebedeckten Gipfeln, frischer Luft und rauschenden Gebirgsbächen begleitet mich schon seit meiner Jugend. Solche unberührten Naturlandschaften gibt es nur noch wenige auf dieser Welt und so entschied ich mich aus Neugierde, zu einem Altai-Abenteuer aufzubrechen. Das Altaigebirge liegt im Süden Westsibiriens, etwa 3800 Kilometer östlich von Moskau im Vierländereck Russland, Kasachstan, Mongolei und China, bis wohin sich die nördlichsten Ausläufer der zentralasiatischen Hochgebirge ziehen. Mit Gipfeln bis knapp 4500 Meter hat der Altai Hochgebirgscharakter.

Von Moskau ging es mit dem Flieger nach Barnaul, der Hauptstadt der russischen Region Altai, die sich 200 Kilometer südöstlich von Nowosibirsk befindet. Von dort brachte ein Shuttlebus unsere Wandergruppe zu unserem Ausgangspunkt, dem Dorf Tschibit. Dabei ging es rund 600 Kilometer über den Tschujatrakt, die einzige befahrbare Nord-Südverbindung. Der Tschujatrakt war einst ein Seitenarm der chinesischen Seidenstraße, auf der Tee von China nach Russland transportiert wurde.

15 Kilo Gepäck auf den Schultern

Der „National Geographic“ listet die Straße als eine der zehn schönsten der Welt, was ich nur unterstreichen kann. Das Umland von Barnaul bis nach Gorno-Altaisk, der Hauptstadt der autonomen Republik Altai, ist von Flachland geprägt. Von Gorno-Altaisk in Richtung Süden ist man umgeben von Bergen, passiert die Flüsse Katun und Tschuja und mehrere Gebirgspässe, deren höchster der Seminkij-Pass mit 1800 Metern ist. Mit Jetlag und großer Vorfreude saß ich schlaftrunken im Bus und ließ die tollen Ausblicke auf mich wirken.

Neben den klassischen Wander­utensilien wie Schlafsack, Zelt, Trekkingschuhen und Klamotten ließ ich, wie mit unserem Wanderführer ausgemacht, zehn Liter frei für Lebensmittel. Mit über 15 Kilo und zusätzlichen Wasserreserven war mein Rucksack nicht gerade leicht.
Ziel unserer Wanderung waren die Schawlinskij-Gletscherseen, von unserem Ausgangspunkt Tschibit rund 35 Kilometer entfernt. Der berühmte sowjetische Mathematiker und weitgereiste Alpinist Boris Delone bezeichnete die Seen als „Champion der Schönheit“. Mehre Expeditionen führten ihn in den Kaukasus, die schweizerischen, französischen, österrei­chischen und italienischen Alpen. Seinen Aussagen zufolge hat er dort nichts Vergleichbares gesehen.

Kein Wanderweg im deutschen Sinne

Die Seen sind über provisorische Wanderwege nur zu Fuß oder mit dem Pferd erreichbar, es führt keine Straße hin. Unsere Wandergruppe bestand aus zwölf erfahrenen Teilnehmern aus ganz Russland. Am ersten Tag startete unsere Wanderung am Fluss Tschuja, nach dem auch der Tschujatrakt benannt ist. Die eindrucksvolle Aussicht und die Taiga mit ihren prächtigen Lärchen- und Kieferbäumen machten die steilen Anstiege mit dem schweren Rucksack wieder wett. Aufgrund des unwegsamen Geländes wird selbst mit Pferden keine Forstwirtschaft betrieben, was sich in der Ästhetik des Waldes niederschlägt.

Trekking im Altai
Alles dabei: rund 15 Kilo Gepäck hatte jeder der Teilnehmer zu schleppen. (Foto: Christoph Ehrle)

Aus deutscher Sicht sieht der Wald durch das viele Totholz ein wenig unaufgeräumt aus, der Wald darf hier jedoch Wald sein. Der „Wanderweg“ war auch kein Wanderweg im deutschen Sinne, sondern vielmehr ein Wildnispfad mit reichlich Wurzelstöcken, Steinen und immer wieder querliegenden Bäumen. Nach den ersten 16 Kilometern schlugen wir an einer Waldlichtung unsere Zelte auf und ließen den Tag nach dem gemeinsamen Essen am Lagerfeuer ausklingen. Roman, unser Wanderführer, hat beim gemeinsamen Teetrinken angesprochen, dass es keine Bergrettung gibt und auch keinen Hubschrauber, der uns im Notfall evakuieren könnte. Handyempfang ebenfalls Fehlanzeige. Das einzige Transportmittel sind Pferde, die uns im Notfall zurück ins Dorf bringen könnten.

Vorsicht, Bär!

Obwohl wir Deutschen ja dazu neigen, uns gegen jedwede Eventualitäten abzusichern, dachte ich mir innerlich, „wird schon werden“. Am nächsten Morgen hat ein Teilnehmer unweit unseres Nachtlagers frische Bärenlosung gefunden, was Roman nicht besonders verwundert hat. Mit sibirischer Gelassenheit und einem Lächeln auf den Lippen sagte er: „Ja, Bären leben hier übrigens auch“. Nachdem wir uns am nächsten Tag nach dem Frühstück am eiskalten Bergbach frisch gemacht und unsere Wasserreserven aufgefüllt haben, ging es mit gesatteltem Rucksack weiter.

Zunächst steil bergauf bis zu einem Hochplateau mit Weidetieren, wo wir an einer Holzhütte vorbeikamen, was mich an das Allgäu erinnerte. Der Milchbauer verbringt dort die Sommermonate und verkauft neben selbstgemachten Teigkrapfen Milch und Ayran. Nach einer Stärkung liefen wir weiter auf dem Plateau, von dem sich weitreichende Ausblicke eröffneten. Die Vegetation änderte sich und war geprägt von Tundra-Landschaft mit Zwergkiefern und Sträuchern.

Beeindruckendes Naturschauspiel

Die nächste Nacht verbrachten wir direkt am Fluss Schawla, zwei Stunden Fußmarsch von unserem Ziel entfernt. Der Himmel war nachts sternenklar und nach Sonnenuntergang wurde es recht frisch. Mit Wollmütze kuschelte ich mich in den Schlafsack und schlief durch die körperliche Anstrengung tagsüber im Handumdrehen ein. Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, hörte ich als Erstes das Rauschen des Flusses und wurde überrascht, dass draußen alles voller Raureif war. Nach mehreren Bergpässen sind wir am frühen Nachmittag an unserem dritten Wandertag am unteren der Schawlinskij-Gletscherseen angekommen.

Das türkisfarbene Wasser und die weißen Gipfel des Tschuja-Kamms übertrafen meine Erwartungen bei weitem. In Verbindung mit der strahlenden Mittagssonne war das ein unbeschreibliches Naturschauspiel. Ich musste sofort an die Worte von Boris Delone denken.

Christoph Ehrle

Trekking im Altai
Am Ziel: der Autor am Ufer des unteren Schawlinskij-Sees (Foto: privat)
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