Belarus als Vorbild?

In Zentralasien schauen viele Menschen gespannt nach Belarus, wo seit Wochen gegen Alexander Lukaschenko protestiert wird. Denn das Ergebnis der Kraftprobe könnte auch auf Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan Einfluss haben.

„Hau ab!“ – Noch deutlicher könnten die Protestierenden in Belarus ihre Wut auf Alexander Lukaschenko nicht herausschreien. Und sie werden gehört. Im Westen Europas ebenso wie in Russland und den anderen Ländern der ehemaligen Sowjet­union. Vor allem die Menschen in Zentralasien verfolgen mit Spannung die Demonstrationen. „Was jetzt in Belarus passiert, könnte in fünf Jahren auch in Kasachstan geschehen“, sagt eine junge Kasachin in Almaty. In dem hippen Café im Stadtzentrum, wo sie sitzt, ist sie nicht die einzige, die auf einen friedlichen Machtwechsel hofft. „Ich habe Verwandte in Belarus“, erzählt eine andere Frau. „Ich fiebere mit dem Land, mache mir aber auch Sorgen.“

„Chochu Peremen“ von Wiktor Zoi ist die Hymne der belarussischen Proteste. Im kasachischen Almaty haben Sympathisanten eine Statue des Sängers in die Fahne der belarussischen Opposition gehüllt. (Foto: Facebook/Temir Khan)

Mitfiebern in Kasachstan

Doch nicht nur die einfachen Menschen schauen, was 3000 Kilometer entfernt vor sich geht. Auch die autoritär regierenden Präsidenten Zentralasiens sehen sich genau an, wie Lukaschenko auf die Proteste reagiert und sich Russland verhält. Sollten die Demonstranten in Belarus erfolgreich sein und einen politischen Wandel herbeiführen, könnte das auch die hiesige Bevölkerung dazu bewegen, ihre Rechte einzufordern.

Nicht umsonst haben sich die meisten Staatsoberhäupter Zentralasiens beeilt, Lukaschenko gleich am Tag nach der Wahl zum Sieg zu gratulieren. Der kasachische Politologe Galym Ageleuow bestätigt die Befürchtungen der Präsidenten. In einem Interview mit dem US-Sender „Nastojaschtschee Wremja“ sagt er, es könne in Kasachstan durchaus zu einer ähnlichen Situation wie in Belarus kommen. „Die Menschen sind müde vom Jelbassy.“ „Jelbassy – Führer der Nation“ ist der offizielle Titel von Nursultan Nasarbajew, der trotz seines Rücktritts vom Präsidentenamt weiterhin die politischen Zügel in der Hand hält.

„Zudem ist wie in Belarus der wirtschaftliche Abschwung deutlich zu spüren.“ Allerdings sei die Zivilgesellschaft in Kasachstan weit weniger entwickelt, fügt er hinzu. Die Erinnerungen an das vergangene Jahr sind noch frisch. Als nach den Präsidentschaftswahlen im Juni dem jetzigen Amtsinhaber Qassym-Schomart Toqajew mehr als 70 Prozent der Stimmen zugesprochen wurden, protestierten Tausende Menschen in ganz Kasachstan gegen das Ergebnis. Die Polizei reagierte mit Massenverhaftungen. Die Proteste dauerten trotzdem an und wurden erst durch den Beginn der Corona-Pandemie gestoppt.


Dschamilja Maritchewa, Journalistin, Kasachstan

„Dass Proteste zu Veränderungen führen können, zeigt das Beispiel Kirgistan. Schon zwei Mal stürzten die Menschen einen autoritär regierenden Präsidenten in dem Land. Im Herbst stehen nun Parlamentswahlen an. Der kirgisische Journalist Bektur Iskender schrieb auf Facebook: „Belarus, ich fiebere sehr mit euch mit. Ich werde nicht müde zu wiederholen: Wenn ihr Erfolg habt, wird das viele in unserem gemeinsamen postkolonialen Raum inspirieren.“


Revolutionsmüde Kirgisen

„Dass Proteste zu Veränderungen führen können, zeigt das Beispiel Kirgistan. Schon zwei Mal stürzten die Menschen einen autoritär regierenden Präsidenten in dem Land. Im Herbst stehen nun Parlamentswahlen an. Der kirgisische Journalist Bektur Iskender schrieb auf Facebook: „Belarus, ich fiebere sehr mit euch mit. Ich werde nicht müde zu wiederholen: Wenn ihr Erfolg habt, wird das viele in unserem gemeinsamen postkolonialen Raum inspirieren.“

Doch die Kirgisen wirken revolutionsmüde, denn ihr Mut, auf die Straße zu gehen, wurde nicht belohnt. Auf die Tulpenrevolution 2005 folgte ein weiterer Autokrat als Präsident. Im Frühjahr 2010 kamen Dutzende Menschen ums Leben, als die Regierung auf Demonstranten schoss. Der damals amtierende Präsident und auch sein Premierminister flohen aus Kirgistan – sie tauchten später in Belarus wieder auf. Die Übergangsregierung führte ein Referendum durch, in dem sich die Mehrheit für ein parlamentarisches Regierungssystem aussprach. Vielleicht muss das vorerst als Erfolg reichen, denn von der Aufbruchstimmung, die vor zehn Jahren herrschte, ist nicht viel übrig.


Asim Asimow, Politikkommentator, Kirgistan

„Nach den gebrochenen Versprechen von zwei Revolutionen sind die Menschen in Kirgistan enttäuscht und haben nur noch wenig Vertrauen in einen wirklichen Wandel und demokra­tische Reformen. Trotzdem unterstützen sie die belarussischen Proteste und stehen Alexander Lukaschenkos brutaler autoritärer Haltung kritisch gegenüber.“


Ruhe in Tadschikistan

Anders sieht die Situation in Tadschikistan aus, wo im Oktober ein neuer Präsident gewählt werden soll. Das ärmste Land der ehemaligen Sowjetunion ächzt unter der Wirtschafts- und Corona-Krise. So wie Lukaschenko ist auch Emomali Rahmon seit 1994 an der Macht. Bisher ist unklar, ob der 67-Jährige sich wieder zur Wahl stellt oder seinem Sohn Rustam Emomali den Vortritt lässt. Doch egal, wer von beiden kandidiert: Das Präsidentenamt wird in der Familie bleiben.

Auch wenn es in diesem Jahr bereits zu Kundgebungen kam: Größere Proteste sind unwahrscheinlich. „Nastojaschtschee Wremjatschee Wremja“ befragte Passanten in Duschanbe, ob Proteste wie in Belarus auch in Tadschikistan möglich seien. Einige zeigten sich solidarisch, andere fürchteten, dass das Land erneut in Chaos versinke. So wie nach dem Bürgerkrieg, der fünf Jahre lang herrschte. „Wir wollen einfach nur in Ruhe leben“, sagt eine Frau. Der Journalist Chairullo Mirsaidow erläutert, dass für eine erfolgreiche Revolution der Staatsapparat zu stark sei und es an einem Oppositionsführer fehle.


Firus Umarsoda, Videojournalist, Tadschikistan

„Die tadschikische Gesellschaft ist nicht an der aktuellen Situation in Belarus interessiert. Belarus ist weit weg und nur wenige Menschen wissen überhaupt etwas von den Protesten. Die staatlichen Medien berichten nicht darüber. Weder in der tadschikischen Gesellschaft noch im Staatsapparat ist etwas von einem Stimmungswandel zu spüren.“


Der Traum bleibt

Obwohl die Länder Zentralasiens in Aufruhr sind und ein gewisses Protestpotenzial zeigen, sieht es im Moment kaum danach aus, dass sie allzu bald dem Beispiel Belarus` folgen. Vielleicht hat die junge Frau in Almaty recht und Kasachstan ist in fünf Jahren so weit. Von einem friedlichen Machtwechsel träumen in Zentralasien zumindest schon jetzt so einig

Othmara Glas

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