Wo Moskau die Hauptrolle spielt

In der russischen Hauptstadt werden nicht nur die wichtigsten politischen Fragen des Landes entschieden, sondern auch zahlreiche Spielfilme, Krimis und Actionstreifen gedreht. Stadtführer sprechen von mindestens 125 bekannten Aufnahmeorten. Die MDZ stellt eine Auswahl der Film-Locations für eigene Erkundungen zu Fuß vor.

Iwanow-Hügel

Der Iwanow-Hügel ist der ideale Drehort für actionreiche Verfolgungsszenen. /Foto: photosight.ru

Die Gassen sind eng, kurvenreich und fallen ziemlich steil ab: Das Gebiet um den Iwanow-Hügel ist ein Traum für Regisseure, die actionreiche Verfolgungsjagden vor historischer Kulisse ins Bild setzen wollen.

Schon in den 80er Jahren jagten hier Oberst Alexej Sadtschikow und seine Gehilfen mit quietschenden Reifen und Blaulicht durch die insgesamt 15 kleinen Querstraßen des Viertels. Die Helden des sowjetischen Krimis „Petrowka 38“ waren in ihrem schwarzen Wolga einer mysteriösen Bande von Gaunern mit schwarzen Sonnenbrillen auf der Spur, die Moskau mit einer Serie brutaler Raubüberfalle in Atem hielt. In dem mittlerweile fast 40 Jahre alten Streifen verblüffte Regisseur Boris Grigorjew vor allem mit rasanten Verfolgungsszenen durch die tief hintereinander gestaffelten historischen Hinterhöfe des Viertels.

Auch mehrere Minuten eines der einflussreichsten Filme der jüngeren russischen Kinogeschichte spielen auf dem Iwanow-Hügel. In „Brat 2“ rast der ehemalige Soldat Danila Bagrow auf der Flucht vor der Mafia mit einem alten Lada einen der Hänge hinunter. Die mordlustigen Banditen trachten dem Filmhelden und seinem Bruder nach dem Leben und beharken das Duo ausgiebig mit einer knatternden Kalaschnikow.

Doch die knallharten Ganoven haben sich verrechnet: Kaltblütig lockt das ungleiche Geschwisterpaar die Killer in einen der zahlreichen Hinterhöfe und mäht die ganze Bande mit einem legendären Maksim-Maschinengewehr nieder, das es kurz zuvor aus einem Museum gestohlen hat.

WDNCh

ln „Der helle Weg“ schwebt die Heldin in einem magischen Auto über das Gelände der WDNCh. /Foto: yandex.ru.images

Mit seinen prachtvoll gestalteten Pavillons und einem großzügig angelegten Park stand das Ausstellungsgelände „WDNCh“ (Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft) einst für den ganzen Stolz der Sowjetunion.

Den eigenen Bürgern aber auch skeptischen Besuchern aus dem Ausland sollte auf dem Messegelände im Norden Moskaus eindrücklich die ganze Überlegenheit der sowjetischen Planwirtschaft vor Augen geführt werden. Zu diesem Zweck besaß jede Republik auf dem Gelände eine eigene Repräsentanz.

Typische Landwirtschaftsprodukte, aber auch Exponate aus Wirtschaft und Maschinenbau demonstrierten die jüngsten Erfolge des jeweiligen Gebietes. In der Nähe des Eingangs beeindruckt die Besucher auch heute noch die 24  Meter hohe Monumentalskulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ der sowjetischen Bildhauerin Wera Muchina.

Auch der sowjetische Film nutzte die WDNCh für ideologische Ziele. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kassenschlager „Der helle Weg“ aus dem Jahre 1940, in dem das Ausstellungs-Gelände nur ein Jahr nach seiner Eröffnung zu sehen ist. Die Hauptrolle in dem fantasievollen Revuefilm spielt Ljubow Orlowa.

Die Traumfrau des sowjetischen Kinos der 1940er Jahre verwandelt sich in dem Streifen von einer einfachen Putzfrau zu einer vorbildlichen sozialistischen Stoßarbeiterin und wird am Ende zur Verleihung des Leninordens gar in einen Palast eingeladen. Als das sowjetische Aschenputtel dort einen magischen Spiegel nach der Zukunft befragt, findet es sich kurz darauf in einem fliegenden Cabriolet über den Dächern Moskaus wieder.

Höhepunkt der legendären Flug-Szene ist die Landung des magischen Wagens vor dem Pavillon für die „Elektrisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft“ direkt auf dem WDNCh-Gelände. Heute befindet sich an dieser Stelle der Pavillon „Kosmos“. In dem Revuefilm ist auch eine rund 25 Meter hohe Stalin-Statue zu sehen, die auf dem Ausstellungsgelände bis zum Jahr 1951 stand.

Gorki-Park

Der Gorki-Park inspirierte auch Regisseure aus dem Westen zu Thrillern. /Foto: kartinki24.ru

Ein Kameraschwenk – und plötzlich ist alles anders: Eben noch sang Wiktor Zoi trotzig gegen einen völlig menschenleeren Konzertsaal auf der winterlichen Krim an. Nur wenige Sekunden später findet sich der sowjetische Rockstar und Sänger der Kult-Band „Kino“ in Moskau wieder.

Tausende Fans jubeln ihm zu den treibenden Basslinien seines großen Hits „Wir wollen Veränderungen“ zu. Feuerzeuge werden in den schwarzen Nachthimmel gehalten, das kalte Licht von Scheinwerfern streicht über die Menge. Der eindrucksvolle Szenenwechsel stammt aus „Assa“, einem der wichtigsten Musik-Filme der Perestroika-Zeit.

Regisseur Sergej Solowjow hatte sich für die rund dreiminütige Schlussszene extra die Freiluft- Bühne des sogenannten Grünen Theaters im Gorki-Park ausgesucht. Die Park-Anlage in der Nähe der Metrostation „Oktjabrskaja“ galt in den späten 80er Jahren als Treffpunkt der alternativen Rockszene von Moskau. Auch deutsche Künstler wie der Sänger Udo Lindenberg und die Rocker von den „Scorpions“ verewigten die eindrückliche Stimmung dieser Zeit in eigenen Songs.

Der jährlich von rund 26 Millionen Menschen besuchte Park regte auch die Phantasie amerikanischer Regisseure an. In „Gorky Park“ von Michael Apted werden in der Anlage drei grausam zugerichtete Leichen gefunden. Ermittlungen führen zu illegalen Pelzexporten und einer KGB-Spur. Allerdings wurde der Thriller von 1983 in Glasgow und Helsinki gedreht. Die so­wjetischen Behörden hatten dem Filmteam keine Drehgenehmigung erteilt.

Stadion Luschniki

Die Doku „Oh Sport, du bist die Welt“ spielt größtenteils im Luschniki-Stadion /Foto: yandex.ru.

Am Anfang steht die theatralisch inszenierte Entzündung des olympischen Feuers durch Schauspieler in Toga und Sandalen. Gut zweieinhalb Stunden können viele Besucher nur schweren Herzens Abschied von Moskau nehmen. Der Film „Oh Sport, du bist die Welt“ ist eine einzige Ode an die Olympischen Sommerspiele von 1980 in Moskau.

Die sowjetische Dokumentation mit pathetischen Anklängen wurde anlässlich der Olympiade von dem Regisseur-Trio Jurij Oserow, Boris Rytschkow und Fjodor Chitruk gedreht. Auftraggeber war das Internationale Olympische Komitee (IOC). Ein Großteil des Streifens spielt im Stadion Luschniki, in welchem die meisten Wettkämpfe der Sommerspiele stattfanden. Der Sportkomplex am Moskwa-Ufer wurde für die Spiele einer Generalreparatur unterzogen, 96 000 Zuschauer konnten das große Spektakel verfolgen.

Für historisch Interessierte ist der Film ein einzigartiges Zeitdokument. Vor allem die rauschende Eröffnungs- und Abschlusszeremonie mit Fanfarenklängen, Dutzenden tanzender und winkender Kinder in Bärenkostümen und der Rede des sichtlich ergriffenen Generalsekretärs Leonid Breschnew sind absolut sehenswert. Bis heute erinnern sich ältere Moskauer an die Abschlussfeier, als der Ballon von Mischka dem Bär – dem beliebten Maskottchen der Spiele – zu den Klängen von „Auf Wiedersehen, Moskau“ über dem Stadion im Moskauer Abendhimmel verschwand.

Simeon-Stolpnik-Kirche

Die uralte Kirche im Herzen Moskau taucht in vielen sowjetischen Film-Klassikern auf. /Foto: lookmytrips.com

Als die ersten Steine der kleinen Kirche im Moskauer Zentrum gelegt wurden, herrschten in Russland noch Zaren und Bojaren mit langen Bärten kämpften um Macht und Einfluss. Fast ein halbes Jahrtausend später steht das vermutlich gegen Ende des 16. Jahrhunderts errichtete Gotteshaus noch immer.

Allerdings wird der pittoreske Bau mit den sechs knallgrünen Zwiebeltürmen mittlerweile von zwei riesigen Hochhäusern aus der Sowjet­zeit eingeklemmt. Viele Regisseure nutzen dieses reizvoll widersprüchliche Zusammenspiel von neuem und altem Moskau für ihre Filme.

Zum ersten Mal tauchte die am Neuen Arbat gelegene Kirche in der Kultkomödie „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“ aus dem Jahr 1973 auf. Regisseur Leonid Gajdaj lässt einen seiner Helden – den schmierigen Filmemacher Karp Jakin – mit seiner neuen Flamme in einem Cabrio an dem Ensemble vorbeirollen. Später rast die Miliz auf dem Weg zu einem Einsatz an dem Gotteshaus vorbei.

Auch in weiteren Klassikern des sowjetischen Kinos hat die Simeon-Stolpnik-Kirche mehrere Kurzaufritte. So wartet beispielsweise Waliko Misandari aus der georgischen Tragikomödie „Mimino“ von 1977 vor dem Gebäude erfolglos auf sein Rendezvous. Auch in dem 1981 mit einem Oscar ausgezeichneten Spielfilm „Moskau glaubt den Tränen nicht“ und dem Drama „Belorussischer Bahnhof“ von 1972 fahren die Darsteller in einzelnen Szenen an dem Gotteshaus vorbei.

Birger Schütz

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