Sprachverlust und Widerrede

Das Schlüsselloch im Suppenteller: Diesen eigenwilligen Titel trug der Aufsatz, mit dem die Schriftsteller Eleonora Hummel und Artur Rosenstern Anfang 2018 um mehr Beachtung der russlanddeutschen Literatur warben. Ob das Vorhaben Erfolg hatte, erzählt Eleonora Hummel nun im MDZ-Interview.

Eleonora Hummel wurde in Kasachstan geboren und lebt seit Mitte der 1980er Jahre in Deutschland. /Foto: 2_get-shot.de

Was bewog Sie zu Ihrem Aufruf?

Das waren Gespräche mit russlanddeutschen Autoren, die ihr Bedauern darüber äußerten, dass unsere Literatur nicht genügend beachtet wird. Ausschlaggebend war ein Aufsatz von Professor Hans-Christoph Graf von Nayhauss. Dieser befand, die Themen russlanddeutscher Literaten seien veraltet, dem Opferstatus verhaftet, nicht diskussionswürdig. Das war der Moment, in dem ich gedacht habe, man muss eine Widerrede starten. Das geht so nicht! Das kann man nicht akzeptieren, dass unsere Literatur weniger lesenswert sein soll, weil einem Kritiker die Themenwahl nicht passt.

Was macht die russlanddeutsche Literatur zu etwas Besonderem?

Jahrzehnte der Verfolgung und Unterdrückung haben unsere Mentalität geprägt. Wir schreiben über unsere Diktaturerfahrungen wie es sonst niemand kann. Die russlanddeutsche Minderheit hat durch staatliche Gewalt einen Verlust ihrer Muttersprache erlitten, womit letztlich eine komplette Auslöschung der deutschen Kultur in der Sowjetunion herbeigeführt werden sollte. Darin liegt zum Beispiel der Unterschied zu rumäniendeutschen Schriftstellern, die mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen sind und ebenfalls ihre Diktaturerfahrungen literarisch verarbeiten. Für sie war die Einwanderung nach Deutschland, dieser Bruch im Lebenslauf, nicht so gravierend wie für uns. Sie konnten ja genau in der Sprache weiterschreiben, in der sie in Rumänien schon geschrieben haben und erste Erfolge hatten. Die russlanddeutschen Schriftsteller mussten in Deutschland bei Null anfangen. Den erzwungenen Sprachverlust wieder wettzumachen, das geht nicht über Nacht. Über diese Verlusterfahrung und alles, was damit zusammenhängt zu schreiben, ist durchaus ein Alleinstellungsmerkmal der russlanddeutschen Literatur.

Diktatur und Sowjetunion: Müssten nicht andere Themen her, um mehr deutsche Leser zu interessieren?

Ich bin überzeugt, dass Diktatur und Sowjetunion nach wie vor hochaktuelle Themen sind, aber zwingend ist da gar nichts! Es ist die ureigene Angelegenheit eines jeden Schriftstellers, welchem Thema er sich zuwendet. Deshalb verwahre ich mich dagegen, wenn mir gesagt wird, ich solle mir doch ein anderes Thema suchen. Wenn einen Autor die Vergangenheit nicht interessiert und er lieber über die Zukunft oder aktuelle Integrationsprobleme schreiben will, darf und soll er das tun. Aber man darf ihm darin keine Vorschriften machen. Wenn das jemand von außen aufzwingen will, wird das nicht funktionieren.

Werden denn andere Themen von russlanddeutschen Autoren behandelt?

Nun, die Themen sind breit gefächert. Es gibt Bücher zu komplett anderen Themenbereichen wie zum Beispiel Fantasy, Liebesromane, Kinderliteratur. Es wird auch über prekäres Dasein trotz akademischem Abschluss, aktuelle Integrationsprobleme und allgemeine Schwierigkeiten des modernen Lebens, die nicht nur Russlanddeutsche betreffen, geschrieben.

Hat sich seit der Veröffentlichung Ihres Aufsatzes etwas geändert? Kämpfen die Autoren seit Ihrem Aufsatz mehr für ihre Interessen?

Ein Autor kann selbst nicht soviel machen. Er ist Einzelkämpfer, kann sich drehen und wenden – und doch nicht ausreichend gehört werden. Ich empfinde es aber als sehr positiv, dass wir (Anm. d. Red: Koautor des Aufsatzes war Artur Rosen-stern) nach der Veröffentlichung des Aufsatzes erfahren haben, dass zwei Kulturreferate für die Belange der russlanddeutschen Kultur gegründet wurden. Da ist die Literatur mit enthalten. Das eine Referat befindet sich in Detmold, das andere in Nürnberg. Da setzen wir große Hoffnungen hinein, dass da jetzt was in Bewegung kommt. Erste Erfolge kann man schon sehen, es gibt jetzt eine Lesung in Berlin und eine in Hamburg. Andere Veranstaltungen sind auch schon zustande gekommen oder in Planung. Es hat natürlich einen ganz anderen Stellenwert und eine andere nachhaltige Außenwirkung, wenn jemand an einer staatlich geförderten Institution sich um unsere Interessen kümmert. Der Referent kann auf ein Netzwerk zugreifen, neue Verbindungen aufbauen und bessere Bedingungen aushandeln – im Gegensatz zu einem Autor, der einzeln agiert. Man braucht einen Vermittler, der sich für die Belange der russlanddeutschen Autoren einsetzt. Und den haben wir jetzt.

Wie lässt sich die schwierige ökonomische Lage russlanddeutscher Schriftsteller verbessern?

Es gibt eine Vielzahl von Literaturpreisen und Stipendien für Schriftsteller, um die man sich bewerben kann. Oft ist allerdings ein bereits publiziertes Werk Bedingung, welches nicht im Eigenverlag erschienen sein darf. Ansonsten ist die Finanzierung von literarischen Werken natürlich ein generelles Problem. Der Selfpublisher-Markt funktioniert nur in engen Grenzen; so scheint mir diese Möglichkeit zum Beispiel für Lyrik und anspruchsvolle Prosa weniger geeignet zu sein. Es gibt den russlanddeutschen Kulturpreis als Haupt- und Förderpreis, der alle zwei Jahre, und in der Sparte Literatur noch seltener, vergeben wird. Das ist sicher ausbaufähig. Wichtig wäre eine Förderung von Lesungen, um Autoren und ihre Werke bekannter zu machen. Wir wissen leider, dass Kulturetats allgemein eher gekürzt als aufgestockt werden. Aber man muss natürlich dran bleiben. Und vielleicht verändert das Kulturreferat auch etwas daran.

Das Gespräch führte Birger Schütz.

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