Schneller, schicker, stiller: Mit dem „Strizh“ zwischen Moskau und Berlin

Neben den üblichen Nachtzügen verkehrt seit gut acht Monaten zwischen Moskau und Berlin der Schnellzug „Strizh“ (deutsch: Mauersegler). Die MDZ hat ihn getestet. Gleich vorweg: Wer Platzkart-Stimmung sucht, ist hier falsch. Dafür vergeht die Zeit fast schon wie im Flug(zeug).

Der "Strizh" / Peggy Lohse

Der „Strizh“ / Peggy Lohse

Eigentlich ist er nicht mehr neu, der blau-weiß-rote Schnellzug „Strizh“ oder englisch „Swift“. Immerhin verkehrt er schon seit Dezember 2016 zweimal die Woche. Trotz- dem wird er am Moskauer Startbahnhof Belorusskij auch Ende Juli 2017 noch von allen Seiten beäugt und geknipst, von Fahrgästen als auch Passanten.

Russland-Andrang am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Russland-Andrang am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Der Gliederzug vom spanischen Waggonbauer Talgo macht ja auch was her: Blank geputzt erwartet er seine Fahrgäste in vier Klassen – von Liegesitzen bis zum Luxusabteil mit Bad.

Fast lautlos rollt der „Mauersegler“ in Moskau los: Vor ihm liegen 1918 Kilometer bis zum Berliner Ostbahnhof. Dafür hat er 22 Stunden, vier Stunden weniger als seine „normalen“ Nachtzug-Kollegen.

Mein Abteil ist halb leer, oder eben nur halb voll. Erstaunlich, denn für die Rückfahrt waren die Tickets schon eineinhalb Monate im Voraus aus- verkauft. Es reisen vor allem Einzelpersonen, Geschäftsleute, Polizisten, noch ein Pärchen, von Berlin nach Moskau dann auch ein paar deutsche Eltern mit Kindern. Aber für russische Familien würden die Fahrkartenpreise (siehe Tipps-Box) schon einen durchschnittlichen Monatslohn übersteigen.

Bis Smolensk, vier Stunden später, sind alle mit Ohrhörern eingeschlafen. Dort bekommen sie vom Bordradio russische Schlager, Pop wie in Marschrutkas oder patriotische Militärchöre auf die Ohren.

Päuschen in Orscha, Belarus / Peggy Lohse

Päuschen in Orscha, Belarus / Peggy Lohse

Die Fahrgäste sind introvertiert. Ruhe suchend. Eher wie im Flugzeug. Der Schaffner, dem die Bezeichnung Steward auch eigentlich besser steht, rennt pausenlos hin und her: Jeder kann sich alles bringen lassen. Die Bildschirme an der Decke zeigen Geografie-Dokus. Als wir durch akkurate belarussische Dörfchen fahren, folgen Historienschinken.

Smolensk schwebt vorbei. / Peggy Lohse

Smolensk schwebt vorbei. / Peggy Lohse

Es folgen Orscha, Minsk und am Abend schon, auf die Minute pünktlich, Brest: am Grenzbahnhof zwischen der Zoll- union Russland-Belarus und dem EU-Land Polen sowie der verschiedenen Spurweiten. 1520 Millimeter sind es in Russland und den GUS, nur 1435 Millimeter in Mitteleuropa. Während die einfachen Züge mit Passagieren hier stundenlang ohne Strom und Toilette in einer Werkshalle brüten, solange die Fahrgestelle gewechselt werden, besitzt der „Strizh“ umspurbare Laufwerke. Das spart drei Stunden. Der Neue fährt über eine Umstell- spur neben der Halle, wo gerade Waggons in den Hebebühnen hängen. Kinderaugen gucken groß. Bei uns ruckelt es drei Mal, und weiter geht’s zur Grenzkontrolle.

Im "Strizh" / Peggy Lohse

Im „Strizh“ / Peggy Lohse

Glücklich darf sich schätzen, wer vorher im Bordrestaurant war: Wegen Einfuhrbeschränkungen für Milch- und Fleischprodukte gibt es in den nächsten zehn Stunden nur drei Gerichte: Kartoffelpuffer, Haferbrei und Salat. Internet und Radio verstummen. Es wird Nacht.

Der "Strizh" am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Der „Strizh“ am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Ich träume von der Reise im „normalen“ Fernzug im Vorjahr: Frauen mit Flugangst, Kindern und viel Gepäck waren da, auch Zugestiegene aus Minsk, Brest und Umgebung. Zusammen schaute man dem Umbau zu, trank Kaffee und erzählte sich von Gott und der Welt. Wie man es von russischen Fernzügen irgendwie erwartet. Meine Nachbarin kehrte damals von ihrer Familie in Russland zu ihrem deutschen Mann zurück. Sie war unglücklich und redete viel.

Die "Strizh"-Stewards am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Die „Strizh“-Stewards am Berliner Ostbahnhof / Peggy Lohse

Und im „Strizh“? „Guten Morgen“, sagt mein Nachbar vom Business-Single-Abteil nebenan, und ist ebenso schnell wieder in dem grauen Plastikkasten verschwunden. An den anderen Türen hängt, wie im Hotel, „Bitte nicht stören!“. Im Sitzwagen wälzt sich jeder für sich bis zum Morgen im Liegesitz umher. Im Luxuswaggon hat die Liege Bettmaße und man möchte noch weiter fahren. Die Stewards liegen in freien Behindertenabteilen.

Berlin am Morgen: Stramm stehen an jedem zweiten Waggon die grau gekleideten Schaffner und Stewardessen an den Türen. Wieder wird fotografiert: Der „Mauersegler“ ist eben das Flugzeug unter den russisch-deutschen Zugverbindungen.

 Peggy Lohse

„Strizh“-Tipps:

1. Tickets so früh wie möglich kaufen!
Bislang beginnt der Verkauf zwei Monate vor der Fahrt, bald sollen es drei sein, versprach ein RZD-Mitarbeiter. Die Ticketpreise beim Kauf in Moskau reichen von 11000 bis knapp 25000 Rubel (umgerechnet rund 180 bis 450 Euro).

2. Für deutsche Staatsbürger: Transitvisum für Belarus nicht vergessen!

3. Alternative: Talgo-Waggons als „Strizh“- Züge verkehren seit 2015 auch zwischen Moskau und Nischnij Nowgorod.

Kathedralen des Bahnfahrens

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