Leben im Wohnheim: Petitionen sind im Umlauf

Wer in ein Moskauer Studentenwohnheim zieht, muss hart im Nehmen sein. Das fängt schon bei der Morgentoilette an. Es soll aber alles besser werden.

So sieht es im Wohnheim nicht ganz aus. Trotzdem ist der Weg zur Toilette ein Abenteuer./Symbolfoto: Pixabay

Acht Uhr morgens im Studentenwohnheim. Ich richte mich auf. Die Rohre rostig, die Tapete löst sich von den Wänden. Der tägliche Anblick. Bereits der erste Gang zur Toilette stellt eine mechanische Herausforderung dar. Ich betrete den Raum und fege den Putz von der Klobrille, der über Nacht von den Wänden gefallen ist. Ein Besenstil stützt die Toilettenspülung, damit sie sich nicht wieder rasant zu füllen beginnt.

Ich nehme ihn heraus. Jetzt muss das Geschäft schnell verrichtet werden, sonst schwappt das Wasser noch über. Erledigt. Besenstil wieder in die Spülung. Danach öffne ich meinen Schrank und gucke einer Kakerlake dabei zu, wie sie in die nächste Ritze verschwindet. Bleibe dann für ein paar Minuten regungslos stehen. Es gibt nichts, woran man sich nicht gewöhnen kann, heißt es doch, oder?

Die Kakerlaken stellen nicht den einzigen Besuch in den Studentenzimmern dar. Der Leiter des Hauses schaut auch gerne mal vorbei und durchwühlt die Unterwäsche der Bewohnerinnen. Warum? Na, weil er es doch kann. Erklärungen? Überflüssig. Rechtfertigungen? Fehl am Platz. Petitionen dagegen sind übrigens im Umlauf.

Obdachlos für eine Nacht

Später am Nachmittag, die Tür meines Doppel-Zimmers geht quietschend auf. Ich wundere mich darüber immer wieder: Zwei Betten, ein Tisch und ein Stuhl. Wie sollen die Studenten hier in Ruhe lernen und sich auf ihre Prüfungen vorbereiten? Das fragen sich die anderen Bewohner auch. Der einzige Raum, der ihnen genau dafür zur Verfügung steht, soll geschlossen werden. Eine Petition dagegen wurde schon vorbereitet.

Am Abend entscheide ich mich, im Zimmer der Musik meiner Nachbarn zu lauschen. Wohl eher, weil ich keine andere Wahl habe. So laufe ich zumindest nicht Gefahr, die Nacht im Freien verbringen zu müssen. Denn um Punkt 23 Uhr gehen die Lichter aus und die Türen zu. Was dann passiert? Ganz einfach, man kommt nicht rein und nicht raus und wartet bis sieben Uhr morgens. Erst dann öffnet das Wohnheim seine Pforten wieder. Kommt man mit einer Alkoholfahne, lernt man auch, wie es sich anfühlt, kein Dach über dem Kopf zu haben. Zumindest für ein paar Stunden. Bei den momentanen Temperaturen der Moskauer Nächte kann das recht unangenehm werden. Aber alles geregelt. Auch dagegen sind schon Petitionen im Umlauf.

Von Julia Bordunov

Man kann sich im Wohnheim an alles gewöhnen. Zumindest wenn man nur ein Semester bleiben muss. /Foto: Julia Bordunov

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