„Ja was ne panimaju“, „ich verstehe sie nicht“, lässt mich die dunkelhaarige Frau wissen, dabei rückt sie fragend ihre Brille mit Goldrand zurecht. Sie dreht sich hinter ihrem Schreibtisch von mir weg, als wäre das Gespräch beendet. Dabei bin ich bis hierhergekommen. Ich wollte wissen: Schaffe ich es, mich mit Englisch durch die russische Metropole zu kämpfen?
Ticketverkäufer, Mitarbeiter der Metro-Auskunft, Polizisten und eine misstrauische Ärztin – sie alle habe ich einen Tag lang mit Fragen gelöchert und dabei einige Überraschungen erlebt.
Einer von neun Millionen
Mein Versuch beginnt nicht im Zentrum von Moskau, sondern am östlichen Rand der Stadt. In der Metro-Station Nowogirejewo reihe ich mich in die Schlange für das „Ticket Office”, wie die weißen Druckbuchstaben über der dicken Glasscheibe verkünden. Als ich an der Reihe bin, lächelt mich die Kartenverkäuferin hilflos an und schlägt nervös die Hände zusammen. „Ja was ne panimaju“, sagt sie entschuldigend. Ich verstehe. Ich bedanke mich und habe fast ein schlechtes Gewissen.
Allerdings brauche ich immer noch eine Fahrkarte, mein Ziel ist der Rote Platz. Gegenüber dem Ticketschalter stehen große, blaue Automaten, auf denen ein leuchtend rotes „M“ abgebildet ist – das Logo der Moskauer Metro. Das Display des Ticketautomaten begrüßt mich auf Russisch, als ich auf das Feld „EN“ drücke, erscheint das Menü in Englisch. 55 Rubel, rund 76 Cent, kostet eine Fahrt in der Metro, Bezahlung in bar oder mit Karte.
Als ich durch die elektronischen Schranken der Metro gehe, befinde ich mich in einem gigantischen Netzwerk aus über 200 Stationen, das von neun Millionen Menschen pro Tag genutzt wird. Da verliert man als Tourist leicht den Überblick. Hilfe verspricht eine blaurote Infosäule in der Mitte jeder Metro-Station. Aus dem Lautsprecher trotzt eine Servicemitarbeiterin dem Zuglärm und erklärt mir auf Englisch mit russischem Akzent die Zugverbindung zum Roten Platz.
In der Bahn wird es leichter, ein Lautsprecher verkündet schallend die russischen Metro-Stationen im feinsten Englisch. Im Zentrum angekommen, gibt es neben dem „Ticket Office“ auch Informationsschalter, an die sich Touristen wenden können. Der Mitarbeiter hinter der roten Theke hat alle Hände voll zu tun. Trotzdem erklärt er mir ausführlich und in einwandfreiem Englisch, wie ich zur Metro-Station „Aleksandrowskij Sad“ komme, ich bin nämlich auf der Suche nach der Touristen-Polizei.
Höfliche Polizisten
Seit der letzten Anti-Putin-Demo am 5. Mai sind mir Polizisten weder als freundlich noch als sprachgewandt in Erinnerung geblieben. Ganz anders sollen die englischsprachigen Polizisten sein, die an ihrer blauen Uniform und dem Abzeichen „Tourist Police“ zu erkennen sind.
Auf der Flaniermeile Nikolskaja, im Alexandergarten vor dem Kreml und auf dem Roten Platz patrouillieren diese Beamten. Die Polizisten sollen verirrten Touristen den Weg weisen und für eventuelle Probleme der internationalen Besucher ein offenes Ohr haben.
Vor dem historischen Museum muss ich einen Sprint einlegen, um zwei der Beamten einzuholen. Etwas atemlos frage ich nach dem Arbat. „How may we help you?“ die Polizisten erklären mehrfach und in akzentfreiem Englisch, wie ich die Flaniermeile erreichen kann. Mit höflichem Interesse hören sie sich meine Fragen an. Da ich mich etwas erkältet habe, erkundige ich mich auch gleich nach einem englischsprachigen Arzt und die Beamten bieten mir sofort an, einen Krankenwagen zu rufen.
„We call an ambulance“
Anders als in Deutschland ist es in Russland nicht unüblich, den medizinischen Notfalldienst bei kleineren Leiden zu rufen. Internationale Gäste der WM würden bei einem Krankheitsfall von einem Rettungswagen versorgt werden, erklären die Beamten einstimmig. „Can we help you with anything else?“ Wie auswendig gelernt erkundigen sich die Polizisten weiter, ohne dabei die Miene zu verziehen. Gegen ein Foto haben sie aber nichts.
Weil ich den Krankenwagen dankend abgelehnt habe, mache ich mich online auf die Suche nach einem englischsprachigen Arzt. Schnell ist klar: Wer bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen, bekommt noch am selben Tag einen Termin.
„The Consultation will be from 4200 Rubel“, rund 58 Euro, teilt mir die geflissentlich, höfliche Rezeptionistin einer der Elitekliniken mit. In Sachen Komfort und Verständigung punktet die Privatklinik. Mit einem der englischsprachigen Ärzte könne ich als Journalistin jedoch nicht sprechen und Fotos würden nur über die Marketingabteilung vergeben, wiegelt die Servicemitarbeiterin meine Anfrage ab.
Neonlicht und Plastik
Ganz anders sieht es in staatlichen Arztpraxen aus, diese sind unter anderem in jedem größeren Bahnhof im Zentrum Moskaus zu finden. Ein kleines rotes Kreuz zeigt Hilfesuchenden den Weg zu einer drei Meter hohen Metalltür, die an einen Bunker erinnert. Hinter der Tür wartet keine strahlende Empfangsdame, sondern Plastikstühle und blau-weißes Neonlicht. Durch eine Glastür trete ich an den Rezeptionstisch. Englisch spricht hier keiner.
Stattdessen werde ich misstrauisch beäugt. „Ja was ne panimaju“, ja das kenne ich schon. Etwas unwillig versucht die dunkelhaarige Ärztin, einen Übersetzer zu finden. Nach 15 Minuten und fünf Telefonaten später findet sich Jury, er arbeitet für die russische Bahn und spricht gebrochenes Englisch. „In future it will be interpreter“, erklärt der Mitarbeiter, erst ab dem 12. Juni seien die Bahnhöfe und ihre medizinischen Versorgungszentren auf Touristen vorbereitet.
Englischsprechende Freiwillige helfen dann in den Verkehrszentren und in staatlichen Polikiniken, um zwischen dem Personal und den internationalen Touristen zu vermitteln, wiederholt der spontane Übersetzer die Worte der Ärztin. Behandlungskosten gebe es nicht, übersetzt Jury. Die Arztpraxen würden im Notfall Touristen zu Fachärzten oder ins Krankenhaus überweisen.
Am Ende des Gesprächs darf ich sogar ein Foto machen. Auf dem Weg nach draußen werde ich noch einmal ermahnt, ja nichts Schlechtes zu schreiben, dann stehe ich wieder in der Bahnhofshalle. Ob kostspielige Arztpraxis oder kostenlose Bahnhof-Praxis bleibt wohl Geschmackssache. Ich zucke entschuldigend mit den Schultern, als mich eine Frau etwas auf Russisch fragt. Für mich ist klar, Moskau lernt Englisch, Verständigungsproblem gibt es aber auf beiden Seiten. Wer die Touristenzentren verlässt, könnte noch öfter den Satz „Ja was ne panimaju“, zu hören bekommen.
Kim Hornickel