Unterwegs auf verschlungenen Pfaden

Als Tourist hat man in Moskau die Qual der Wahl. Unzählige Firmen bieten den zahlungswilligen Kunden Sightseeing-Touren durch die Stadt an. Doch wer Moskau auf eine andere Weise entdecken möchte, sollte in die Straßenbahn steigen. Denn sie fährt durch Gegenden, die von den Touristenbussen und -schiffen nicht angesteuert werden. Und das Beste: Ein Tagesticket kostet lediglich 230 Rubel. Die MDZ stellt die vier schönsten Strecken vor.

Straßenbahn

Eine Straßenbahn der Linie 50 auf der Baumanskaja uliza © Daniel Säwert

Linie 39

Tschistyje Prudy –  Universität

Die Linie 39 gilt als die schönste und abwechslungsreichste Linie der Moskauer Straßenbahn. Denn auf ihren 14,5 Kilometern, die sich die Tram vom Moskauer Stadtzentrum bis zur Lomonossow-Universität schlängelt, kann man Moskauer Architekturgeschichte erleben.

Los geht es an der Metrostation Tschistye Prudy. Die ersten zwei Kilometer folgt die Linie 39 dem malerischen und von vielen historischen Gebäuden gesäumten Boulevardring. Kurz darauf trifft die Bahn auf das Wohnhaus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße, eines der „Sieben Schwestern“ genannten Hochhäuser aus  der Zeit des Stalinismus. Weiter geht es über die Moskwa, von wo man einen herrlichen Ausblick auf den Park Sarjade und den Kreml hat.

Hinter dem Fluss taucht die Straßenbahn in den Stadtteil Samoskworetschje ein. Das Viertel zählt zu den am besten erhaltenen Gegenden Moskaus. Wer mehr von Samoskworetschje sehen möchte, sollte hier aussteigen und durch die Gassen bis zum Pawelezer Bahnhof spazieren, um seinen Weg mit der 39 fortzusetzen.

Der nächste Höhepunkt der Route ist das Danilow-Kloster. Das im 13.  Jahrhundert errichtete Männerkloster diente einst als Stadtbefestigung und ist heute Sitz des Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche. Gleich hinter dem Kloster rauscht die Straßenbahn am „Haus der Atomarbeiter“ vorbei. Das „Schiff“, wie es die Moskauer auch nennen,  wirkt mit seinen 400 Metern Länge wie ein riesiger Klotz.

Nach ein paar Minuten Fahrzeit erreicht die Bahn das Donskoi-Kloster aus dem späten 16. Jahrhundert. Interessant ist vor allem der Friedhof des Klosters, auf dem viele berühmte Russen ihre letzte Ruhe gefunden haben. Kurz bevor die Fahrt mit der 39 zu Ende geht, gibt es einen letzten Höhepunkt. An der Kreuzung von Lomonossowskij Prospekt und Leninskij Prospekt kann man erahnen, wie die Planer des Stalinismus sich die ideale Stadt vorgestellt haben.  Angekommen an der Endhaltestelle Universität, sollte man die Gelegenheit nutzen, um sich das Gelände der Lomonossow-Universität anschauen und von den Sperlingsbergen den Blick auf Moskau zu genießen.

Straßenbahn

Die neogotische Frolow-Villa © Daniel Säwert

Linie 50 

Nowoslobodskaja Awiamotornaja

Abwechslungsreich ist auch die Linie 50. Auf ihrem Weg von der Metrostation Nowoslobodskaja zur Station Awiamotornaja zeigt sie die kulturelle Vielfalt Moskaus. Erste Station ist Marina Roschtscha. Das Viertel, früher vor allem bei Kriminellen beliebt, ist heute eines der Zentren jüdischen Lebens in Russlands Hauptstadt. Mit der Straßenbahn gelangt man direkt zum Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz, das nicht nur eine empfehlenswerte Ausstellung beherbergt, sondern auch architektonisch sehenswert ist. Denn das Museum befindet sich in der Bachmetjew-Garage, einem ehemaligen Busdepot im Stil des Konstruktivismus.

Nur ein paar Fahrminuten entfernt taucht auf der linken Seite das ehemalige Krankenhaus von Marino auf. Hier wurde 1821 der berühmte Schriftsteller Fjodor Dostojewski geboren. In der damaligen Wohnung befindet sich heute ein Museum. Gleich neben dem Krankenhaus liegt das 1930 errichtete Theater der Armee, das durch seinen außergewöhnlichen Grundriss in Form eines fünfzackigen Sterns besticht.

Direkt nach dem Theater folgt das nächste Highlight. Bevor die Bahn in die Gassen des Meschtschanskij-Viertels einbiegt, passiert sie den Olimpijskij-Sportkomplex und die 2015 eröffnete Hauptmoschee, Russlands größtes islamisches Gotteshaus.

In den folgenden Minuten kann man ein wenig entspannen und vielleicht sein Smartphone an einer der USB-Buchsen in der Straßenbahn aufladen. Denn die nächsten 2,5 Kilometer sind eher uninteressant. Bis die Linie 50 auf den Komsomolskaja-Platz einfährt. Hier befindet sich mit dem Leningrader, Jaroslawler und dem Kasaner Bahnhof Moskaus Fernverkehrsknotenpunkt. Und das bedeutet Leben: Dank der Reisenden herrscht hier jederzeit ein quirliges Durcheinander.

Hinter dem Komsomolskaja-Platz biegt die Straßenbahn in das Herz des Basmannyj-Viertels ab. Hier befand sich bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Deutsche Vorstadt, in der einst die Ausländer lebten. Auch wenn diese Zeit zurückliegt, ist das Viertel auch heute noch sehr multikulturell geprägt. Und dazu gut erhalten. Ein Beispiel dafür ist die Frolow-Villa auf der uliza Baumanskaja, die 1914 im neogotischen Stil errichtet wurde.

Am Ende der Baumanskaja uliza geht es weiter über den Fluss Jausa in das Viertel Lefortowo. Von der Brücke ist der Lefortowo-Park zu sehen, der gemeinsam mit dem Jekaterinenpalast im 18. Jahrhundert angelegt wurde. Als „Eingangstor“ nach Lefortowo empfängt den Tramreisenden  die klassizistische „Rote Kaserne“, die auch heute genutzt wird. Hier wird gleich klar, dass Lefortowo ein Viertel  der Armee ist. Dies zeigt sich auch auf dem Gelände des Moskauer Energetischen Instituts, an dem man kurz vor der Endhaltestelle vorbeifährt. Denn auf dessen Gelände stehen zwei Suchoi-Kampfflugzeuge und ein Mil-Kamphubschrauber.

Straßenbahn

Die 46 fährt am Wwedenskoje-Friedhof vorbei © Daniel Säwert

Linie 46 

Preobraschenskaja ploschad Taganka

Bevor man in die Linie 46 einsteigt, sollte man unbedingt die Straßenseite wechseln. Dort befinden sich das Nikolskij-Kloster und der Preobraschenskij-Markt. Vor allem der Markt ist einen Abstecher wert, ist er doch einer der letzten Straßenmärkte Moskaus.

Zweites Highlight der Linie 46 ist das Kino „Rodina“, das in den 1930ern im Stil des Postkonstruktivismus erbaut wurde. Nachdem die Bahn das Kino hinter sich gelassen hat, führt auch ihr Weg nach Lefortowo, jedoch in einen anderen Teil des Viertels. Dort hält die Linie 46 am Wwedenskoje-Friedhof, der auch als „Deutscher Friedhof“ bekannt ist. Wer Zeit hat, sollte hier aussteigen, um sich die teilweise sehr kunstvoll gestalteten Gräber anzuschauen.

Kurz bevor die 46 die Metrostation Awiamotornaja erreicht, kann man auf der gleichnamigen Straße ein architektonisches Kleinod entdecken. Es sind sechs Häuser aus der Zeit des Stalinismus, die sich durch ihre grüne Farbe und die deutsch anmutenden Dachgiebel von der Architektur der Zeit abheben.

Am Rogoschskaja sastawa-Platz erreicht die Straßenbahn schließlich das Taganka-Viertel. Dieses kann man am besten erkunden, wenn man am Abelmanowskaja sastawa-Platz aussteigt. Zunächst aber sollte man das Pokrowski-Kloster aus dem 17. Jahrhundert besuchen. Hier liegen die Gebeine der Matrona von Moskau, einer Heiligen, der Wunderkräfte nachgesagt werden.

Straßenbahn

Moskaus älteste Straßenbahnhaltestelle © Daniel Säwert

Linie 27 

Dmitrowskaja – Timirjasjew-Akademie

Es sind nur wenige Kilometer, die auf der Linie 27 zwischen den Metrostationen Dmitrowskaja und der Timirjasjew-Akademie liegen, doch die Fahrt lohnt sich. Denn nachdem ein eher gewöhnliches Wohnviertel durchquert ist, hält die 27 an Moskaus ältester Straßenbahnhaltestelle, einem wuchtigen Holzbau, in dem heute ein Kiosk untergebracht ist. Die Linie 27 führt entlang des  Timirjasjew-Walds und bietet so immer wechselnde Ausblicke auf Stadt und Natur.

Bis man an der Russischen Landwirtschaftsakademie angekommen ist. Die Gebäude rund um die Haltestelle stammen noch aus der Gründungszeit der Hochschule Mitte des 19. Jahrhunderts und laden mit ihren halbverfallenen Gewächshäusern zu einem Spaziergang ein. Aber auch der neuere Teil des Akademiegeländes ist einen Besuch wert. Entlang einer langen Allee, an der sich zu beiden Seiten Aufzuchtfelder befinden, kann man einige ungewöhnliche konstruktivistische Häuser aus den 1920ern entdecken.

Daniel Säwert

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