„Der Ural war mir nicht wild genug“

Vor vier Jahrzehnten kam Alexander Lesnjanskij von der Ukraine nach Transbaikalien. Eine Entscheidung, die er nie bereut hat. Erst als Geologe, dann als Reisender und Fotograf erforschte er die wilde Natur der Region im Osten Russlands. Im Interview erzählt er, was die Faszination des Landes ausmacht, und wie es sich am besten bereisen lässt.

Eindrucksvoll: die Granitsäulen von Lamskij Gorodok (Foto: Alexander Lesnjanskij)

Herr Lesnjanskij, Sie haben in den 1970er Jahren an der Universität in Dnepropetrowsk studiert. Wie sind Sie in Transbaikalien gelandet?

Ja, ich wurde in Dnepro­petrowsk geboren, die Stadt heißt heute Dnepr. Schon in der vierten Klasse wollte ich Geologe werden und irgendwo im Fernen Osten arbeiten, in der sibirischen Wildnis mit einem Minimum an Zivilisation. Obwohl ich als Stadtkind aufwuchs und im Leben keine Axt in der Hand gehalten hatte, hatte ich ein Verlangen nach Reiseromantik und dem Pioniergeist eines Forschers in den wildesten und unzugänglichsten Gebieten. Das kam wohl von den Büchern, die ich las. Selbst der Ural war mir nicht wild genug, ich wollte etwas „Herausfordernderes“.

Ab 1975 studierte ich an der Abteilung für geologische Erkundung am Dnjepropetrowsker Bergbauinstitut. Ich war der Beste meiner Gruppe, weshalb ich am Ende des Studiums meinen Arbeitsort aussuchen konnte. In der Liste war die geologische Verwaltung von Tschita der am weitesten entfernte Punkt. Das war meine Wahl. Ich kaufte Flugtickets und fand mich am 20. Oktober 1980 in Transbaikalien wieder. Was ich bis jetzt noch nie bereut habe.

Was dachten Ihre Familie, Ihre Freunde darüber, nach Transbaikalien zu ziehen? Und wussten Sie selbst, was Sie erwarten würde?

Ich hatte selbst kaum eine Vorstellung davon, wo Tschita liegt und wie Transbaikalien aussieht. Aber mir war klar, dass die Natur der von Südjakutien ähneln musste. Dort war ich während meines Studiums zweimal für Praktika in den Sommermonaten gewesen.

Meine Mutter hatte schreckliche Angst. „Warum so weit weg?“ Aber mein Vater unterstützte mich. Es spielte auch eine Rolle, dass einer seiner Freunde viele Jahre lang in Transbaikalien gearbeitet hatte. Er war voll des Lobes für die Region und sagte, dass es in Tschita sehr gute Geologen gebe. Die Menschen dort seien im Allgemeinen sehr anständig und es gebe viele unerforschte Gebiete. Also bin ich hingegangen.

Wie haben Sie die Naturschönheiten der Region kennengelernt? Während Ihrer Arbeit?

Da ich mich zu wilden Orten hingezogen fühle, erschien mir Tschita plötzlich zu zivilisiert. Ich interessierte mich für den Norden der Region. In der Siedlung Taschra im Bezirk Kalarskij war damals die Udokan-Expedition stationiert. Dort befindet sich eines der größten Kupfervorkommen der Welt, das damals gerade erst erkundet wurde. Aber dort gab es keine freien Stellen. Ich wurde jedoch in eine Forschergruppe aufgenommen, die gerade ebenfalls mit dieser Gegend beschäftigt war. So verbrachte ich vier bis fünf Monate im Jahr im Norden und den Rest in Tschita.

Alexander Lesnjanskij schätzt die unberührte Natur Transbaikaliens. (Foto: privat)

Mehrere Monate lang lebten wir in den Bergen, in der Taiga in Zelten. Wir zogen durch die vom Menschen wirklich unberührte Natur in ihrer ursprünglichen Form. Der Bezirk Kalarskij ist nach wie vor meine Lieblingsgegend in Transbaikalien.

Dass ich dennoch in Tschita lebte, entpuppte sich letztlich als großer Vorteil. Tschita ist ein regio­nales Zentrum, Tschara eine kleine Siedlung. Dort hätte ich später weder kreativ noch wirtschaftlich Erfolg gehabt. Als die Wirtschaft der UdSSR zu Beginn der Perestrojka zusammenbrach, musste ich die Geologie verlassen. Meine Frau und ich eröffneten schließlich den Transbaikalischen Kunstsalon in Tschita.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen? Wie sind Ihre Buchprojekte entstanden?

Sowohl die Fotografie als auch die Geologie haben mich schon in meiner Kindheit mitgerissen. Ich habe immer fotografiert, vor allem Landschaften. In Tschita schloss ich mich dem Fotoclub Dauria an. Es gab erste Ausstellungen und Veröffentlichungen in der Presse.

Nachdem ich mit der Geologie aufgehört hatte, vermisste ich die Romantik der Wildnis. Das kompensierte ich durch Reisen in Transbaikalien. Das begann im goldenen Herbst 1992, als ich mit Freunden auf dem Fluss Witim mit Booten bis zur Baikal-Amur-Magistrale unterwegs war. Später besuchte ich auf unterschiedliche Weise alle möglichen Orte. Ich erkannte, wie vielfältig die Natur in der Region ist, und mir wurde klar, dass es bisher kein einziges Buch gab, das die Schönheit der Region vollständig offenbarte. Also begann ich, Fotomaterial für ein Buch zu sammeln – der Bildband „Region Transbaikalien“. Die Arbeit dauerte zehn Jahre, die erste Auflage erschien 2007. Später veröffentlichte ich zwei weitere Bildbände: „An den Ufern von Tschita und Ingoda“ und „Tschita – und wo ist das?“.

Wie macht man sich am besten mit Transbaikalien vertraut? Was würden Sie den Reisenden empfehlen?

Individualreisende in guter körperlicher Verfassung kommen in der Regel nach Transbaikalien, um zu wandern, meist auf dem Kodar-Bergkamm. Rafting auf einem der zahlreichen Bergflüsse ist ebenfalls beliebt.
Touristen, die einen bequemeren Urlaub bevorzugen, haben es etwas schwerer. Es gibt viele interessante Orte, etwa Sanatorien mit Mineralquellen, aber die Standards sind recht mittelmäßig und die meisten Orte sind sehr schwer zu erreichen.

Die Tschara-Sande, eine Wüste im Norden Transbaikaliens (Foto: Alexander Lesnjanskij)

Hat man jedoch keine besonders hohen Ansprüche an den Komfort, kann man bestens mit dem Auto durch Transbaikalien reisen. Das Straßennetz ist ausreichend, um alle Gebiete und Landschaften der Region zu sehen – mit Ausnahme des Nordens. Planen Sie eine Route entlang der Nebenstraßen, die sind fast menschenleer. Nehmen Sie ein Zelt mit und übernachten Sie in der Natur am Fluss, im Wald, wo Sie wollen! Anders als beispielsweise in europäischen Ländern ist es nicht verboten, an irgendeinem Ort mit einem Lagerfeuer zu zelten. Wenn Sie von Ort zu Ort ziehen, können Sie in wenigen Tagen große Gebiete erkunden. Meine Frau und ich haben das schon mehrmals getan.

In der Region gibt es zwei staatliche Naturparks, Sochondinskij in der Gebirgstaiga und Daurskij in der Steppe. Dort können Sie geführte Touren buchen.

Darüber hinaus gibt es mehrere Nationalparks: Alchanaj, Tschikoj und Kodar, die ebenfalls in organisierter Form besucht werden können. Zunächst einmal würde ich den Alchanaj empfehlen. Dort befindet sich der Tortempel, eines der sechs Weltheiligtümer des Buddhismus, wohin jedes Jahr Gläubige pilgern. Er ist gut von Tschita aus zu erreichen.

Gibt es sonst noch Orte, die man unbedingt sehen sollte?

Wenn mir auf irgendeine ungeheuerliche Art und Weise alle meine Fotos abhanden kämen, und ich noch einmal von vorne anfangen müsste, würde ich zuerst die Tschara-Sande aufsuchen. Das ist eine kleine Wüste zwischen Bergen, Taiga und Sümpfen im Norden Transbaikaliens, in der Nähe der Siedlung Tschara. Dann den Bergkamm Adon-Tschelon im Daurskij-Naturpark, wo sich Granitreste in der Steppe befinden, Lamskij Gorodok, eine Formation von Granitsäulen in der Taiga im Tschikoj-Nationalpark, die antiken Grabstätten in der Aginskij-Steppe. Ich würde noch einmal in die Cheetej-Höhle hinabsteigen und noch einmal den Fluss Kalar hinunterfahren. Und dann den ganzen Rest!

Die Grabstätten in der Aginskij-Steppe (Foto: privat)

Und was erwartet Reisende in Tschita?

Auf einem Rundgang durch die Stadt werden sie vieles über die Rolle der Dekabristen erfahren. Sie wurden nach dem Aufstand in Sankt Petersburg 1825 hierher ins Exil verbannt und prägten das Bild von Tschita. Eine der Hauptattraktionen ist die 1776 errichtete Holzkirche des Erzengels Michael, die die älteste Holzkirche Ostsibiriens ist. Heute beherbergt sie das Museum der Dekabristen.

Und schließlich: In welche Länder und Regionen reisen Sie gerne, wenn Sie nicht in Transbaika­lien sind?

Ich bin bereit, überall hinzureisen. Früher habe ich „wilde“ Reisen mit einem Team von Gleichgesinnten bevorzugt. Seit 2006 haben wir das Team „Gobike“, mit dem wir Expeditionen in die Mongolei, nach Tibet, Nordindien oder Bolivien gemacht haben. Das waren anspruchsvolle Fahrradreisen, teils über einen Monat lang. Im Jahr 2006 haben wir in Westchina den Muztagata im Pamir-Gebirge bestiegen. Letztes Jahr besuchten wir Neuseeland.

Gleichzeitig freue ich mich aber auch, meine Familie in Europa zu besuchen. Da gibt es zwar keine Ex­treme, doch deshalb nicht weniger Eindrücke. Von den letzten Reisen erinnern wir uns noch besonders an die Provence und Griechenland, kurz vor der Corona-Epidemie. Wir haben es noch zurück geschafft!

Fotos und Berichte in russischer Sprache veröffentlicht Alexander Lesnjanskij auf seinem Blog unter der Adresse lesnyanskiy.livejournal.com/.

Die Fragen stellte Jiří Hönes.

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