Tourismus mit deutschem Akzent an der Wolga

Die Reiseroute „Die Wolgadeutschen“ führt an Orte mit deutscher Geschichte in Saratow, Engels und Marx. Jetzt wurde sie zur „nationalen touristischen Route“ befördert. Örtliche Museen, Kirchen und das Archiv der Wolgadeutschen empfangen die Touristen ebenso wie die Russlanddeutschen in den Begegnungszentren. Was wird den Gästen geboten?

Die Brücke über die Wolga, die Saratow und Engels verbindet (Foto: Olga Silantjewa).

Die Reiseroute „Die Wolga­deutschen“ wurde noch vor der Pandemie öffentlich vorgestellt. Sie ist für Touristen ausgelegt, die für zwei bis drei Tage ins Wolgagebiet kommen, um seine deutsche Geschichte kennenzulernen.

Anfangs war geplant, dass nicht nur Gäste aus den russischen Regionen, sondern auch aus Deutschland kommen werden. Man hatte sogar einen Namen für dieses Projekt gefunden, um es in den deutschsprachigen Ländern anzubieten: „Wolga-Heimat“. Nach ersten Berechnungen sollte die Kurzreise in das deutsche Wolgagebiet für Ausländer 200 Euro kosten. Ohne die Flüge zum kürzlich nach der Rekonstruktion eröffneten Flughafen von Saratow. Acht Reisegruppen aus Deutschland haben für 2020 und 2021 Plätze gebucht.

Dann kam die Pandemie. Kaum war sie vorbei, begann die „Sonder­operation“. So konnten deutsche Touristen die Vorzüge der neuen Touristenroute nicht beurteilen.

Die russischen Touristen kommen

Aber immer mehr Bürger Russlands erfahren auf ihren Reisen, dass an der Wolga einst sehr viele Deutsche lebten. Die Reise beginnt damit, dass die Touristen Deutsche kennenlernen, die bis heute da leben, – im Zentrum der deutschen Kultur der Stadt Engels.

„Wir zeigen den Besuchern, wie Russlanddeutsche heute leben, wie sie ihre Kultur bewahren“, berichtet die Leiterin des Zentrums Aleftina Schuwajewa. „Wir geben ein kleines Konzert, sprechen über ethnokulturelle Klubs und Zirkel sowie über andere Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen und die Geschichte der Vorfahren und ihre Traditionen zu erfahren.“

Darauf folgt der Besuch des Heimatmuseums in Engels, wo sich die Besucher mit der Ausstellung, die den Wolgadeutschen gewidmet ist, und mit den Gemälden von Jakob Weber vertraut machen können. Der dritte Punkt des Besucherprogramms in Engels ist das Staatliche Archiv der Wolgadeutschen. Seine Mitarbeiterinnen berichten in einem Interview für die MDZ: „Manchmal wollen die Touristen einfach nicht wieder gehen, so interessant ist es hier für sie.“ Aber der Zeitplan ist vollgepackt. Nach dem Archiv gibt es ein Mittagessen mit deutschen Gerichten und ein Gläschen deutschen Schnaps.

Gäste der Ausstellung im Staatlichen historischen Archiv der Wolgadeutschen (Foto: Olga Silantjewa)

Anschließend geht es nach Marx. Dort hören die Besucher in der katholischen Kirche ein Orgelkonzert, in der lutherischen Kirche sprechen sie mit dem Pastor, besuchen dann das Heimatmuseum und bummeln individuell durch die Stadt, die wie ein Freiluftmuseum der Wolgadeutschen ist. Am Abend erwartet die Gäste ein Abendessen in Saratow mit einem interaktiven Programm mit deutschen Volkstänzen. Der zweite Tag findet in Saratow statt, das viele berühmte Deutsche hat.

Das Markenprodukt

„Die Touristen beschweren sich am Anfang, dass das Programm so voll ist“, sagt die Chefin des Reisebüros „Pokrowsk-Tour“ Tatjana Antipina, die auch an der Ausarbeitung der Reiseroute beteiligt war. „Aber am Ende der Reise gestehen sie, dass sie nicht sagen könnten, worauf sie hätten verzichten wollen. Alles ist interessant!“

Tatjana Antipina erinnert daran, dass 2019 ihre Touristenroute „Die Wolgadeutschen“ von Rostourismus als Markenprodukt eingestuft wurde. Jetzt hat die Route den Status einer „Nationalen Touristenreise Russlands“. Das bedeutet, dass sie von Fachleuten bewertet wurde, ein fertiges Programm hat und den Kriterien des modernen Tourismus entspricht. So heißt es auf der Webseite, wo 37 Reisen mit diesem Gütesiegel vertreten sind.

Laut Tatjana Antipina kann man in diesem Jahr „nicht sagen, dass es mehr Touristen“ seien. Die Reisen werden monatlich durchgeführt und wenn genügend Leute zusammenkommen, auch zwei- bis dreimal im Monat. „Es gehen im Jahr um die Tausend Touristen auf diese Riese“, sagt sie. „Jetzt schließen mehr und mehr Moskauer Reiseveranstalter mit mir Verträge ab“.

Die Touristen kommen nicht nur aus Moskau, sondern auch aus dem Ural, aus Lipezk, Tambow, Tula. Oft kommen auch welche, deren Vorfahren in deutschen Siedlungen gelebt haben. Im September kommt ein Deutscher mit russischer Begleitung.

Olga Silantjewa


Gebiet Saratow

Die ersten deutschen Kolonien wurden im Wolgagebiet, bei Saratow, in den 1760er Jahren gegründet. Die größte Kolonie war Katharinenstadt, heute die Stadt Marx. 1918 wurde sie zur Hauptstadt der neu gegründeten Autonomie der Wolgadeutschen. 1922 wurde Pokrowsk (heute Engels) zur neuen Hauptstadt. Die deutsche Autonomie wurde 1941 aufgehoben und ihr Territorium zwischen den Gebieten Saratow und Stalingrad aufgeteilt.

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