100. Geburtstag des Heimatmuseums in Marx: Da rauchen die Köpfe

Wer etwas über die Geschichte der Russlanddeutschen lernen will, der ist im Landeskunde­museum von Marx einer Kleinstadt bei Saratow, richtig. Dieser Tage beging es bereits sein 100-jähriges Bestehen. Nach Marx, eines der Zentren des ehemaligen Siedlungsgebiets der Wolgadeutschen, kamen aus diesen Anlass sogar Museums­kollegen aus Deutschland.

Stilecht: Das Landeskundemuseum befindet sich in einem Kaufmannshaus, gebaut Anfang des 20. Jahrhunderts. © Alexander Kucharenko

1919. Der Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution ist in vollem Gange. Die unlängst gegründete Wolgaautonomie der Deutschen befindet sich in den Händen der Bolschewiki, in der Region wird eine Politik des „Kriegskommunismus“ verfolgt. Einige deutsche Kolonien haben sich kaum von den Angriffen der Roten erholt, andere fürchten das Vorrücken der Weißen. Benachbarte Regionen werden von Aufständen erschüttert.

Unter diesen schwierigen Vorzeichen wird in Marxstadt, dem Zentrum der deutschen Oblast, von den Einwohnern nach alter Gewohnheit meist noch Katharinenstadt genannt, die Eröffnung eines Heimatmuseums beschlossen. Es soll auf seine Art das Schicksal der Wolgadeutschen teilen. 1936 wird ihr erstes Museum geschlossen und sein letzter Direktor Konstantin Dreher verhaftet. Ein Jahr später wird das Museum aufgelöst und ein Teil seiner Exponate – Dokumente und Fotografien – dem Zentralmuseum der Wolgadeutschen Repu­blik in Engels übergeben.

Erst ein halbes Jahrhundert später nimmt im Ort wieder ein Stadtmuseum seine Arbeit auf. 1991 erhält es den Status eines Landeskundemuseums von Marx, als Außenstelle des Landeskundemuseums der Region Saratow. Untergebracht ist es wie ehedem in einem zweistöckigen historischen Gebäude, das vor der Revolution dem Unternehmer Karle gehörte und als Geschäftsadresse diente.

Aus Anlass seines runden Jubiläums wird im Museum derzeit eine kleine Ausstellung unter dem Titel „Jahrhundertschritt“ gezeigt, die von den Anfängen erzählt. Hinter einer der Vitrinen sind Archivdokumente ausgestellt. Demnach bestand das Museumspersonal in den ersten Jahren aus einer Person. Dieser Mitarbeiter mit Namen Belz  – sein Vorname ist nicht überliefert – bekam eine kleine Summe zum Ankauf von Exponaten bei der deutschen Bevölkerung zur Verfügung gestellt und durfte samt der wachsenden Kollektion in besagtes Haus von Karle einziehen, einen der besten Bauten der Stadt, erst kurz davor errichtet.

Heute zählen ca. 8000 Ausstellungsstücke zum Bestand des Landeskundemuseums. Darunter sind auch Raritäten wie eine aus Holz gefertigte Tabakpfeife von 15 Zentimetern Länge. Museumsdirektorin Irina Awramidi, die Teilnehmer der Jubiläumsveranstaltungen herum­führt, verweist darauf, dass Katharinenstadt einst ein Standort der Tabakproduktion war und die Einnahmen daraus etwa die Hälfte der Einkünfte der Kolonisten vor Ort ausmachten. Und wo Tabak war, da waren auch Meister der Pfeifenherstellung. Auf einem der Fotos im Museum sind einheimische Deutsche mit ihren Hüten abgebildet, wie sie mit großer Ernsthaftigkeit riesige Pfeifen benutzen, um zu paffen.

Gerade sind die Museumsbestände um eine weitere Rarität reicher geworden. Galina Balinger aus Kirgisistan, die nach Marx gereist ist, um an einer Konferenz teilzunehmen, hat dem Museum einen Hochzeitskranz geschenkt, der in ihrer Familie seit 1916 gehütet worden war. Irina Awramidi war gerührt: „Wir sind sehr dankbar für dieses Exponat, haben lange Jahre nach so etwas gesucht.“

Im Museum kommen Besucher jeden Alters auf ihre Kosten. © Alexander Kucharenko

Wie wird wohl das Museum in Zukunft aussehen? Darüber sprachen auf einer internationalen Konferenz in Marx und Saratow mehr als 30 Branchenvertreter aus Russland, Deutschland und anderen Ländern. Die Museumskuratorin Ariane Karbe aus Berlin empfahl, Ausstellungen nach einem speziell ausgearbeiteten Skript mit Anleihen bei Hollywoodfilmen abzuhalten. Präsentiert werden sollten sie von einem Schauspieler oder Animateur – so ließe sich auch Geschichte interessant aufbereiten und vermitteln.

Die Historikerin und Ethnografin Elena Arndt führte das Museum der Staatlichen Technischen Universität in Saratow an, wo es einen holografischen Projektor gibt, einen VR-Helm und die Möglichkeit, mit Hilfe eines aufs Handy heruntergeladenen Programms den Exponaten Leben einzuhauchen.

Nico Wiethof, leitender Referent des Museums für Russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold, meint, man könne Kinder mit Hilfe von Tablets oder Handys virtuelle Schätze im Museum suchen lassen oder Erwachsene mit spannenden Quests unterhalten. Das sei alles legitim, aber in Maßen, als Zugabe zu den Ausstellungsstücken. Wiethof merkte an, dass in seinem Museum kein Exponat größer sei als ein Reisekoffer.

Zur Sprache kamen auf der Konferenz auch die häufigsten Probleme von Museen zur russlanddeutschen Geschichte: beengte Räumlichkeiten, die bescheidene Ausrüstung mit digitaler Technik sowie die ungenügende Finanzierung von Veröffentlichungen und Bildungsarbeit. Die Teilnehmer regten an, derartige Veranstaltungen jährlich durchzuführen. Das könnte dazu beitragen, auftretende Schwierigkeiten nachhaltig zu lösen und das Niveau der Museums­arbeit anzuheben.

Oleg Wins

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