
Nischni Nowgorod ist eine russische Millionenstadt an der Wolga – und Bor ein Vorort davon. Per Luftlinie sind es nur fünf Kilometer in die eine oder andere Richtung. Doch mit dem Auto verfünffacht sich die Entfernung, denn die beiden Städte liegen an entgegengesetzten Ufern der Wolga. Die Fahrt über die nächstgelegene Brücke nimmt durchschnittlich 50 Minuten in Anspruch.
Es geht auch schneller
Worum Pendler wahrlich nicht zu beneiden sind, hat den Einheimischen hüben wie drüben nun schon die zweite ungewöhnliche Abkürzung eingebracht. Bereits seit zehn Jahren verkehrt zwischen Nischni Nowgorod und Bor eine Seilbahn. Die Fahrtzeit beträgt 12,5 Minuten, das Ticket kostet 100 Rubel. Unlängst wurde aber noch eine weitere Direktverbindung eingerichtet: Ein Tragflächenboot legt die Strecke in 20 Minuten und zum Preis von 150 Rubel zurück, vorerst dreimal am Tag.
Das Wasserfahrzeug vom Typ „Waldai 45“ ist noch ein seltener Anblick. Es greift die sowjetische Tradition der Tragenflächenboote wieder auf, als ab den 1950er Jahren viele hundert „Raketen“, „Kometen“ und „Meteore“ produziert wurden. Einige sind bis heute im Einsatz, größtenteils im Ausflugsverkehr.
400 km im Tragflächenboot
Dass dieses Flugzeug von Schiff auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen eine Zukunft hat, wurde wegen der hohen Treibstoffkosten lange bezweifelt. Doch das traditionsreiche Zentrale Konstruktionsbüro (ZKB) in Nischni Nowgorod ließ auf die alten Haudegen mittlerweile eine Reihe von Neuentwicklungen folgen. Seit 2019 wird „Waldai 45“ – die Zahl steht für die Plätze an Bord – in Serie gefertigt. 16 Stück sind bereits ausgeliefert.
Mit einer Höchstgeschwindigkeit von um die 60 Kilometer pro Stunde hat sich das Schnellboot auf dem Ob in Sibirien die ersten Sporen dabei verdient, auf mittleren und langen Distanzen Fahrgäste in überschaubarer Zeit ans Ziel zu bringen. In Nischni Nowgorod sind vier dieser Technikwunder stationiert. Sie fahren bereits fünf Orte entlang der Wolga im regulären Betrieb an, der sich sowohl an Anwohner als auch an Ausflügler wendet. Einige Routen führen bis in Nachbarregionen. Wer möchte, kann neuerdings von Nischni Nowgorod bis nach Kasan gelangen (mit Umsteigen in Tscheboksary – immerhin eine Entfernung von rund 400 Kilometern.
Tino Künzel