Russlands Skandalpriester: Im Namen des Zaren

Mit seiner Gefolgschaft hat der russische Priester Sergij ein Kloster östlich des Urals belagert. Weil der Geistliche die Existenz des Coronavirus leugnet, liegt er im Clinch mit der orthodoxen Kirchenleitung. Dieser erweist er sich als ein mächtiger Gegner.

Von seinen Kloster aus verbreitet Pater Sergij einige krude Theorien. (Foto: www.e1.ru)

„Wenn jemand zu Ihrer Familie kommen und sagen würde: ‚Wir nehmen euren leiblichen Vater und ersetzen ihn durch eine andere Person. Was würden Sie tun?‘“, fragt Pater Sergij im Video, während er einen Schritt auf den ihm gegenüberstehenden Reporter zutritt. Hinter sich hat der Geistliche seine Gefolgschaft versammelt. Einige Dutzend Menschen stehen auf dem von hohen Birken und Kiefern umsäumten Vorplatz des Frauenklosters in Sredneuralsk, einem kleinen Örtchen nahe der Uralmetropole Jekaterinburg.

Die Aufnahmen stammen von einem der russischen Nachrichtenteams, die seit Mitte Juni ihren Weg in die Idylle finden. Der Grund: Sergij soll in Begleitung von Kosaken und Donbas-Veteranen die bisherige Klosterleitung verscheucht und das Gelände besetzt haben. Doch der Priester wehrt sich gegen die Vorwürfe der Presse, die auch von Drohungen gegen Journalisten berichtet. „Liberale Medien sagen, ich hätte das Kloster eingenommen. Das klingt seltsam“, erklärt Sergij. „Wir haben 18 Jahre lang an einem einsamen Ort dieses Kloster gebaut!“

Priester trotz unchristlicher Vergangenheit

Tatsächlich gilt Pater Sergij als der Gründer des Nonnenklosters in Sredneuralsk. Doch inzwischen ist der Geistliche bei seiner Russisch-Orthodoxen Kirche in Ungnade gefallen. Als man sich gezwungen sah, die Kathedralen im Land aufgrund von Covid-19 zu schließen, wetterte Sergij in aller Öffentlichkeit: Er verfluchte die Verantwortlichen, stellte die Existenz des Coronavirus infrage und sprach von einer „Pseudopandemie“. Zugleich warnte der Priester vor drohenden Zwangsimpfungen, bei denen man den Menschen digitale Chips einpflanzen wolle – ein weiterer Schritt in Richtung der „elektronischen Sklaverei“.

Die Kirche distanzierte sich von Sergij und entzog ihm das Dienstrecht. Der aber lässt sich das Predigen nicht verbieten und lädt Pilger in seine heilige Festung ein. Nicht wenige folgen dem Ruf, denn der 65-Jährige hat sich zu einem der prominentesten Geistlichen Russlands gemausert. Dabei hätte er nach den Auflagen der Kirche eigentlich niemals Priester werden dürfen.

In den 1980er Jahren arbeitete Sergij, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Nikolai Romanow, für die russische Polizei. Doch der junge Mann kam vom rechten Weg ab und wurde im Alter von 30 Jahren wegen Mordes und anderer Delikte zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zusammen mit zwei Komplizen soll Romanow sein Opfer in der Moskauer Region mit einem Brecheisen verprügelt haben, um es anschließend auszurauben. Es floss offenbar viel Alkohol, bevor der Mann an eine Steinplatte gefesselt und ertränkt wurde.

Die Zareboschniki als ideologische Heimat

Nach seiner Entlassung im Jahre 1997 widmete Romanow sein Leben fortan dem Glauben und begann eine Karriere als Geistlicher. Nur drei Jahre später stieg er zum Vorsteher eines bekannten Klosters in Ganina Jama (Uralregion) auf, das einst in Gedenken an die ermordete Zarenfamilie der Romanows errichtet wurde. Die Todsünde, eigentlich ein definitives Ausschlusskriterium für das Amt, habe man ihm „vergeben“, wie Sergij heute sagt.

Während Sergij den Komplex verwaltete, schloss er sich den Theorien der sogenannten Zareboschniki an. Deren Anhänger sind davon überzeugt, dass die Romanows mit ihrem Tod ein Opfer gleich dem Jesu Christi erbracht haben und sich am Weg des russischen Volks das Schicksal der Menschheit entscheiden wird. Die Glaubensgemeinschaft gilt als Sekte und zählt ultra-konservative Nationalisten sowie Monarchisten zu ihren Anhängern. Zugleich wird Pater Sergij eine paradoxe Begeisterung für den sowjetischen Machthaber Joseph Stalin nachgesagt. Er soll den Diktator dafür schätzen, dass dieser den russischen Einflussbereich vergrößerte und gnadenlos gegen Homosexualität vorging.

Mittlerweile ist der Pater zu einer Figur herangewachsen, die das Potenzial hat, Russlands Kirche zu spalten. Dem Geistlichen werden drei Klöster in der Region Swerdlowsk mit einer Gesamtfläche von mehr als 100 Hektar zugeschrieben. Anhänger sollen ihre Pässe verbrannt, die eigenen Wohnungen verkauft und das eingenommene Geld an ihn weitergegeben haben. Zudem genießt der Priester prominente Unterstützung wie die des Eishockeyspielers und Olympiasiegers Pawel Datsjuk. Der kremltreuen Juristin und Duma-Angehörigen Natalja Poklonskaja, die aufgrund ihres schüchtern wirkenden Auftretens zum Internettrend in Japan avancierte, dient Sergij angeblich als Beichtvater.

Ein Einlenken Sergijs scheint nicht in Sicht

Zusammen mit den Zareboschniki demonstrierte die Politikerin 2017 gegen die Ausstrahlung von Alexei Utschitels Film „Matilda“, in dem Nikolaus II. (gespielt von Lars Eidinger) eine Romanze mit der Ballerina Matilda Kschessinskaja führt. Im Rahmen des ultra-konservativen Widerstandes gegen Utschitels Streifen kam es über Monate hinweg zu Attacken auf das Büro des Regisseurs. Poklonskaja gestand später Fehler in ihrem damaligen Verhalten ein.

Pater Sergij weiß um seinen Einfluss. Dem Verfahren, das die Kirche gegen ihn eröffnet hat, blieb er fern. In Sredneuralsk lassen ihn derweil die russischen Behörden gewähren. Von seinem neuen und zugleich alten Sitz aus lässt der Pater kämpferische Töne erklingen. „Mein Herz ist ruhig, mein Gewissen verrät mich nicht“, verkündet Sergij in einen seiner Botschaften. Die heilige Autorität werde das Kloster schon selbst „stürmen“ müssen, um ihn loszuwerden. Inzwischen hat ihn die Diözese in Jekaterinburg offiziell des Priesteramtes enthoben.

Patrick Volknant

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