Fabelhafte Welten: Juri Norstein im Jüdischen Museum

Im Moskauer Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz entführt die Ausstellung „Schnee auf dem Gras“ den Besucher bis 9. Januar in die faszinierende Welt des wohl berühmtesten sowjetischen Zeichentrickkünstlers.

Die Ausstellung "Schnee auf dem Gras" im Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz Moskau
Stimmungsvolle Kulisse im Jüdischen Museum (Sergej Kiseljow/ Agentstwo „Moskwa“)

Juri Norstein, geboren 1941 in Pensa, ist eine Legende in der Welt der Zeichentrickfilme. Seine vor allem in den 1970er Jahren entstandenen Arbeiten beeinflussen bis heute Künstler in aller Welt. Norsteins Bilder sind geprägt von dunklen Farbtönen, minimalistischen Zeichnungen und einer melancholischen, manchmal fast mystischen Grundstimmung. Diese Mischung ist Generationen von Kindern tief im Gedächtnis geblieben.

Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Francesca Jarbusowa, schaffte Norstein Werkezwischen Malerei, Film und Poesie. Gerade die Einfachheit von Darstellung und Handlung versetzt Zuschauer seit Jahrzehnten ins Staunen. Wenn zum Beispiel in dem nur knapp 10-minütigen Film „Der Igel im Nebel“ der Titelheld immer tiefer in die Schwaden eines dichten Nebels vordringt und dabei nur leise vor sich hinmurmelt, fällt die Szenerie zunehmend aus der Zeit.

Kunst und Biographie verknüpft

Die Ausstellung „Schnee auf dem Gras“ im Jüdischen Museum zeigt, wie Norsteins ausdrucksstarke Bilder zum zwangsläufigen Bestandteil einer jeden spätsowjetischen Kindheit wurden. Neben Skizzen zu den späteren Meisterwerken greift sie dazu auf eigene Texte des Künstlers zurück. „Drehbücher sind für mich nicht die Grundlage von Filmen“, liest man da etwa. „Wenn eine persönliche, lebendige Assoziation Teil des Films ist, dann erst beginnt er aus sich selbst heraus zu wachsen.“

Der Hauptteil der Ausstellung besteht aus einer Reihe raumfüllender Installationen. Diese legen Verbindungen zwischen Fragmenten aus Juri Norsteins Filmen und seiner Biografie offen. Eine davon ist dem Hof in Marjina Roschtscha gewidmet, auf dem Norstein seine Kindheit verbrachte. Dort stehen die Besucher vor Fotos der alten Moskauer Holzhaussiedlung oder auch Alltagsgegenständen aus der Nachkriegszeit, wie zum Beispiel einem alten Grammophon. All das ist längst der Geist früherer Tage, denn in dieser Form existiert Marjina Roschtscha schon lange nicht mehr.

Nostalgie und Zeitlosigkeit

Wie sehr sich Norsteins nostalgische Erinnerung an das Viertel seiner Kindheit in seinen Filmen niedergeschlagen hat, wird dem Zuschauer verdeutlicht, indem die Installation materielle Zeitzeugnisse mit Szenen aus den Werken und Norsteins eigenen Erklärungen verschränkt. In „Die Geschichte der Geschichten“ etwa blickt die Hauptfigur, ein kleiner Wolf, mit traurigen Augen herab von der Schwelle eines Hauses. Dass dieses längst nicht mehr steht, ahnen Besucher an diesem Punkt bereits.

„Dieser Held gehörte zu meiner Kindheit“, wird der Künstler dann zitiert. „Mir scheint, er ist in dem Haus geblieben, das wir damals verlassen haben. Ich weiß nicht einmal, was aus ihm wurde, als sie es abgerissen haben. In jedem Haus gibt es, nein, muss es einen Hausgeist geben.“ Mögen die Orte aus Juri Norsteins Kindheit auch lange der Vergangenheit angehören, gelang dem Künstler doch immerhin das Kunststück, sie in seinem Werk fortleben zu lassen. Von genau dieser Zeitlosigkeit der Kunst erzählt „Schnee auf dem Gras“.

Antonina Tschjertasch

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