Kinetische Kunst ist eine Ausdrucksform, die Bewegung zum integralen ästhetischen Bestandteil des Kunstobjekts macht. Dies gilt auch dann, wenn sich das Objekt nur scheinbar verändert, weil der Betrachter sich bewegt oder auch die Bewegung lediglich vorgetäuscht wird. Hier liegt die Verbindung zur Op-Art, die von manchen Betrachtern als Teil der kinetischen Kunst gesehen wird. Dabei will die Op-Art selbst mit Hilfe präziser abstrakter Formen und geometrischer Figuren überraschende und irritierende Effekte schaffen.
„Transatlantische Alternative. Kinetische Kunst und Op-Art in Osteuropa und Lateinamerika in den 1950ern bis 1970ern“ und „Atom (1967/2018)“ heißen die beiden Ausstellungen, die das Museum für moderne Kunst „Garage“ jetzt gemeinsam mit dem Warschauer Museum für Moderne Kunst dem Moskauer Publikum präsentiert.
Eine Verbindung zwischen Osteuropa und Lateinamerika
Die „Transatlantische Alternative“ wirft einen neuen Blick auf die Weltkarte der Kunst, folgt den Wegen künstlerischer Gedanken, ohne Zentren wie New York oder Paris zu beachten und ändert die Vorstellung davon, was Zentrum ist und was Peripherie. Sie folgt künstlerischen Tendenzen, die sich parallel zu den uns bekannten, wie dem abstraktem Expressionismus und lyrischer Abstraktion, entwickelt haben. Und stellt eine Verbindung zwischen den Kulturzentren Osteuropas, wie Moskau oder Warschau, und Lateinamerikas, wie Buenos Aires oder Caracas, her.
Für viele Künstler Lateinamerikas und Osteuropas symbolisierte diese Bewegung eine neue Subjektivität und Möglichkeit, die Erfolge des wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes in die utopische soziale Mission der Kunst einzubringen.
Die Moskauer Kuratoren haben ein besonderes Augenmerk auf sowjetische Künstler gelegt. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten der Gruppe „Dwischenie“. Sie vereinte ab 1962 die Ideen der russischen Avantgarde mit der enthusiastischen Vision des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts der Raumfahrt. In der „Garage“ ist auch das Forschungsinstitut „Prometheus“ aus Kasan vertreten. Dessen Gründer Bulat Galejew entwarf Licht-Musikinstallationen zur Entspannung der Kosmonauten im Weltall. Zugleich war er der erste sowjetische Videokünstler.
Die Künstler verstanden sich nicht als Underground
Was die sowjetischen Kinetik- und Op-Art-Künstler so interessant macht, ist, dass sie die einzigen Vertreter der Nachkriegsmoderne waren, die sich nicht bewusst als Underground verstanden und sich Public-Art-Projekte ausdachten und diese auch verwirklichten.
So entwarf „Dwischenie“ die Lichtgestaltung zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution in Leningrad und „Prometheus“ arrangierte zum Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg in den 1970ern die Vorstellung „Ton und Licht“, die den Krieg durch Schüsse, deutsche Befehle und Hundegebell spürbar werden ließ.
Ein weiteres Beispiel effektvoller Public-Art hat das Museum mit „Atom“ von Wjatscheslaw Kowaltschuk im Hof nachgebaut. Diese Installation, die einst vor dem Institut für Atomwissenschaften der Akademie der Wissenschaften stand, bewegt sich dank Windenergie sowie Licht- und Musikeffekten.
Begleitet wird die Bewegung des „Atoms“ von einer eigens komponierten Musik. Die ursprüngliche, vom berühmten Lew Termen ersonnene, ging verloren. Und so wurde eine neue Musik geschrieben, für das Ovaloid, ein Instrument, dass Kowaltschuk selbst erfunden hat.
Insgesamt umfassen die beiden Ausstellungen über 100 Werke. Darunter befinden sich kinetische Skulpturen, Bilder, Zeichnungen, Filme, Installationen und einzigartige Archivdokumente, die einen besonderen Zugang zu den oft bewegten Biografien der Künstler und ihrer Familien ermöglichen.
Die Ausstellung „Transatlantische Alternative. Kinetische Kunst und Op-Art in Osteuropa und Lateinamerika in den 1950ern bis 1970ern“ ist noch bis zum 9. Mai im Museum für Moderne Kunst „Garage“ im Gorki-Park (ul. Krimskij Wal 9) zugänglich. Die Installation „Atom (1967/2018)“ ist noch bis zum 26. August zu sehen.