Die Atmosphäre der Kindheit

Wenn in der Außenwelt alles merkwürdig, unverständlich und sogar schrecklich ist, möchte man in das Reich der Fantasie flüchten. Diese Möglichkeit bietet der Clown Slawa Polunin den Moskauern nun. In den Ausstellungsräumen der Manege läuft die Ausstellung „Die Luftschlösser Slawa Polunins“, wo sich jeder wie ein Kind fühlen kann.

In diesen Zelten geschehen Wunder / Anna Hanikjainen


Werktags, 12 Uhr mittags. Vor dem Eingang der Manege hat sich eine lange Schlange gebildet, alle wollen in die Ausstellung Slawa Polunins gelangen, sie läuft schon einige Tage. „Und so geht es jeden Tag“, sagt die Pressesprecherin Sofia Kozitsch. „Aber wir können nicht mehr als zweitausend Besucher während der Öffnungszeiten hereinlassen.“ Die Ausstellung sollte schon vor zwei Jahren, zum 70. Geburtstag Polunins, eröffnet werden, aber wegen der Pandemie musste sie verschoben werden. Das ist vielleicht sogar gut so, dass sie gerade jetzt ihre Türen öffnet, wo man viel mehr an Wunder glauben will.

Slawa Polunin ist wohl der bekannteste Clown in Russland, seine Figur Asisjaj aus der „Schneeshow“ lieben die Kinder abgöttisch. Das Genre Polunins ist die Commedia dell’arte, eine gewöhnliche Theaterbühne ist ihm zu klein, deshalb hat er sich einige Straßenfestivals ausgedacht. Das bekannteste unter ihnen ist „Die Karawane der Welt“, die Theater- und Zirkusgruppen aus Europa vereinigt.

Sein Theather „Lizedej“ und der Geschäftsbetrieb „Snowshow“ schaffen wunderbare Stücke zu den ewigen Themen Liebe, Freundschaft und Frieden auf der ganzen Welt. Für diese Stücke werden stets ungewöhnliche Bühnenbilder und Spezialeffekte geschaffen. Wer einmal in einer solchen Show war, vergisst sie nie mehr.

Wie eine Show ist auch die Ausstellung „Luftschlösser“ aufgebaut. Die riesige Fläche der Manege nehmen Zelte ein, in jedem erwartet die Besucher eine Überraschung. Damit man sich nicht verläuft, führt ein roter Weg von Zelt zu Zelt. Wer den Weg satt hat, kann auf weichen grünen Rasen ausweichen. Er ist auch Teil der Ausstellung.

Die Zelte stellen die verschiedenen Etappen der künstlerischen Biografie Polunins dar. Man kann in die Werkstatt der Stücke schauen, kann sehen, wie sie entstehen und wer sie macht. Sie werden als eigenwillige Bushaltestellen in der Welt der Fantasie dargestellt.

Die erste Haltestelle heißt „Weißer Karneval“ (in Zusammenarbeit mit dem Künstler Alexej Kostroma, der in Berlin lebt). Es ist ein kugelförmiger blendend weißer Raum, von den Wänden und von der Decke hängt etwas, das man als Federn wahrnehmen könnte, aber es ist weißes Konfetti, und man geht darin umher wie in einem Traum. Nach Polunins Interpretation ist „Weißer Karneval“ die Welt der Träume, die Welt der Wunder, der Ort, wo alles anfängt. Wenn es einen „Weißen Karneval“ gibt, muss es unbedingt auch einen „Bunten Karneval“ geben. Der ist im nächsten Zelt. Es ist innen mit vielen bunten Bändern geschmückt, du denkst, du bist in einen vielfarbigen Regen geraten, bei dem man keinen Schirm braucht. Das ist doch die Welt Slawa Polunins, hier kann dir nichts Schlechtes passieren!

„Weißer Karneval“ / Maria Schelesnowa


Im Zelt „Schwärmer“ befindet man sich in der Kindheit Slawa Polunins. Das Innere des Zeltes empfindet einen Hinterhof nach, mit Bänken, mit gespannten Wäscheleinen, auf denen Wäsche trocknet, mit einem großen Baum, der bis in den Himmel ragt und auf den man unheimlich gerne klettern möchte. In Abständen ertönt eine weibliche Stimme „Slawa, komm nach Hause“. Polunin wollte die Atmosphäre seiner Kindheit in einer Kleinstadt im Gebiet Orjol lebendig machen, wo alle einander kannten, wo die Kinder von früh bis spät draußen spielten.

Über die Kindheit Polunins ist nun alles klar, aber es stellt sich die Frage, wie der Clown Polunin entstand? Darüber erzählt das Zelt „Die Geburt des Clowns“. Innen spannt sich ein riesiger Sternenhimmel, aber nicht er ist es, der beeindruckt, sondern der gigantische gelbe Mond – das Symbol des Clowns Asisjaj, der immer gelb gekleidet ist. Wie die Legende erzählt, tauchte im Universum ein kleiner gelber Punkt auf – der gelbe Clown, dessen Mission es ist, die Leere mit Freude und Güte zu füllen.

Diese Mission erfüllt er schon viele Jahre. Ein bisschen kann man darüber im Zelt „Karawane der Welt“ erfahren, das von den gleichnamigen Festivals der Straßentheater erzählt. Polunin ist einer der Gründer des Festivals. Erstmals fand es 1989 statt, es begann in Moskau und endete in Paris. Die Truppen traten unter anderem auch in Westberlin auf. „Damals war es schon nicht mehr so schwer, eine Einreiseerlaubnis nach Europa zu bekommen. In Berlin wollten wir neben den Theatervorstellungen noch durch das Stadtzentrum marschieren, auch durch den Ostteil der Stadt. Aber die DDR-Obrigkeit gestattete es nicht,“ erinnert sich die Kuratorin der Ausstellung und „Kampfgefährtin“ Slawa Polunins Natalja Tabatschnikowa. Unter der Decke des Zeltes hängen bunt angemalte Fahrräder. „Diese Fahrräder brachten wir aus der UdSSR mit nach Berlin. Der Rubel war keine konvertierbare Währung. Aber wir mussten die europäischen Künstler bezahlen. So haben wir gute Fahrräder gekauft und damit bezahlt“, erklärt Natalja Tabatschnikowa.

Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Juli geöffnet. Nehmen Sie unbedingt Ihre Kinder mit!

Ljubawa Winokurowa

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