Anfang Oktober schleppte Jewgen Klopotenko einen randvoll mit Borschtsch gefüllten Fünf-Liter-Topf ins ukrainische Kulturministerium, wuchtete die dampfende Suppe auf einen Bürotisch und schaute erwartungsvoll in die Runde. „Das müssen wir jetzt unterstützen!“, appellierte der ukrainische Starkoch an die bereits versammelte Expertenkommission – und schenkte aus. Nach zweieinhalb Stunden Diskussion und mehreren Tellern Eintopf waren sich die Beamten einig: Die Rote-Beete-Suppe sei urukrainisch – und müsse als solche Weltkulturerbe werden. Einen entsprechenden Antrag will das Kiewer Kulturministerium im kommenden Jahr bei der UNESCO einreichen.
Ein Eintopf und die Frage der ukrainischen Identität
Mit der Initiative will Klopotenko gegen die verbreitete Vorstellung ankämpfen, Borschtsch sei eine russische Suppe. Dies würden nämlich viele Russen im Ausland verbreiten, behauptet der empörte Ukrainer auf seiner Facebook-Seite. „Mir sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als ich das vor zwei Jahren zum ersten Mal erfahren habe“, schimpfte der patriotische Koch, der mit YouTube-Videos, Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln für die traditionelle ukrainische Küche kämpft. „Der Borschtsch muss geschützt werden“, fordert Klopotenko eindringlich. „Es geht nicht nur um Essen, sondern um die kulturelle Identität der Nation.“
Für seine große Mission scheute der 33-Jährige keinen Aufwand. Klopotenko gründete eine eigene Nichtregierungsorganisation und scharrte ein Dutzend engagierter Experten, Ethnographen und Historiker um sich. Diese entsandte er im vergangenen Sommer auf eine große Borschtsch-Expedition durch alle 26 Regionen des osteuropäischen Landes, einschließlich der Halbinsel Krim.
Monatelang suchten die Borschtsch-Forscher nach uralten Familienrezepten, befragten Hausfrauen nach Kochtricks und fotografierten lokale Varianten der Suppe. Am stärksten beeindruckte die Forscher die Region Wolhynien an der polnischen Grenze. Dort habe man ihnen tiefroten Borschtsch aus dem Blut eines frisch geschlachteten Bären aufgetischt, erinnerten sich die Expeditionsteilnehmer in der ukrainischen Presse. Die Ergebnisse des Trips reichte Klopotenko anschließend beim Kulturministerium ein. Sie sollen die Basis für den Unesco-Antrag bilden, der die ukrainische Kunst der Borschtsch-Zubereitung als immaterielles Kulturerbe festschreiben soll.
Es begann mit einem russischen Tweet
Dass der Streit tatsächlich viele Ukrainer bewegt, zeigte sich im vergangenen Mai. Damals hatte das russische Außenministerium Borschtsch in einem vier Zeilen langen Tweet als eines der „berühmtesten und beliebtesten Gerichte Russlands“ bezeichnet.
In der Ukraine, die sich seit der russischen Aggression auf der Krim 2014 in einer tiefen Krise mit Moskau befindet, kam das gar nicht gut an. Viele Ukrainer empfanden den Tweet als Kriegspropaganda und reagierten verärgert. „Hände weg von unserem Borschtsch“, lautet einer der entrüsteten Kommentare. Ein weiterer Versuch kultureller Aneignung, empörten sich andere. „Als wenn der Raub der Krim nicht schon genug wäre, klaut ihr der Ukraine jetzt auch noch den Borschtsch!“
Esst lieber Schtschi!
Im April kochte der Suppenkrieg dann über. Ein russische Militärarzt, Mitglied der russischen Corona-Hilfsmission für Italien, berichtet auf Facebook von einer kulinarischen Dankesgeste der Italiener. Diese hatten für die Katastrophenhelfer Borschtsch gekocht.
Ukrainische User waren empört und warfen den Italienern daraufhin fehlende Achtung vor. Man hätte den Russen Schtschi (russische Kohlsuppe, Anm. d. Red.) vorsetzen sollen, schimpften sie und posteten dutzende ukrainische Flaggen unter dem Beitrag.
Und was sagen die Polen?
Doch die ukrainische Initiative dürfte es schwer haben. Denn Borschtsch wird seit Jahrhunderten in den meisten osteuropäischen Küchen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer gekocht. In russischsprachigen Quellen taucht Borschtsch als Eintopf aus roter Beete und Bärenklau bereits im 16. Jahrhundert auf.
Wie Klopotenko beweisen will, dass die Suppe ukrainischen Ursprungs ist, bleibt fraglich. Leser der britischen Times, welche dem bizarren Konflikt einen großen Bericht widmete, witzelten bereits über die Frage, wann sich die Polen in die hitzige Auseinandersetzung einmischen würden.
Schulterzucken in Moskau
In Russland reagierte man relativ gelassen auf die Initiative. Die Ukraine habe wieder mal einen Anlass für einen Skandal gefunden, stichelte die „Rossiskaja Gazeta“, das Amtsblatt der Regierung. Das Vorhaben werde viel Kritik hervorrufen, da Borschtsch von Lettland bis Rumänien zubereitet werde. Darüber hinaus blieb ein größeres Medienecho aber aus.
Auch russische Intellektuelle hatte nicht mehr als ein Schulterzucken parat. Kiew verplempere mit dem Vorhaben nur seine Zeit, befand Andrej Makarewitsch, Leader der legendären Rockband „Maschina Wremeni“ und Ex-Moderator der Kochsendung „Smak“. „Was die Ukrainer damit erreichen wollen, ist mir unbegreiflich“, erklärte er gegenüber der Online-Zeitung „politros“ und verwies auf hunderte verschiedene Rezepte, darunter russische und ukrainische. Wie wolle man da noch feststellen, woher die Suppe komme? „Sollen sie ruhig denken, dass Borschtsch ukrainisch ist“, so der Musiker. „Mir wird davon nicht wärmer oder kälter“.
Birger Schütz