„Am Anfang haben es einige der Studenten nicht ganz ernst genommen“, erzählt Olga Baranowa, „doch das hat sich schnell eingespielt. Jetzt sehen sie, dass wir ganz normale Seminare machen, nur unter anderen Umständen.“ Wie zahlreiche ihrer Kollegen an Universitäten und Colleges musste die Dozentin für Kunstgeschichte und Design wegen der Coronakrise innerhalb kurzer Zeit ihre komplette Arbeit auf Online-Kurse umstellen. Statt im Seminarraum sitzen die Studenten zuhause am Laptop. E-Learning nennt sich das in Fachkreisen. Olga Baranowa lehrt am College IGUMO im Moskauer Stadtteil Ismajlowo. Schon Mitte März, noch vor Ausgangsbeschränkungen und „Putin-Ferien“, schickte die Leitung der Hochschule sicherheitshalber alle Studierenden nach Hause.
„Wir hatten schon vorher Online-Materialien für die Studenten auf unserer Website. Im Prinzip waren wir ganz gut aufgestellt“, sagt sie im Rückblick auf die Vorbereitungsphase. Einen Tag habe es gedauert, dann stand die Technik. An ihrer Hochschule ist die Software „Teams“ im Einsatz. Damit lassen sich nicht nur Vorlesungen, sondern auch Seminare, bei denen es auf die Mitarbeit der Studenten ankommt, ins Netz verlagern. „Die Studenten sehen mich und wenn es nötig ist, kann ich sie auch sehen.“
„Durchaus positive Seiten“
In ihren Seminaren zur Kunstgeschichte bespricht sie meist Bilder mit ihren Studenten. „Das funktioniert sehr gut“, so Olga Baranowa. Wenn praktische Arbeiten zu erledigen sind, dann fotografieren sie die Studenten mit dem Smartphone.
Sie sieht durchaus positive Seiten an den Online-Seminaren. „Wir verschwenden weniger Zeit im öffentlichen Nahverkehr, es bleibt viel mehr Raum für andere Dinge.“ Sie kann sich vorstellen, öfter so zu arbeiten. Dennoch hält sie den direkten Kontakt für unverzichtbar. „Es gibt einfach Momente beim Unterrichten, die für die Studenten sehr einprägsam sind, wenn man etwas gemeinsam anschaut oder erklärt, das geht nicht immer online.“
Diskussionen kommen schwer in Gang
Ihre Kollegin Maria Borisowa lehrt Psychologie und kann sich weniger damit anfreunden. „Es ist schon eine seltsame Situation, wenn man eine Frage stellt und alle Studenten schweigen einfach“, berichtet sie. „So etwas gibt es im normalen Seminar nie.“ Sie wurde etwas mehr ins kalte Wasser geworfen durch die Umstellung. „Ich hatte vorher nur Erfahrung mit Online-Vorträgen. Die Software war erst einmal gewöhnungsbedürftig, aber jetzt läuft es gut“, berichtet sie.
Bei ihr halten die Studenten oft Präsentationen, die dann gemeinsam besprochen werden. Schwierig sei es, Diskussionen zwischen den Studenten anzuregen, etwa in Gruppen. „Das funktioniert im Raum einfach besser“, so Maria Borisowa. Ihre Studenten seien zwar sehr diszipliniert und nähmen regelmäßig an den Kursen teil. „Aber sie wollen wieder normal leben.“ Für die Dozentin ist klar: „Online unterrichten ist möglich, aber mir ist es auf die klassische Weise lieber.“
Die Studenten haben die Distanz statt
Ähnlich geht es Irina Tarchanowa von der Pädagogischen Universität in Jaroslawl. Sie lehrt Sozialpädagogik und Soziale Arbeit. Hier wird mit Skype und der Lernplattform Moodle gearbeitet. Auf Skype wird diskutiert, Aufgaben und Materialien werden über Moodle verteilt. „Wir hatten nicht viel Zeit und mussten ziemlich improvisieren“, erzählt sie. Ihr fehlt die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Den Studenten gehe es ähnlich. „Sie haben die Distanz satt“, berichtet sie. Die Arbeit mit Moodle sei zudem sehr aufwändig, insbesondere das schriftliche Feedback fresse mehr Zeit als im Seminarraum.
Doch bei allem Ärger hat der Online-Betrieb auch seine kuriosen Seiten. „Es gibt schon auch lustige Situationen. Zum Beispiel, wenn ein Student sein Projekt vorstellt und man im Hintergrund sieht, wie sich seine beiden jüngeren Brüder raufen“, erzählt Irina Tarchanowa schmunzelnd.
Jiří Hönes