Neue Heimat in der Steppe

In diesem Jahr feiert die Kleinstadt Slawgorod in der Region Altai ihren 110. Geburtstag. Jakow Grinemajer ist mit ihrer noch jungen Geschichte vertraut, in der Russlanddeutsche eine tragende Rolle spielten. Im Stadtmuseum sind derzeit historische Fotos aus seiner Sammlung zu sehen.

Slawgorod: Gemeindevorsteher der Kulundasteppe, darunter Jakow Rejmer (mit grauem Bart)
Gemeindevorsteher der Kulundasteppe, darunter Jakow Rejmer (mit grauem Bart) (Foto: Jakow Grinemaer)

Jakow Grinemaer fotografiert selbst seit seiner Kindheit. Von seiner Kamera trennt er sich nie, wie er sagt. „Im Laufe meines Lebens sind diese oder jene Momente der Geschichte schon auf die eine oder andere Art umgedichtet worden. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber ein Foto zeigt immer Dasselbe. Daher ist für mich die Fotografie das wahrhaftigste Zeitdokument“, sagt der pensionierte Ingenieur für Radiotechnik.

Als jemand, der sich für die heimische Geschichte begeistert, lag es für ihn daher nahe, auch nach historischen Fotografien zu suchen. Zuerst im Familienarchiv, dann in Alben von Verwandten und Freunden, in Museen, Büchern, Zeitschriften und im Internet. Schon mehrere Bildbände zur Geschichte der Russlanddeutschen in der Altai-Region sind aus dieser Leidenschaft entstanden. Jetzt hat er eine Ausstellung zum 110. Jubiläum seiner Heimatstadt Slawgorod zusammengestellt. Die 180 historischen Aufnahmen und 80 Tafeln sind im Stadtmuseum zu sehen.

Ein Kind der Agrarreform

Im Gegensatz zu alten Städten, deren Geburtstage sich aus Ersterwähnungen in mittelalterlichen Urkunden ergeben, ist die Geschichte Slawgorods von Anfang an fotografisch dokumentiert. „Die Geschichte der Stadt steht in direktem Zusammenhang mit der ‚Stolypinskaja‘ genannten Agrarreform in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts“, erzählt Jakow Grinemaer. „Sie hatte ihren Namen vom damaligen Ministerpräsidenten Pjotr Stolypin.“ Die Reform sah vor, Bauern aus Gegenden, in denen es an bebaubarem Land mangelte, nach Sibirien umzusiedeln. Das betraf vor allem Zentralrussland und die südliche Ukraine.

„Die Stadt Slawgorod spielte als Handelsplatz eine wichtige Rolle bei der Besiedlung der Kulunda­steppe“, so Jakow Grinemaer. „Die Russlanddeutschen waren sowohl unter den Bauern als auch in allen Schichten der Stadtgesellschaft sehr stark vertreten.“

Ein Russlandeutscher kämpfte für den Bahnbau

Eine herausragende Figur war etwa Jakow Rejmer. Noch in der Ukraine hatte er als Gemeindeunteroffizier wegen der Umsiedlungen brieflichen Kontakt zu Pjotr Stolypin aufgenommen. Als der Premierminister 1910 die Umgebung von Slawgorod besuchte, kam es zu einem Treffen. „Dabei bat Jakow Rejmer um den Bau einer Eisenbahn für den Export der landwirtschaftlichen Produkte zum Bahnhof Tatarskaja, wo die Transsibirische Eisenbahn verkehrte“, berichtet Jakow Grinemaer. Rejmer hatte Erfolg: Schon wenige Jahre später erreichte der erste Zug Slawgorod.

Der Name der Stadt hat sich im Gegensatz zu den vielen deutschen Ortsnamen in der Altai-Region nie geändert. Ukrainische Siedler haben ihn aus ihrer Heimat mitgebracht, wo es eine gleichnamige Siedlung gibt, so Jakow Grinemaer.

All das lässt sich in der Ausstellung anschaulich erleben. Wer den Weg nach Sibirien scheut, hat jedoch auch die Möglichkeit, auf Jakow Grinemaers Facebook-Seite einen Teil der Fotos zu bestaunen. Er veröffentlicht dort regelmäßig und hat sich eine große Fangemeinde erarbeitet.

Jiří Hönes

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