Schwänke aus Sibirien: Wenn russisches Leben auf deutschen Humor trifft

Lange wollte sie niemand veröffentlichen, nun sind die Schwänke des Russlanddeutschen Adolf Walter (79) aus Sibirien auf YouTube zu sehen. Das Deutsch-Russische Haus in Omsk hat entsprechende Videos auf den eigenen Kanal hochgeladen. In einem davon sagt Walter, Schwänke seien „die Schatzkammer der deutschen Folklore“. Hier erzählt er seine Geschichte.

Meister der Schwänke: Adolf Walter hält ein Stück Kulturgeschichte der Russlanddeutschen hoch. Halb auf Russisch, halb auf Deutsch nennt man Vertreter seines Fachs in Russland „Schwankisten“ (Foto: YouTube Deutsch-Russische Haus Omsk)

Ich werde oft gefragt, warum ich nicht nach Deutschland ausgewandert bin. In der Tat lebt meine gesamte Verwandtschaft dort. Aus unserer großen Familie – wir waren zehn Kinder – bin nur ich noch in Russland. Deutschland ist nichts für mich. Ich habe zweieinhalb Jahre dort verbracht und begriffen, dass das nicht mein Zuhause ist. Ich bin hier geboren, hier ist meine Heimat. Wir Russlanddeutschen sollten nicht weggehen. Wir können auch hier Deutsche bleiben. Ich bin Optimist und glaube an unsere gute Zukunft.

Schwänke habe ich erst relativ spät angefangen zu schreiben, ungefähr ab 2008. Vorher habe ich in erster Linie Gedichte und Erzählungen verfasst, zunächst auf Russisch, dann auf Deutsch. Mir war wichtig, vor allem von unseren Deutschen verstanden zu werden. Ich kann im oberhessischen, schwäbischen, Berliner und baye­rischen Dialekt schreiben. Die deutsche Sprache darf in Russland nicht aussterben. Das war der Hauptgrund, weshalb ich zum Deutschen übergegangen bin.

Ich verwende aber auch viele russische Wörter in meinen Schwänken. Wenn man unseren Deutschen sagt „Nimm den Becher vom Regal!“, dann versteht das nicht jeder. Sagt man stattdessen „Nimm den Kruschka vom Polka!“, ist allen alles klar. Ich möchte das Deutsche in Russland bewahren. In Margenau reden fast alle Deutschen bereits auf Russisch. Und wenn jemand noch den Dialekt beherrscht, dann spricht er Platt (Plautdietsch – d. Red.). Ich schreibe in diesem Dialekt nicht, verstehe ihn aber.


Zur Person: Adolf Walter

Wenn sich nicht die Weltgeschichte eingemischt hätte, dann wäre Adolf Walter 1941 nicht in Kasachstan zur Welt gekommen, sondern an der Wolga. Seine Eltern waren Wolgadeutsche, wurden jedoch nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion wie hunderttausende Mitbewohner in der sogenannten Wolgarepublik per Dekret Moskaus nach Osten deportiert. Bis zur fünften Klasse sprach Walter kein Russisch, sondern nur Kasachisch und Deutsch in einem oberhes­sischen Dialekt. Später studierte er Medizin und Pädagogik, war Chefarzt eines Krankenhauses auf dem Lande. 1996 zog Walter aus Kasachstan in das hauptsächlich von Deutschen bewohnte sibirische Dorf Pobotschino um. Seit zehn Jahren lebt er in Margenau, einem kleinen Ort gut 100 Kilometer westlich der Millionenstadt Omsk.


Meine Schwänke trage ich auf den Festivals der deutschen Kultur vor, die in der Omsker Region stattfinden. Ich trete gern vor den Omskern, den Einheimischen auf. Die meisten verstehen meine Geschichten auch ohne Übersetzung. Ich erzähle sie im Dialekt unter Beimischung von russischen Wörtern. Auf Hochdeutsch würde ihnen kaum jemand folgen können. Manchmal übersetze ich sie auch ins Russische. Aber dann verlieren sie ihre Würze, der Humor verflacht.

Manchmal frage ich das Publikum: Soll ich übersetzen? Fast immer kommt als Antwort, dass das nicht nötig ist. Andernfalls gibt es eben eine Übersetzung. Neulich war ich im Sanatorium, dort trifft man stets viele Deutsche. Bei solchen Kuraufenthalten lese ich oft Schwänke vor. Diesmal waren wir ungefähr 100 Leute, Deutsch konnten davon höchstens sechs. Also habe ich natürlich für alle übersetzt.

Ich bin mit deutschem Humor groß geworden. Unsere Sprache ist sehr reich daran. In meiner Kindheit, als die Leute arm waren und ständig unter Hunger litten, haben sich mehrere Familien bei jemandem zu Hause getroffen, wo dann die Erwachsenen lustige Geschichten erzählten und sich an witzige Begebenheiten aus ihrem Leben erinnerten. In meinem Repertoire gibt es einen Schwank über die Wolga, den ich von meinem Vater gehört habe, als ich klein war. Viele solche Geschichten habe ich aus dem Gedächtnis aufgeschrieben und dann damit begonnen, mir auch selbst welche einfallen zu lassen.

Als in Moskau noch die Zeitung „Neues Leben“ existierte, wurden dort viele Schwänke abgedruckt. Zum Beispiel die von Andreas Saks (sowjetischer Schriftsteller deutscher Abstammung – d. Red.). Er hat sie sich mit großem Vergnügen ausgedacht. Heute weiß ich nicht mehr alle Namen der Autoren, aber viele kannte ich persönlich, einige von diversen Festivals. In der Zeitung gab es damals eigens eine Rubrik unter dem Titel „Ein bisschen lächeln“. Später hat man sie nicht mehr gedruckt. Und es war auch keiner mehr da, der etwas hätte dazu beitragen können. Ich würde sagen, dass ich in der Omsker Re­gion und sogar in ganz Sibirien der Einzige bin, der noch Schwänke schreibt. Es gab da noch meinen engen Freund Artur Heinrichowitsch Jordan (am 31. Dezember 2018 gestorben – d. Red.), der sehr gut darin war. Er hatte mehr Erfahrung als ich, fing früher damit an. Mich hat er immer unterstützt. 

Meine Schwänke habe ich nie irgendwo veröffentlicht. Wobei der Wunsch schon da war, das will ich gar nicht verhehlen. Zwei, drei Mal bin ich mit den Manuskripten nach Omsk gefahren, doch ohne Erfolg. Und auch als ich meine Schwänke in elektronischer Form an den Mann zu bringen versucht habe, wollte sie niemand drucken. Mir hat das in der Seele wehgetan. Aber ich habe mir gesagt: Wenn das so ist, dann wirst du dich davon nicht unterkriegen lassen.

Jetzt, wo wir einige Schwänke auf Video aufgezeichnet haben, rufen mich die Leute aus Deutschland an, aus Kasachstan. Sie hätten mich gesehen, mir zugehört, sagen sie. Meine Söhne haben mir die Videos gezeigt. Interessant, sich mal von der Seite zu sehen.

Mein Schatz an Schwänken ist nicht sonderlich reich, ich habe nur zwölf dieser humoristischen Geschichten geschrieben. Alle sind aus dem Leben gegriffen. Am besten gefällt mir mein allererster Schwank „Die Poluchka“.

Aufgeschrieben von Mina Borodina und Jewgenija Gamowa

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