Orthodoxe Priester: Die Blogger Gottes

Junge Priester haben in den vergangenen Jahren das Internet für sich entdeckt. Hier kommunizieren sie mit ihrer Gemeinde, halten Predigten ab und missionieren. Ungeachtet der schrägen Blicke ihrer konservativen Kollegen haben sie damit den Nerv der Gläubigen getroffen. Russlands Jugend will eine Kirche, die mit der Zeit geht.

Pawel Ostrowskij äußert sich im Netz zu vielen Fragen rund um den Glauben. (Foto: instagram/pavelostrovski)

Pawel Ostrowskij ist Priester und Vorsteher der Georgs-Kirche in Nachabino, einer 45 000-Einwohner-Stadt nordwestlich von Moskau, Vater von drei Kindern und ein Medienstar. Beim orthodoxen Fernsehsender „Spas“ moderiert er mehrere Sendungen und auch auf YouTube gibt es bewegte Bilder von ihm. Ostrowskijs Lieblingskind ist aber Instagram, wo ihm mehr als eine halbe Million Menschen folgen.

Angefangen hat Ostrowskijs Medienkarriere 2017 mit Live­schalten, in denen er Fragen zum Glauben und zur Kirche beantwortete. Etwas später adaptierte er das Format für seine Instagram-Storys. Ohne Werbung für sein Profil zu machen, wuchs seine Follower-Zahl schnell auf 200 000.

Unter den Followern des Priesters sind sowohl seine Gemeindemitglieder als auch Menschen, die mit Religion allgemein und der Orthodoxie im Speziellen nicht viel am Hut haben. Sie alle sind von Ostrowsskij Antworten begeistert. Denn die bewegen sich außerhalb der Schablonen, in denen der orthodoxe Klerus oft denkt und handelt.

Statt langweiliger Moralpredigten und Verdammungen, die viele Menschen von Kirchenvertretern erwarten, antwortet Vater Pawel voller Humor. In den Gesprächen mit seinen Followern gibt er sich unbefangen und formlos. In einer einfachen Sprache spricht er über Familie und Glauben und auch ein wenig über Politik. Er hört aktuelle Musik und sieht sich gerne auch mal einen Film an. Außerdem unterstützt er die Impfung gegen das Coronavirus und die LGBT-Community.

Er selbst erklärt seine Aktivität damit, dass er junge Menschen in den Schoß der Kirche bringen möchte und die Orthodoxie so erklären will, dass sie interessant ist. „Ich habe damit aus Neugier und voller Energie angefangen, von der ich nicht wusste, wohin mit ihr. Momentan ist die gesegnetste Zeit für die Missionierung. Schließlich gibt es sehr viele, die nach Wärme dürsten, die ihnen Gott schenkt. Und sie suchen nach der Wahrheit.“

Spott und Aufklärung

Im Moskauer Norden hat Nikolaj Babkin seine Gemeinde. Auf Instagram folgen dem 30-Jährigen 380 000 Menschen, bei TikTok sind es immerhin 110 000. Wie auch Ostrowskij will Babkin vor allem aufklären. Er hat eine Online-Bibel-Bewegung gegründet, in der die Heilige Schrift studiert und religiöse Mythen auseinandergenommen werden. Außerdem hilft er Kindern mit Einschränkungen und Autismus. Der Pfarrer hat vier Kinder und mischt ordentlich bei deren Erziehung mit. Babkin meint, dass die sozialen Netzwerke ihn dazu brachten, das richtige Leben wertzuschätzen. Schließlich hat er seine Frau bei Vkontakte kennengelernt. Und Frau und Kinder verfolgen seine Posts und Storys aufmerksam. Eine der Story-Serien ist sogar dem Thema Geburt gewidmet. Babkin bei jeder der vier Entbindungen seiner Frau an ihrer Seite.

Auf TikTok verspottet Vater Nikolaj regelmäßig den Aberglauben der Gemeindemitglieder und klärt Mythen der Orthodoxie auf. In den Videos skizziert er ironisch Gläubige, die sich weigern, zum Arzt zu gehen, beantwortet Fragen zum fünfzackigen Stern auf dem Weihnachtsbaum und zu den Zigaretten, die in die Gräber Verstorbener geworfen werden und die der Priester dann aufsammeln muss.

IT-Priester in Belarus

Pawel Sergejew nennt sich selbst einen IT-Priester. Vor fünf Jahren schmiss er seinen Job als Marketingexperte im belarussischen Grodno hin und wurde in einem kleinen Dorf Pfarrer. Seine Begeisterung für Technologie, IT und soziale Netzwerke verlor Sergejew trotz des Jobwechsels nicht. Deshalb begann er seine Predigten bei Instagram zu streamen, an seinem Content in den sozialen Netzwerken zu feilen und sich Projekte auszudenken, die Menschen mit Beeinträchtigungen dabei helfen, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Eines dieser Projekte sind IT-Kurse, die Menschen mit Behinderungen helfen, Prüfer oder SMM-Spezialisten zu werden.

Für seine 12 000 Instagram-Follower schreibt Sergejew in seinem Blog über verschiedene Themen, etwa darüber, sich nicht schämen zu müssen, dass man Elon Musk vergöttert. „Ich mag Elon Musk sehr und bete für ihn. Ich wünsche mir für ihn, dass seine Rakete bis zum Mars und wieder zurück fliegt und dass alle seine Ideen aufgehen.“ Mit seinen Followern teilt er auch seine Meinung über umstrittene Filme, wie Paolo Sorrentinos Miniserie „The Young Pope“ und deren Fortsetzung „The New Pope“ über das Leben im Vatikan. „Flauschige und naive Häschen, keusche Asketen, empfindliche und verletzliche Christen mit einem dünnen Nervenkleid sollten das besser nicht schauen. Und sagt nicht, dass der Pfarrer seinen Segen gegeben hat. Ich habe damit nichts zu tun“, schreibt Vater Pawel in seinem Blog.

Immer mehr Priester gehen online

Immer mehr Geistliche entdecken die sozialen Netzwerke für sich, wenn auch nicht so kreativ wie Ostrowskij und Babkin. Die Männer Gottes verstehen die Generationen der Millenials und Zoomer und haben auch keine Angst vor Bloggern (Ostrowskij tauchte etwa im Kanal des bekannten Bloggers Ilja Warlamow auf) und der Wissenschaft. Sicherlich machen die Insta-Pfarrer nicht aus allen Agnostikern und Atheisten Kirchgänger. Mit den neuen Formaten aber verändern sie die Vorstellung der Kirche als verkrustete Einrichtung, die vielen Menschen im heutigen Russland als korrumpierte, lebensfremde und archaische Institution gilt.

Antonina Tschertatsch

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