Millionenstadt auf dem Lande: Wissenswertes aus 300 Jahren Perm

Wer mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok fährt, der kommt auch in Perm vorbei. Dort, am östlichen Ende von Europa, werden diesen Sommer 300 Jahre Stadtgeschichte gefeiert. Sieben Fakten zu der Millionenstadt an der Kama.

Blick auf die zentralen Viertel von Perm am Ufer der Kama (Foto: Rostec)

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Wie viele russische Städte bekam auch Perm zu Sowjetzeiten einen neuen Namen verpasst. 17 Jahre lang, von 1940 bis 1957, hieß es Molotow. Besonders daran war, dass die Um- und sogar die Rückbenennung zu Lebzeiten des Namensgebers stattfanden. Wjatscheslaw Molotow (1890-1986) war ein Spitzenpolitiker der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit in der Sowjet­union, Regierungschef (1930-1941) und Außenminister (1939-1949, 1953-1956). Am Vorabend seines 50. Geburtstags verfügte das Präsidium des Obersten Sowjets die Namensänderung von Perm. Als Chruschtschow den engen Vertrauten von Stalin später entmachtete, wurde die Sache rückgängig gemacht. Dass Molotows Name aber nie ganz aus den Nachrichten verschwand, dafür sorgt bis heute der Molotowcocktail.

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Die Wege in Perm können ziemlich lang werden. Am linken Ufer der Kama hat die Stadt eine Ausdehnung von rund 60 Kilometern. Ihre Fläche liegt irgendwo zwischen der von Berlin und Hamburg. Deshalb reichen Pläne für den Bau einer U-Bahn bis in die 1970er Jahre zurück, wurden aber nie verwirklicht und sind heute vom Tisch. Stattdessen nahm im Frühjahr 2022 eine sogenannte oberirdische Metro den Betrieb auf. Nach Moskauer Vorbild wurden vier „Diameter“-Linien und eine Ringlinie eingerichtet. Dabei handelt es sich um einen S-Bahn-Verkehr quer durch die Stadt mit Anbindung des Umlands. Zum Einsatz kommen die vom Siemens Desiro inspirierten Lastotschka-Nahverkehrszüge.

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Perm ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort und war es von Anfang an. Den Grundstein für die Stadt legte nämlich der Bau einer Kupferhütte im Jahr 1723. Deren Gründung gilt als offizieller Stadtgeburtstag.

In der Region hat bis heute die Kali- und Salzindustrie eine überragende Stellung inne. Ihre Wurzeln reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. In Perm selbst werden unter anderem Triebwerke für Russlands Flugzeugindustrie hergestellt, so auch das PD-14 für den künftigen Mittelstreckenjet MS-21, der sich noch in der Erprobung befindet. Wohl noch bekannter ist die Metropole aber als Waffenschmiede. Artillerie lief hier schon in den beiden Weltkriegen in großem Stil vom Band. Als Deutschland 1941 die Sowjet­union überfiel, wurden zahlreiche Fabriken in die Permer Region evakuiert, davon über 60 nach Perm selbst. Viele produzierten fortan Rüstungsgüter. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum Perm von Ende der 1940er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre für Ausländer geschlossen war.

Auch im US-amerikanischen „Plan Totality“ vom Sommer 1945 taucht die Stadt auf. Er enthielt die Namen von 20 sowjetischen Städten, die bei einem atomaren Erstschlag angegriffen würden. Es wird angenommen, dass es sich um einen Bluff handelte, der die Sowjet­union verunsichern sollte.

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Auch kulturell hat Perm viel zu bieten. Und das nicht in erster Linie deshalb, weil der legendäre russische Impresario Sergej Djagilew (1872-1929) hier aufwuchs und das Djagilew-Haus heute zu den prominentesten Museen der Stadt gehört. Vielmehr hat etwa das bereits 1870 eröffnete Opern- und Balletttheater einen ausgezeichneten Ruf. Ab 2008 begann sich Perm sogar als Kulturhauptstadt von Russland zu positionieren. In das aufwändig restaurierte ehemalige Abfertigungsgebäude für die Passagierschifffahrt zog (zunächst) PERMM ein, das Museum für Moderne Kunst. Perm galt mit seinen Festivals, seinen Kunstobjekten im öffentlichen Raum und einer neuen touristischen Navigation auf einmal als progressiv und angesagt. 2011 wurde der griechische Dirigent Teodor Currentzis Musikdirektor am Opern- und Balletttheater. Doch Kritiker schimpften, die „kulturelle Revolution“ sei fremdbestimmt und passe nicht zu Perm. Nach dem Amtsantritt eines neuen Gouverneurs 2012 erlahmte der Schwung sichtlich. 

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Wissenschaftler der geografischen Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität kamen 2020 in einer Studie zu dem Schluss, Perm sei die grünste Großstadt Russlands. Demnach sind 73 Prozent des Stadtgebiets mit Grün bedeckt. Das ist mehr als Doppelte des Werts von St. Petersburg.

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Etwa eine halbe Stunde dauerte am 20. September 2021 ein Amoklauf an der Permer Staatsuniversität. Der Täter Timur Bekmansurow, ein 18-jähriger Jurastudent im ersten Semester, tötete sechs Menschen. 60 weitere wurden verletzt, darunter auch der Schütze selbst: Ihm musste ein Bein amputiert werden. Ende 2022 wurde Bekmansurow zu lebenslanger Haft verurteilt.

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Perm mit seiner Verdichtung von Mensch und Material ist das ganze Gegenteil der ländlich geprägten Permer Re­gion. Die ist ungefähr halb so groß wie Finnland und noch dünner besiedelt. Bereits die zweitgrößte Stadt – Beresniki – hat nur 138.000 Einwohner. Entdeckt wurde die Gegend mit ihren Wäldern, Flüssen und Schluchten jüngst verstärkt auch für den Film.

Historisch erstreckte sich das Gebiet über das Vorland des Uralgebirges hinaus auch auf heutige Nachbarregionen. Bewohnt wurde es damals von finno-ugrischen Völkern. Die indigenen Komi-Permjaken zählen aktuell noch rund 80.000 Vertreter, das sind etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Überwiegend leben sie im autonomen Bezirk der Komi-Permjaken, der immerhin ein Fünftel der Region ausmacht. Nach der Volkszählung von 2002 stellten sie dort die Bevölkerungsmehrheit, neuere Zahlen liegen nicht vor.

In der Gegend spielt seit 2020 die TV-Erfolgsserie „Territorija“, zumindest angeblich, denn gedreht wurde an anderen, wenngleich nicht weniger abgelegenen Schauplätzen in der Region Perm. Versatzstücke aus der traditionellen Komi-Glaubenswelt jagen dem erstaunten Fernsehpublikum Schauer über den Rücken. Unweit der Drehorte von „Territorija“, dessen zweite Staffel Anfang des Jahres im Fernsehen lief, entstand in einem Dorf am Ural auch das starbesetzte Drama „Podelniki“. Ebenfalls in der Permer Region angesiedelt ist die Handlung des Mittelalter-Epos und letztjährigen Kino-Kassenschlagers „Das Herz von Parma“. Die Romanverfilmung erzählt von der Zeit, als das Fürstentum Groß-Perm im 15. Jahrhundert vom expandierenden Moskau unterworfen wurde. Die Anfänge des russischen Imperiums gerieten dabei zur Abwechslung alles andere als heroisch, sondern blutig und tragisch.

Tino Künzel

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