Kriegsheld Iwan Konew vom Sockel gestürzt

1945 jubelten ihm die Einwohner von Prag zu. Auf Bildern ist zu sehen, wie sie Spalier stehen für Iwan Konew, den Befreier. Doch 75 Jahre später war ein Denkmal für ihn in der Stadt nicht mehr wohlgelitten und wurde abgerissen. Nur ein Beispiel für neue Frontlinien in den historischen Perspektiven.

Nach 40 Jahren: Am 3. April wurde das Iwan-Konew-Denkmal in Prag demontiert. (Foto: Wikimedia Commons/Gampe)

Der erste Samstagabend im April klang gerade aus, da rumste es im Westen von Moskau heftig, so als sei etwas in die Luft geflogen. Einen Augenblick später, als das Bild auf den Ton folgte, war zu sehen, dass das auch stimmte. Der Nachthimmel über dem Siegespark wurde Punkt 22 Uhr für zehn Minuten von einem Feuerwerk erhellt, wie es sonst nur an Silvester und bestimmten Staatsfeiertagen zu bestaunen ist und normalerweise zahlreiche Schaulustige anlockt. Doch diesmal dürften viele Moskauer erst einmal in den Kalender geschaut und sich gefragt haben, was an diesem Tag wohl so besonders ist. Vermutlich mussten sie etwas suchen, um die Antwort herauszufinden: Am 4. April 1945 wurde Bratislava im Zweiten Weltkrieg durch Sowjet­truppen befreit. In Moskau gab es damals einen Ehrensalut. 75  Jahre später wurde nun auf ähnliche Weise an dieses Ereignis erinnert.

Die spektakuläre Form könnte exemplarisch dafür stehen, welch zentralen Stellenwert der Krieg im Selbstbild Russlands einnimmt. Dass sich einzelne Episoden in anderen Ländern zugetragen haben, spielt dabei keine Rolle. Nicht zuletzt sind bei den Kämpfen um Bratislava, Prag oder Warschau unzählige eigene Soldaten gefallen. Doch da ist noch etwas anderes: Russland versteht den Vormarsch der Roten Armee auf Berlin und die Schlachten gegen die Deutschen auf dem Weg dorthin als Teil eines gemeinsamen europäischen Schicksals, als alle auf derselben Seite standen gegen den einen Feind, der so viel Unheil über die Welt gebracht hatte. Das müsste doch eigentlich verbinden.

Kontroverse Sicht auf Stunde Null

Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Sieges zeigt sich, wie unterschiedlich die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Europas bewertet wird, vor allem im Lichte der Nachkriegsgeschichte. Speziell in den Ländern zwischen Moskau und Berlin, die in den sowjetischen Einflussbereich gerieten und fortan ein kommunistisches Lager bildeten, wird das Gemeinsame heute gern in Frage gestellt und von Russland eine kritischere Auseinandersetzung mit diesem Teil der Vergangenheit gefordert.

Allen voran gilt das für Polen. Während in Moskau am 17.  Januar ein Feuerwerk aus Anlass der Befreiung von Warschau vor 75 Jahren in den Himmel geschossen wurde, dient das Datum in diesem Warschau schon lange nicht mehr als Anlass für offizielle Feierlichkeiten. Es wird weithin als Beginn einer neuen Fremdherrschaft gesehen. Das polnische Außenministerium twitterte diesmal, die Rote Armee habe Warschau zwar von deutscher Besatzung befreit, „sie brachte den Polen aber keine Freiheit“. Außer der Freiheit von Krieg, Massenvernichtung und Rassenhass natürlich, müsste es der Vollständigkeit halber heißen, aber das scheint im Kontext der Unfreiheit im sowjetischen System keine Würdigung wert zu sein. In Russland wird man nie verstehen, wie überhaupt in einem Atemzug genannt werden kann, was den Polen im und nach dem Krieg widerfuhr. Die Russen haben allerdings auch ein mehrheitlich positives Bild der Sowjetzeit, wie Umfragen regelmäßig dokumentieren.

Kriegsheld Iwan Konew in Prag

Die Befreiung Prags war 1945 die letzte große Militäroperation des Zweiten Weltkriegs in Europa. Berlin war bereits gefallen, als die 1. Ukrainische Front der Roten Armee unter dem Befehl von Marschall Iwan Konew die „Heeresgruppe Mitte“ der Wehrmacht zur Kapitulation zwang und am 9. Mai unter großem Jubel in Prag einmarschierte. Die „Goldene Stadt“ blieb von größeren Zerstörungen verschont.

Konew hatte sich im Krieg nach anfänglichen Misserfolgen als einer der fähigsten sowjetischen Militärführer erwiesen, der den Deutschen eine Niederlage nach der anderen zufügte. 1944 wurde er zum Marschall der Sowjetunion befördert, ein Jahr, nachdem dieser Titel einem gewissen Josef Stalin verliehen worden war. Bekannt wurde er auch durch die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

Später war der zweifache „Held der Sowjetunion“ stellvertretender Verteidigungsminister der Sowjetunion, Oberkommandierender der Streitkräfte des Warschauer Vertrages – darunter in der Zeit der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes von 1956 – und während des Mauerbaus 1961 Oberkommandierender der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Der hochdekorierte Kriegsheld starb 1973 und wurde an der Kremlmauer beigesetzt. In der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten wurden Straßen nach ihm benannt, entstanden Denkmäler und Gedenktafeln zu seinen Ehren.

Denkmal heftig umstritten

Seit 1980 stand auf dem Platz der Internationalen Brigaden im Stadtbezirk Prag 6 ein Denkmal, das Konew in Anlehnung an die Straßenszenen von 1945 winkend und mit einem Fliederstrauß in der Hand zeigt. Jetzt wurde es mit Hilfe eines Kranes vom Sockel gehoben und soll in einem noch zu schaffenden Museum untergebracht werden. In den letzten Jahren hatte es heftige Auseinandersetzungen um die Bronzestatue gegeben, die auch wiederholt beschmiert worden war. Sogar Präsident Miloš Zeman schaltete sich zwischenzeitlich ein und verteidigte das Denkmal, während Kritiker von einem Symbol der Unter­drückung sprachen. 2018 wurde eine Infotafel angebracht, in der es unter anderem hieß, Konew sei an der Vorbereitung des sowjetischen Einmarschs während des „Prager Frühlings“ 1958 beteiligt gewesen.

Den Beschluss zum Abriss hatte der Stadtbezirksrat im vergangenen Herbst gefasst. Daraufhin löste eine Äußerung des damaligen russischen Kulturministers Wladimir Medinskij fast schon einen diplomatischen Skandal aus. Er bezeichnete den konservativen Bezirksbürgermeister Ondřej Kolář als „Gauleiter von lokalem Format“. Kolář hatte mehrfach gesagt, das Denkmal könne ja auf dem Gelände der Russischen Botschaft in Prag aufgestellt werden. Als die Statue nun von ihrem angestammten Platz entfernt wurde, versuchte er es auf Facebook mit einem Spruch, der vielen dem Ernst des Themas völlig unangemessen schien: Konew habe keine Schutzmaske getragen und damit gegen die Regeln verstoßen.

In Russland wird das Vorgehen als Affront empfunden. Die Russische Mission bei der OSZE sprach von einem „düsteren Tag“ für Prag. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu wandte sich an seinen tschechischen Amtskollegen Lubomir Metnar und ersuchte ihn um eine Übergabe des Denkmals an Russland. Man sei bereit, alle Kosten zu tragen. Doch Metnar erklärte sich für nicht zuständig, das Denkmal gehöre nicht dem Militär, sondern dem Stadtbezirk. Der will anstelle des alten Denkmals nun ein neues für „alle Befreier“ der Stadt errichtet lassen.

Tino Künzel

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