Interview: „Ein kleiner Boom in der Krise“

Was 2017 für die deutsche Wirtschaft in Russland brachte und wie es 2018 weitergeht: der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer Matthias Schepp blickt nach vorn und zurück

Schepp

2017 war für die Wirtschaft besser als befürchtet, aber schlechter als erhofft, sagt Matthias Schepp, Vorstandsvorsitzender der AHK. /Foto: AHK

Die Inflation ist so niedrig wie nie, die Landwirtschaft boomt und auch in anderen Branchen geht es aufwärts: Russland feierte 2017 das Ende der Krise. Wie erging es der deutschen Wirtschaft hierzulande? MDZ-Redakteurin Corinna Anton sprach darüber mit Matthias Schepp, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK).

 

Wenn Sie es in einem Satz zusammenfassen müssten: Wie war das Jahr 2017 für die deutsche Wirtschaft in Russland?

Besser als von manchen befürchtet, aber nicht so gut wie von manchen erhofft.

Welche positiven Überraschungen gab es?

Die deutsche Wirtschaft investiert nach wie vor sehr viel in Russland. Die Bundesbank hat für die ersten drei Quartale mehr als zwei Milliarden Euro deutsche Direktinvestitionen registriert. Abgesehen von einem Ausreißer wegen einer hohen Einzelinvestition im Jahr 2008 ist das ein Rekordwert. Dieser Trend spiegelt sich auch darin wider, wie häufig die AHK im vergangenen Jahr zu Grundsteinlegungen, Fabrikeröffnungen und Werkserweiterungen eingeladen war.

Was lief nicht so rund wie erhofft?

Die russische Wirtschaft wächst wieder. Und sie hat den Doppelschock aus niedrigen Rohstoffpreisen und Sanktionen insgesamt gut verkraftet. Aber ein Wachstum von rund zwei Prozent ist angesichts des Potenzials eigentlich zu wenig. Russland kann mehr.

Trotzdem wurde in Russland in den vergangenen Monaten das Ende der Krise gefeiert. Ist der Optimismus gerechtfertigt?

Der Stolz darauf, die schwierige Situation gut in den Griff bekommen zu haben, ist besonders aus makroökonomischer Sicht gerechtfertigt. Russland hat die niedrigste Inflation seit dem Zerfall der Sowjetunion mit deutlich unter drei Prozent, es hat die sechsthöchsten Währungsreserven weltweit mit steigender Tendenz und eine der niedrigsten Staatsverschuldungen. Wir können allerdings davon ausgehen, dass die Russen selbst um die Probleme im eigenen Land wissen. Das sind zum Beispiel Überbürokratisierung, die nach wie vor hohe Abhängigkeit von Rohstoffexporten, Vetternwirtschaft, Korruption. In manchen Bereichen wird es besser, in manchen nicht.

Eine Frage der Ähre

Was wurde 2017 besser?

Am deutlichsten beobachten lässt sich die dynamische Entwicklung in einigen Bereichen der Digitalisierung. Moskau wird wohl die erste Metropole mit 5G-Mobilfunk-Standard sein. Der Onlinehandel boomt und viele russische Städte sind beim Thema elektronische Verwaltung im Vergleich zu Deutschland fortschrittlicher. Verbessert hat sich auch Russlands Position im Doing-Business-Ranking der Weltbank. Es liegt jetzt auf Rang 35. Im Jahr 2011 belegte Russland noch abgeschlagen Platz 124.

Ist das eine Zahl, die Investoren interessiert?

Sie zeigt ganz eindeutig, dass Russland in einigen Bereichen nach vorn gekommen ist, auch im Vergleich zu den anderen BRICS- Staaten. Bewertet wird beispielsweise, wie schnell Unternehmen ein Geschäft gründen können, wie schnell sie einen Anschluss ans Stromnetz bekommen, wie schnell man Eigentum registrieren kann. Anderes bleibt unberücksichtigt wie Ausbildungsstand, politische Stabilität, Sanktionen, Qualität der Zulieferindustrie.

Wie wirken sich die schärferen US-Sanktionen aus?

Eine Umfrage unter den 800 Mitgliedern der AHK von August zeigt, dass die neuen US-Sanktionen für erhebliche Unruhe sorgen, nicht zuletzt dadurch, dass sie so vage sind. Im Januar werden die USA das präzisieren, dann wird man sehen, wie gravierend die Folgen sind. Schon jetzt hemmt die Unsicherheit darüber das Geschäft.

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Ist ein Ende der Sanktionen im Jahr 2018 in Sicht?

Ich persönlich denke, dass die Chancen auf ein baldiges Ende der Sanktionen gering sind. Als Kammer sind wir keine Freunde von Sanktionen. In Umfragen wünschen sich unsere Mitglieder klar eine Aufhebung der Maßnahmen. Russland selbst stellt sich auf andauernde Sanktionen ein.

Abgesehen von den Sanktionen: Was erwartet die deutsche Wirtschaft in Russland für 2018?

Nach unserer aktuellen Geschäftsklima-Umfrage rechnet die Mehrheit der Unternehmen mit einem Wirtschaftswachstum zwischen ein und zwei Prozent. Zwei Drittel planen, ihre eigenen Aktivitäten in naher Zukunft zu erweitern, der Rest will sie mindestens auf gleichem Niveau lassen. Reduzieren will niemand. Mehr als die Hälfte will neue Arbeitsplätze schaffen, nur sieben Prozent sehen sich zu Entlassungen gezwungen. Das ist ein kleiner Investitionsboom in der Krise.

Wie erklären Sie den?

Erstens macht der vergleichsweise schwache Rubel Anfangsinvestitionen kostengünstiger. Zweitens hat sich das Investitionsklima insgesamt verbessert und drittens spielt auch die Politik der Lokalisierung und Importsubstitution eine Rolle.

Wobei vielen Unternehmen nichts anderes übrig bleibt, als Teile ihrer Produktion nach Russland zu verlagern, wenn sie gleiche Wettbewerbsbedingungen haben wollen wie einheimische Konkurrenten.

Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich freuen wir uns über alle Investitionsanreize und auch darüber, dass die Regionen in einen regelrechten Wettbewerb getreten sind, günstige Bedingungen für Investoren zu schaffen. Aber wir lehnen als Wirtschaftsverband Protektionismus ab und denken, dass die russische Wirtschaft stark genug ist, auch ohne allzu viele Maßnahmen, die den russischen Markt von Konkurrenz abschotten, ein Teil der weltweiten Wertschöpfungskette zu werden. Und zwar auch jenseits von Öl, Gas und anderen Rohstoffen. Gerade im Bereich IT gehört Russland mit zur Weltspitze, da ist noch mehr Potenzial vorhanden.

Nun stehen zwei große Ereignisse an, die Präsidentschaftswahl und die Fußballweltmeisterschaft. Was interessiert die deutsche Wirtschaft in Russland mehr?

Der Einfluss der WM auf das Bruttoinlandsprodukt wird eher gering sein. Wichtig ist für Russland das Bild, das die Welt vom Gastgeber gewinnt. Da wünschen wir uns als AHK und als deutsche Wirtschaft, dass die traditionelle Gastfreundschaft das Bild ebenso prägt wie die modernen Stadien und die gute Infrastruktur. Was die Wahlen betrifft, nehme ich an, dass der wirtschaftspolitische Kurs der vergangenen Jahre danach im Großen und Ganzen fortgesetzt wird.

Die AHK unterstützt auch die Initiative, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen. Wie weit werden wir Ende 2018 davon entfernt sein?

Die Idee geht auf Michail Gorbatschow und auch auf Helmut Kohl zurück. Allein das zeigt, dass wir nicht von kurzfristigen historischen Zeitspannen reden. Uns als AHK ist es wichtig, durch viele kleine Schritte dazu beizutragen, dass sich Russland und Deutschland, aber auch die EU und die EAWU wieder annähern.

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