Federn und Krallen: Über die Tradition der Falkenjagd in Russland

Die Jagd war immer eine der liebsten Zerstreuungen der russischen Zaren. Eine der beeindruckendsten Jagden war und bleibt die Falkenjagd. In Russland gibt es Enthusiasten, die die Tradition der Falkenjagd bewahren wollen. Keinerlei Gewalt, nur Aufklärung.

Der Falke Ilat im Museum Kolomenskoje. Ilat trägt eine spezielle Mütze, damit er nicht durch fremde Geräusche aufgeschreckt wird. (Foto: Ljubawa Winokurowa)


In Moskau kann man im Falkenhof auf dem Museumsgelände in Kolomenskoje und im Zentrum für Falkenjagd in Mytischtschi (Moskauer Umland) Falken ganz nah sehen und sie sogar anfassen. In Kolomenskoje erzählt man mehr über die Geschichte, in Mytischtschi gibt es mehr Praxis.

Der Falkenhof in Kolomenskoje

Aufgrund der ethnografischen Ausrichtung bietet Kolomenskoje seinen Besuchern an, mehr darüber zu erfahren und sich vorzustellen, wie ihre Vorfahren vor 300-400 Jahren gelebt haben. Genau aus dieser Zeit sind auch die Bauten (hauptsächlich Kirchen) auf dem Territorium des Museumskomplexes. Kolomenskoje war die Sommerresidenz des Zaren Alexej Michailowitsch (17. Jahrhundert), dem zweiten russischen Zar aus der Dynastie der Romanows. Er war der wichtigste Förderer der Falkenjagd in Russland und jagte besonders gern in Kolomenskoje, wo es viele freie Flächen gab, die für die Flüge der Falken unabdingbar sind.

Dank Alexej Michailowitsch entstand im Staat ein Institut für Falkenjagd, das heißt, die nötige Infrastruktur: Sammlung der Regeln, Ausbildung der Falkner, Methoden des Fangens und des Trainings der Vögel. Als Erinnerung daran existieren heute die Stadtbezirke Sokolniki (wo die Falken sind), Sokol (der Falke) und Sokolinnaja Gora (Falkenberg). Dort wohnten die Falkner und wurden die Vögel gehalten, von denen es am Zarenhof über 3000 gab.

„Die Jagd konnte Wochen dauern und sich mit religiösen Prozessionen vermischen, zum Beispiel in das Kloster von Sergijew Posssad“, erzählt der Reiseführer Andrej Salnikow. Der Zar lud nicht nur seine engsten Umgebenen, sondern auch Gesandte ausländischer Staaten ein. Für die Falken wurden spezielle Schmuckstücke angefertigt, wie zum Beispiel der Brustschutz aus Edelmetall und mit Edelsteinen besetzte Hauben. Für die Falkner wurden ebenfalls mit Steinen besetzte Handschuhe genäht. „All das hatte keinen praktischen Sinn, denn den Falken wurde der Schmuck vor dem Flug abgenommen, und die Handschuhe konnte man nach der ersten Jagd wegwerfen (Falkenkrallen sind kein Kinderspielzeug). Dem Zaren war es wichtig zu zeigen, wie reich sein Staat war“, sagt Salnikow.

Die Eleganz der Jagd

Falkenjagd war nicht auf Beute gerichtet, sondern diente der Zerstreuung. Der Falke ist kein besonders großer Vogel, er kann keinen Fuchs jagen (es gab und gibt natürlich Ausnahmen, wenn ein Vogel Rekordgröße erreicht) und auch kein Wildschwein. Seine Opfer sind hauptsächlich kleine Nager und Vögel, wie zum Beispiel Enten. Die Beliebtheit der Falkenjagd bei den Mitgliedern der Zarenfamilie gründete sich auf den Anmut des Jagdvorganges. Der Falke stürzt sich nicht gleich auf die Beute, sondern er kreist über ihr und geht im richtigen Moment im Sturzflug nieder und reißt sie.

Wie nimmt man dem Falken die Beute ab? Das ist die Aufgabe des Falkners, und sie ist ziemlich einfach. Er bietet dem Vogel ein Stück rohes Fleisch an. „Der Falke versteht sehr gut, dass er auf der Erde die Beute anderer Tiere werden kann, wenn er sich mit der Ente beschäftigt. Für ihn ist es einfacher, ein Stück Fleisch vom Menschen zu nehmen, noch dazu ohne Haut und Federn, als sich selbst mit dem Frischfleisch zu plagen“, erklärt der Falkner Sergej Jarzew.

Im Falkenhof in Kolomenskoje leben jetzt vier Balaban-Falken– Ilat, Forsasch (der Hitzige), Sultan, Prjanik (der Pfefferkuchen) und das Uhuweibchen Warwara, ein Star auf YouTube. Sie sitzen nicht tatenlos herum. Der Falkner Sergej Jarzew trainiert sie regelmäßig, als Beute dient ein spezielles Spielzeug. Interessant ist, dass „wenn sie nirgendwo hinfliegen müssen und immer das Fressen einfach so bekommen, die Falken faul werden. In der Wildnis ist der Flug für sie kein Vergnügen, sondern eine Notwendigkeit. Sie verbrauchen viel Energie, manchmal auch umsonst, denn sie machen nicht jedes Mal Beute“, sagt Jarzew.

In Kolomenskoje sind alle Vögel satt und gepflegt, sie werden geliebt und verwöhnt. Diese Falken kamen im Vogelzwinger zur Welt. Sie werden sehr selten aus der freien Natur geholt. Da gibt es komplizierte juristische Vorgänge. Aber auch aus den Zwingern werden die Vögel nicht an beliebige Personen verkauft. „Die Züchter geben ihre ‚Kinder’ nicht in schlechte Hände“, fügt Jarzew hinzu.

Das Zentrum in Mytischtschi

Im Museum in Mytischtschi kann man einen Brief mit der Falknerpost verschicken (Foto: AGN Moskwa / Sofia Sandurskaja)

Im Museum der Falkenjagd in Mytischtschi wird ein anderes Konzept verfolgt. Es befindet sich in einer Jurte und wird von einem Mitglied der internationalen Assoziation der Falkner mit dem vielsagenden Namen Konstantin Sokolow geleitet. Er erzählt, dass vor zwanzig Jahren unter den russischen Falknern die Idee im Raum stand, die Tradition dieser Geschichte wieder aufleben zu lassen, aber außer Gesprächen nichts weiter passierte. Deshalb beschloss Konstantin zu handeln und entwarf das Museum praktisch auf einem freien Feld. Auf dem Landstück von 21 Hektar Größe befinden sich ein Gestüt, ein Hundezwinger, Volieren für Vögel und eine große Jurte mit einer historischen Ausstellung. Hier werden thematische Tagesexkursionen durchgeführt. Es ist möglich, einen Falken auf der behandschuhten Hand zu halten (in Kolomenskoje ist das nicht erlaubt) oder zu sehen, welche moderne Ausrüstung für den Falkenflug benutzt wird.

Kürzlich wurde in dem Zentrum eine Poststation für Falken eröffnet – der Vogel weiß, wo der Postkasten steht und kann von einem Ende des Landstücks zum anderen einen Brief befördern. Die wichtigste Briefträgerin heißt Dulcinea und Konstantin bestätigt, dass sie einen ruhigen und geduldigen Charakter hat, was für diesen Beruf notwendig ist.

Der Falke lässt übrigens keine Gewalt im Umgang mit sich zu. „Wenn der Vogel merkt, dass man ihm wehtun will, fliegt er auf jeden Fall weg. Wir halten sie nicht an der Leine, während des Trainings fliegen sie frei“, betont Konstantin Sokolow. Es ist schwer zu glauben, dass zwischen Mensch und Vogel gewisse Beziehungen entstehen können. Gewöhnlich ist es so, wenn ein Mensch den Beruf des Falkners wählt, bleibt er ihm ein Leben lang treu. In Russland gibt es übrigens keine speziellen Ausbildungseinrichtungen für diesen Beruf. Das Wissen wird von Falkner zu Falkner weitergegeben.

Ljubawa Winokurowa

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