Fabrik der glücklichen Menschen: Der Gorki-Park feiert seinen 90. Geburtstag

Für viele Moskauer ist er eine Oase. Nahe der Innenstadt erstreckt sich am Ufer der Moskwa der Gorki-Park. In seiner bewegenden Geschichte war er nicht nur Rückzugsort für gestresste Großstädter und Trendsetter in Sachen Freizeitunterhaltung. Er wurde in mehreren Spielfilmen zum Helden und von den Scorpions besungen. Jetzt feiert der Gorki-Park seinen 90. Geburtstag.

Gorki-Park

Abendstimmung am Ufer der Moskwa /Foto: Tino Künzel

Alles begann mit einer Idee. Die Arbeiter in der jungen Sowjetunion sollten einen zentral gelegenen Ort erhalten, an dem sie sich nach der Arbeit erholen und weiterbilden konnten. Am 12. August 1928 war es soweit. Im Rahmen des ersten Fünfjahresplans wurde der Gorki-Park gegründet. Der erste Kulturpark der Sowjetunion wurde später zum Vorbild für über 2000 weitere Parks im Land.

Es begann mit einer avantgardistischen Vision

Die erste Leiterin des Gorki-Parks, die junge und ambitionierte Betti Glan, verstand sich als Avantgardistin. Unbedingt wollte sie den Moskauer eine neue Kultur beibringen. Dies ging selbstverständlich nicht vollkommen ohne die Werte, die der Stalinismus ihr vorgab. Doch Betti Glan verstand es immer wieder Innovationen durchzusetzen, deren Sinn für die Erschaffung eines neuen sowjetischen Menschen sicher angezweifelt werden darf. So wurde im Gorki-Park der weltweite erste Turm gebaut, von dem Menschen mit einem Fallschirm aus einer Höhe von 35 Metern runterspringen konnten. 

Nicht nur die Moskauer schlossen den neuen Park schnell in ihr Herz, auch ausländische Reisende wusste er in seinen Bann zu ziehen. „Wenn ich für den Kapitalismus sterben und in der Sowjetunion wiederauferstehen würde, wollte ich im Park für Kultur und Erholung erwachen“ schrieb der britische Schriftsteller H.G. Wells 1934 in das Gästebuch. Er war es auch, der dem Park den Beinamen „Fabrik der glücklichen Menschen“ verlieh.

Gorki-Park

Der große Karneval des Jahres 1938 /Foto: RIA Novosti

Die 1930er – das goldene Jahrzehnt

In den 1930ern wurde der Gorki-Park zu einem Zentrum des städtischen Feierns und des Karnevals. Betti Glan hatte seit Beginn ihrer Arbeit davon geträumt, im Park einen großen Karneval zu veranstalten, der zwar dem Zeitgeist entsprechend etwas Neuartiges bieten, gleichzeitig aber auch die russische Tradition berücksichtigen sollte. Im Jahr 1935 war es dann soweit, im Namen der Verfassung fand am 8. Juli der erste große Moskauer Karneval als „Fest der Laienkunst“ statt.

Hatte der erste Karneval noch einen experimentellen Charakter, so sprach die „Prawda“ 1936 bereits von der Geburt „der guten Tradition eines echten Volksfestes“. Wie erfolgreich das ausgelassene Feiern bei den Menschen in der Sowjetunion ankam, beweist, dass sich der Karneval binnen kürzester Zeit etablierte und bis 1940 den Höhepunkt des Festkalenders des Gorki-Parks bildete. Dabei wurde der Karneval von Jahr zu Jahr immer größer und immer fröhlicher. Politische Inhalte, damals eigentlich zwingend für jedes Fest, verloren immer mehr an Bedeutung und die reine Unterhaltung, das reine Feiern, rückte für die Menschen in den Vordergrund. Dies zeigte sich auch in der Musik. Alle vorherigen Experimente und Diskussionen, wie gute Musik zu sein habe, wurden verworfen und die Musiker spielten das, was dem Volk gefiel. Dabei wurde nicht nur im Gorki-Park selbst gefeiert, sondern auch auf der angrenzenden Moskwa. Reichlich geschmückte Schiffe, auf den Orchester und Tanzgruppen auftraten, fuhren den Fluss entlang. Die Geschichte des Karnevals blieb dennoch eine kurze Episode in der Sowjetunion. Nach 1940 war die Zeit des fröhlichen Feierns in der Sowjetunion zunächst vorbei. Erst zu den VI. Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1957 verwandelte sich der Gorki-Park, und mit ihm ganz Moskau, in eine riesige Bühne ausgelassenen Feierns. Auch Betti Glan war dabei.

Hort der Untergrundkultur

Gefeiert wurde im Kultur- und Erholungspark aber nicht nur nach staatlichen Vorgaben. Die beständige Offenheit des Gorki-Parks zog stets Menschen an, die auf der Suche nach etwas waren, das andernorts verboten war. Bereits in den 1930ern wussten die Moskauer, dass sie im Gorki-Park den offiziellen verschmähten Foxtrot tanzen und verbotenen Jazz lauschen konnten.

Für die sowjetische Nachkriegsjugend wurde das „Sechseck“ im östlichen Teil des Parks zu einer Legende. Der Bau, der eigentlich Pavillon „Maschinenbau“ hieß und der Leistungsschau diente, verwandelte sich in den 1950ern in ein Tanzlokal und wurde der Anziehungspunkt für die „stiljagi“, die sowjetischen Hipster und die Kinder der Elite.

In den 1980ern wurde der Gorki-Park erneut zum Treffpunkt der nichtangepassten Jugend. Schallplattenhändler versorgten die Teenager mit begehrter Musik und Breakdancer und Metal-Fans ließen Hüften und Haare kreisen. 

Der Pavillon „Jahreszeiten“ beherbergte zu dieser Zeit eine Diskothek, die bei Breakdancern äußerst beliebt war.  So war der Park der Anziehungspunkt für diejenigen, die feiern und innerhalb der damals jungen Subkultur neue Freunde finden wollten.

Das russische Disneyland

Im Jahr 1958 war es soweit. Erstmals erhob sich ein Riesenrad über den Gorki-Park. Ab den 1970ern gesellten sich immer mehr Attraktionen dazu. Nach und nach entstand die „Wunderstadt“, die 1993 auch den „Buran“, die sowjetische Raumfähre aufnahm. Die Masse der Fahrgeschäfte ließ den Gorki-Park immer mehr wie ein russisches Disneyland erscheinen. Das Ufer der Moskwa war bald so vollgestellt, dass es kaum noch ein Durchkommen mehr gab. Fahrgeschäfte und auch der gesamte Park zeigten bald Alterserscheinungen und verkamen zunehmend.

Gorki-Park

Entspannung für Hipster und Familen /Foto: Tino Künzel

Ein Park für heute – und für die Zukunft

Seit 2011 hat sich der Gorki-Park neu erfunden. Statt des miefigen und trostlosen Parks der 2000 Jahre erinnert er heute eher an ein Eltern- und Hipsterparadies.

Die Zeiten, in denen die Freizeitgestaltung, zumindest offiziell, einem bestimmten Plan folgte, sind vorbei. Den Erholungssuchenden stehen heute eine Fülle an Möglichkeiten zur Verfügung. 

Wer lesen oder einfach nur entspannen möchte, kann das auf riesigen Sitzkissen tun oder am Ufer der Moskwa den Sonnenuntergang genießen. Oder er nutzt das kostenlose W-Lan. Überall im Park stehen Tischtennisplatten, die man kostenlos benutzen kann, oder aber auch Beachvolleyballfelder. Seit einiger Zeit können sich die Moskauer im Gorki-Park auch im Petanque versuchen. Wer nur dabei zuschauen will, genießt einen Drink in der Bar am Ende der Bahnen.

Auch die Kulturinteressierten kommen nicht zu kurz. Neben moderner Kunst aus aller Welt im Museum Garage kann man seine Abende bei Filmvorführungen oder Vorträgen ausklingen lassen.

Wie schnell die Moskauer den „neuen“ Gorki-Park annahmen, spiegelte sich auch in den neuen Medien wider. Im Jahr 2014 war der Gorki-Park der am meisten besuchte Ort Russlands bei instagram.Weltweit wurden nur an vier anderen Orten mehr Bilder hochgeladen.

Der Park ist ein Teil des Moskauer Lebens

Zu seinem 90. Geburtstag rief die Parkverwaltung die Moskauer auf, ihre Geschichten zu erzählen, die sie mit dem Park verbinden. Die Antworten zeigen, dass der Park für viele Menschen einen zentralen Platz in ihrer Kindheits- und Jugenderinnerung einnimmt. Sicher finden überproportional häufig die damals noch vorhandenen Fahrgeschäfte und die Süßigkeiten Erwähnung. Aber die Moskauer verbinden den Park auch mit neuen und grellen Farben und Gerüchen und schöner neuartiger Mode. Und für diejenigen, die aus anderen Städten zu Besuch kamen, gehörte ein Besuch des Gorki-Parks zum Pflichtprogramm. Zumindest daran hat sich auch heute nichts geändert. Auch ausländische Gäste strömen in den Park, der ihnen spätestens seit dem Welthit der Scorpions bekannt sein dürfte.   

Bis zu 40000 Menschen besuchen den 120ha großen Gorki-Park an einem Wochentag, am Wochenende sind es bis zu 300000. Moskau ist im Wandel und mit der Stadt auch ihre Parks. Immer mehr werden von jungen und ausländischen Architektenaufwendig saniert oder gleich neu gebaut. Und sie alle haben interessante Konzepte. 

Doch auch wenn viele dieser Parks häufig näher an den Wohngebieten der Menschen liegen, steht für die Moskauer steht: ihr Favorit bleibt der Gorki-Park.

Daniel Säwert

Eine Hymne für den Park

Die Hannoveraner Band Scorpions hat mit ihrem Welthit „Wind of Change“ dem Gorki-Park ein musikalisches Denkmal gesetzt. Wir haben Sänger Klaus Meine zu seiner Beziehung zum Park befragt.

Sie haben den Gorki-Park musikalisches unsterblich gemacht. Es ist der einzige Ort Moskaus, der in Wind of Change namentlich erwähnt wird. Warum?

Anlässlich des Moscow Music Peace Festivals im August 1989 gab es ein Get Together mit allen Musikern und Medien aus aller Welt im Gorki-Park. In den Bäumen hingen Lautsprecher, aus denen westliche Rockmusik zu hören war. Der Wind of Change lag in der Luft, alle Nationen vereint durch die Power der Musik!

Wann waren Sie das letzte Mal im Gorki-Park?

Ich war zuletzt vor 5 Jahren dort zu Filmaufnahmen zur Scorpions Dokumentation „Forever and a Day“.

Haben Sie die Veränderungen mitbekommen, und wenn ja, wie gefallen sie Ihnen?

Nein‚ ich habe die Veränderungen im Park leider noch nicht gesehen, aber sehr viel Positives darüber gehört. Der Gorki-Park hat eine historische Bedeutung und ist nach der Modernisierung für Besucher aus aller Welt noch attraktiver geworden.

Würden Sie gerne ein Konzert im Park geben?

Die Scorpions haben in all den Jahren fast überall in Moskau gespielt (Roter Platz‚ Sportkomplex Olimpinskij usw.). Sollten wir nochmal Unplugged nach Moskau kommen, wäre der Gorki-Park sicher eine interessante Konzert-Location.

Was wünschen Sie dem Park zum Geburtstag?

Happy 90th Anniversary. Dieser Song ist um die Welt gegangen. „I follow the Moskva down to Gorky Park …“. Die Scorpions und der Gorki-Park, das ist ein Stück Musikgeschichte.

Die Fragen stellte Daniel Säwert

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