Feuchtwanger stand zunächst nicht so sehr im Fokus der sowjetischen Propaganda wie andere Schriftsteller. Dennoch war er es, der nach Moskau reiste. Warum hat man sich entschieden, mit ihm zu arbeiten?
Auf dem Schriftstellerkongress 1934 gab es einen Paradigmenwechsel. Die Sowjetunion wollte sich mehr an bürgerliche Schriftsteller wenden. So ging man auf Feuchtwanger als eines der wichtigsten Nicht-KPD-Mitglieder, die im Westen sehr bekannt waren, zu.
War sich Feuchtwanger bewusst, worauf er sich mit der Moskau-Reise einließ?
Nicht konkret. Feuchtwanger betrachtete die Sowjetunion als „Reich der Vernunft“, aus dem der fortschrittliche Mensch kommt. Und als Jude hoffte er auf das Land im Kampf gegen Hitler. Da er aber kein Wort Russisch sprach, war er völlig abhängig von dem, was man ihm hier servierte.
Aber Feuchtwanger ließ sich auch auf die Moskau-Reise ein, weil man hier auf einmal anfing, ihm Honorare zu zahlen und ihn im großen Stil zu übersetzen. Außerdem plante man Projekte mit ihm, wie die Verfilmung seines Romanes „Die Geschwister Oppenheim“. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, schließlich musste er Geld verdienen. Feuchtwanger ist mit 40 Verträgen aus Moskau abgereist. Wobei das Wenigste hier zustande kam. Was ihn sehr frustriert hat.
Was hat man sich in der Sowjetunion von ihm erhofft?
Man hat ihn nicht beauftragt, den Reisebericht zu schreiben. Die sowjetische Seite war sogar dagegen. Ihr genügten die Presseartikel, die im Ausland erschienen. Er wurde zu Schauprozessen eingeladen und danach gefragt, welchen Eindruck diese auf ihn gemacht haben. Er musste in dieser Stresssituation sofort Stellung beziehen und sagte hinterher, dass die paar Zeilen ihm im Westen mehr Kommentare eingebracht hätten als alle seine Romane zusammen. Als er zurückkam, wurde er umgehend angegriffen. Da fasste er erst den Entschluss, diesen Reisebericht zu schreiben. Das berichtete er nach Moskau und dort war man alarmiert. Vor allem die Passagen zu Leo Trotzki, der 124 Mal erwähnt wird, wurden als gefährlich eingeschätzt.
Und dennoch erscheint der Bericht in der Sowjetunion, ist schnell vergriffen und dann schnell vergessen. Was ist passiert?
Das ist nicht leicht zu rekonstruieren. Es ist zunächst eine Geheimausgabe für die Mitglieder des Politbüros produziert worden. Und dann hat Stalin entschieden, dass gedruckt wird. Es könnte sein, dass es mit den Wahlen zum Sowjetkongress 1937 zusammenhängt, bei der man sich liberal geben wollte. Das ist aber nur eine Vermutung. Das Erscheinen war natürlich eine Sensation, deswegen haben die Leute auch zugegriffen. Darin ist von Rachegefühlen Stalins zu lesen und dass er seine Gegner erschossen hat. Das Buch ist viel hintergründiger, als es auf den ersten Blick erscheint. Eine Vermutung ist, dass die Zensoren sich schlicht nicht vorstellen konnten, dass so etwas erlaubt sein soll, und den Bericht sicherheitshalber weggesperrt haben.
War der Besuch letztendlich ein Irrtum, wie oft gesagt wird?
Feuchtwanger selbst ist nie wieder auf das Buch zurückgekommen und auch nicht auf die Reise. Aber er hat sich auch nie distanziert. Feuchtwanger hat sich nur indirekt geäußert, indem er die Frage von Revolution und Gewalt immer wieder in seinen Werken diskutiert hat. Aber schon während des Kriegs schreibt er, dass ihn Politik nicht interessiert. Von daher war es ein absoluter Irrtum, dass er sich darauf eingelassen hat. Das war nicht sein Metier. Er diskutiert das immer wieder. Er rechtfertigt das, aber abstrakt. Bei ihm kostet das keine Menschenleben.
Der Bericht wurde 1993 erneut publiziert und erhielt ein kritisches Echo. Warum?
Wir wissen es heute einfach besser. Ich will Feuchtwanger nicht rechtfertigen, finde aber auch die Häme der Kritiker falsch. Viele haben den Bericht gar nicht gelesen und man sollte es auch sachlich sehen. „Moskau 1937“ ist kein gutes Buch, weder als Literatur noch als Sachbuch. Aber es ist ein interessantes Zeitdokument.
Die Fragen stellte Daniel Säwert