In Deutschland ist Olga Grjasnow eine erfolgreiche und gefragte Schriftstellerin, deren Bücher viel gelesen und diskutiert werden. Das liegt neben ihrer Sprache auch an den Themen. Fluchterfahrungen, das Verstecken der Sexualität und die Suche nach der eigenen Identität bewegen die Menschen. In Russland hingegen ist sie bisher kaum bekannt. Dies könnte auch daran liegen, dass diese Themen in der russischen Gesellschaft nicht sehr präsent sind.
Dahingehend hat Ingo Schulze einen Vorteil, denn er ist in Russland bereits bekannt. Zeitgleich mit Olga Grjasnowa (Mehr erfahren Sie im Interview auf Seite 10) stellt er in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und lokalen Partnern auf einer Lesereise seinen neuen Roman „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ in verschiedenen russischen Städten, unter anderem in Saratow, Rostow am Don und Nowosibirk, vor.
Schulze liest aus preisgekröntem Roman
In dem Roman, 2017 für den Deutschen Buchpreis nominiert, erzählt Schulze die Geschichte des Peter Holtz, der in der DDR sein Leben nach den Idealen des Sozialismus verbringt. Geld spielt für ihn keine Rolle, es zählt einzig die Gesellschaft. So schlägt er die 100 D-Mark Begrüßungsgeld aus, da er sich davon in der DDR nichts kaufen kann. Nach der Wende und dem Verlust seiner Ideale findet Holtz unmittelbar einen neuen Glauben – die freie Marktwirtschaft. Schnell steigt er durch einen Zufall zum Millionär auf, bewahrt dabei aber seine gewisse Naivität. Die Geschichte des Peter Holtz, der Verlust einer ideellen Heimat und die rasante Adaption an den Kapitalismus, beschreibt eine Geschichte, die die Lebenserfahrung vieler Russen widerspiegelt.
Wie Ingo Schulze seinen Romanhelden selbst sieht, verrät bereits der Buchumschlag, auf dem „Der Junge“ von Kasimir Malewitsch abgebildet ist. Dieser habe etwas Jungenhaftes, sei zugleich aber auch bedrohlich, so Schulze. Außerdem hält er die russische Avantgarde mit ihrer Ambivalenz angemessen für seinen Protagonisten. Den Leser erinnert Peter Holtz in seiner Unbekümmertheit und offenen Art zudem an Figuren aus Schelmenromanen, wie den Soldaten Schwejk oder Oskar Matzerath aus der Blechtrommel. Schulze schafft in seinem Roman auch immer wieder Verbindungen zur Literaturgeschichte. Geschickt nutzt er veraltete Wörter und spielt mit Stilisierungen, die an bekannte Romane erinnern.
Russische Übersetzungen sind geplant
Die „Lesungen im Oktober“ sind indes kein reiner kultureller Selbstzweck, wie Iwan Uspenskij, Leiter der Bibliothek des Goethe-Instituts in Moskau, sagt. Die Zielgruppe seien zwar in erster Linie Menschen, die Deutsch lernen und sich für deutsche Literatur interessieren. Aber es gehe auch darum, in Russland Verlage zu finden, die Interesse daran haben, die Romane ins Russische zu übersetzen und so einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Den Abschluss der Lesungen bildet eine erfolgreiche Übersetzung. Am 5. November wird im Deutsch-Russischen Haus der Roman „Kraft“ des schweizerisch-deutschen Schriftstellers Johannes Lüscher vorgestellt, dessen russische Ausgabe in diesem Herbst erscheint.