„Made in Russia“: Strohfeuer oder Tendenz?

Wenn Einfuhrzölle höher sind als Lohnkosten im jeweiligen Land, dann ist es günstiger, gleich mit der ganzen Produktion umzuziehen. Aber das ist nicht der einzige Faktor, der zunehmend ausländische Warenproduzenten nach Russland lockt.

Russland begrüßt immer mehr ausländische Produzenten, die hohe Einfuhrzölle umgehen wollen. / Ria Novosti

Russland begrüßt immer mehr ausländische Produzenten, die hohe Einfuhrzölle umgehen wollen. / Ria Novosti

Zwischen all den Berichten über politische Spannungen zwischen Russland und „dem Westen“ finden sich in den letzten Wochen auch immer wieder Meldungen über internationale Unternehmen, die ihr Engagement in Russland ausbauen. Jüngste Beispiele: Hochland will nach Presseberichten bis zu 20 Millionen in die Erweiterung der Frischkäseproduktion im Gebiet Belgorod investieren. Die spanische Inditex-Gruppe hat im April einen Vertrag zum Aufbau einer Produktion für ihr Zara-Label unterzeichnet – hergestellt werden sollen Bekleidung und Haushaltstextilien. Daimler beginnt nach langen Sondierungen mit dem Bau eines Werkes im Moskauer Gebiet. Drei Investitionsprojekte in drei verschiedenen Branchen – die auf unterschiedlichen Überlegungen beruhen. Warum entscheidet sich ein internationales Unternehmen gerade heute dazu, sich in Russland zu engagieren?

Die großen Automobilhersteller haben bereits vor über zehn Jahren damit begonnen, Werke in Russland zu errichten. Zu den Pionieren gehörten damals Ford bei St. Petersburg und General Motors mit seinem Gemeinschaftsunter- nehmen mit Awtowas in Togliatti. Volkswagen, Toyota und die meisten anderen großen Kfz-Hersteller zogen dann sukzessive nach. Ganz freiwillig entschieden sich die Firmen allerdings schon damals nicht für die Ansiedlung. Die russische Regierung hatte die Unternehmen mit einer entschlossenen Lokalisierungspolitik dazu ermuntert, doch besser im Land zu fertigen.

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Dazu wurden beispielsweise importierte Autos mit hohen Zöllen belegt; wer in dem auf- strebenden Automobilmarkt zu wettbewerbsfähigen Preisen verkaufen wollte, musste in Russland produzieren. In einem Land, dem zunächst noch eine echte Zuliefererlandschaft fehlte, entstand so in wenigen Jahre eine blühende Automobilindustrie.

Was Daimler letztendlich wirklich bewogen hat, gerade jetzt in den Bau des Werkes zu investieren, ist öffentlich nicht bekannt. Ein Faktor zugunsten des Standorts Russland dürfte allerdings der veränderte Rubelkurs zum Euro sein, der heute immer noch um etwa 40 Prozent unter den Werten des Jahres 2013 liegt. Entsprechend gesunken sind damit auch die Lohnkosten und die Preise für in Russland bezogene Komponenten: Faktoren, die eine Produktion in Russland attraktiver machen. Diese Währungseffekte spielen sicherlich auch für die Überlegungen der Textilunternehmen die ausschlaggebende Rolle.

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Russlands Ministerium für Industrie und Handel ist zuletzt aktiv auf die Marktführer der internationalen Textilbranche zugegangen, um sie von den Vorzügen Russlands als Produktionsstandort zu über- zeugen. Das wichtigste Argument bei diesem Werbefeldzug waren die Lohnkosten, die heute aufgrund der Wechselkursentwicklung teil- weise sogar unter chinesischem Niveau liegen.

Vergleichsweise komplex sind die Ursachen, die zu Investitionen in die russische Land- und Nahrungsmittelwirtschaft führten. Hier war es die Weltpolitik, die die entscheidenden Impulse gab: Russland hat als Antwort auf die westlichen Sanktionen 2014 ein Einfuhrverbot für Lebensmittel aus Ländern verhängt, die sich an den Sanktionen gegen Russland beteiligt hatten. Erklärtes Ziel war es, die Lebensmittel nun nicht einfach aus Drittstaaten zu beziehen, sondern die Produktion im Inland zu steigern. Mit Erfolg: Immerhin um 4,8 Prozent ist die Landwirtschaftsproduktion im Jahr 2016 gewachsen.

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Die Verknappung des Angebots hat dabei offenbar geholfen. Weil die Konkurrenz durch die westlichen Produkte nun ausfiel, stieg die Nachfrage nach anderen Lebensmitteln. Auch ausländische Unternehmen profitieren von dieser Konstellation, wenn sie wie Hochland in Russland produzieren. Wie nachhaltig oder langfristig aber sind diese günstigen Investitionsbedingungen? Und tragen die Konzepte auch dann noch, wenn sich die makroökonomischen Rahmenbedingungen verändern?

Tegethoff AutorenporträtIm Falle der Textilbranche scheint dies ungewiss. Der Rubelkurs hängt zuallererst von der Entwicklung des Ölpreises ab – steigt der Ölpreis wieder, wird wohl auch der Rubel wieder an Wert gewinnen. Für die Kostenkalkulation der Textilunternehmen wäre das ein eher ungünstiges Szenario.

Niemand weiß, wann die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Als sicher darf gelten, dass sie fallen werden – und dann wird höchstwahrscheinlich auch das russische Lebensmittelembargo zurückgenommen. Die russischen Nahrungsmittelhersteller und die in Russland produzierenden Unter- nehmen müssen dann damit rechnen, sich mittelfristig wieder dem internationalen Wettbewerb stellen zu müssen. Dann wird sich zeigen, ob die Hersteller dem Verbraucher tatsächlich qualitativ akzeptable Produkte zu vernünftigen Preisen bieten können.

Von Christian Tegethoff

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