Die Erinnerung verblasst nie

Jedes Jahr am Sonntag vor dem ersten Adventssonntag wird in Deutschland der Volkstrauertag begangen. Dabei wird allen Opfern von Gewalt und Krieg, auf der Welt gedacht. Bis 1945 hieß der Volkstrauertag noch Heldengedenktag. In Russland und weiteren Ländern der ehemaligen Sowjetunion wird am 9. Mai, noch immer den Soldaten des “Großen Vaterländischen Krieges” gedacht.

Danke fur den Sieg Großvater! Steht auf der Mütze dieser Teilnehmerin./ Kim Hornickel

Rote Fahnen und russische Nationalflaggen schmücken die Häuserfassaden Moskaus, an denen die Aktion „Unsterbliches Regiment“ vorbei zieht. Dutzende Lautsprecher und Straßenmusikanten lassen Militärlieder über die Köpfe der mehreren tausend Teilnehmer des Gedenkmarsches hinweg wehen. Seit 2015 gedenkt die zweite und dritte Generation den Soldaten des „Großen Vaterländischen Krieges“. Auch in Teilen der ehemaligen Sowjetunion wie Belarus und der Ukraine werden am 9. Mai Flaggen geschwungen und Fotos verstorbener Soldaten in einem Marsch durch die Stadt getragen. Nicht überall stößt das auf Zustimmung. Seit dem Konflikt auf dem Maidan ist die Ukraine bemüht sich von Russland abzuspalten. Der patriotisch inszenierte Feiertag Russlands scheint da fehl am Platz, meinen einige Ukrainer, darunter der Direktor des Institutes für Nationale Erinnerung, Wolodymyr Wjatrowytsch.

Die Teilnehmer des Moskauer Umzuges lassen jedoch keinen Zweifel aufkommen. Sie genießen ihren Feiertag. Straßenverkäufer bieten kleine Flaggen und orang-schwarze Georgsbänder an, die an Handtaschen, ums Handgelenk oder als Haarband getragen werden. Die  Bänder wurden ursprünglich als militärische Auszeichung im Kaiserreich verliehen, heute werden sie als Zeichen des Sieges über den Faschismus immer populärer. Doch die Straßenverkäufer haben noch mehr zu bieten: Grüne, schiffchenförmige Käppchen tragen besonders die weiblichen Besucher des Marsches gerne.

Auch Maria und Natalia tragen die Pilotka. Sie sind schon seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen und extra aus dem Moskauer Umland angereist. „Wir wollten unbedingt einen Veteranen treffen und ihm unsere Bewunderung aussprechen“, erzählt Maria. Besonders der Marsch des „Unsterblichen Regiments“ hat die 25-Jährigen beeindruckt. “Der Marsch wird von den Menschen organisiert, nicht vom Staat”, versichert Maria, deshalb wollen sie im nächsten Jahr mit ihrer Familie wiederkommen und im Gedenken an Natalijas Großvater an der Aktion teilnehmen. Mit Krieg und Feindschaft habe die Aktion nichts zu tun, erklären die Beiden einstimmig.

Während dieser Feiertag, für die einen, den Höhepunkt des Jahre markiert, ist er für die anderen, ein einmaliges Event. Etwas abseits der Menge steht Nikolai, der 64-Jährige hat die Flagge des „Unsterblichen Regiments“ geschultert, er trägt die unverzichtbare grüne Pilotka auf dem Kopf und hält zwei schwarz-weiß Fotografien in den Armen. Der Moskauer ist zum ersten Mal bei dem Gedenkmarsch dabei und hat ein Gruppen- und ein Einzelfoto seines uniformierten Großvaters mitgebracht. Der Berufskraftfahrer glaubt zwar, dass auch weitere Generationen das Andenken an ihre Vorfahren feiern werden, doch den Marsch ein weiteres Mal zu besuchen plant er vorerst nicht.

Neben den Nachkommen der Soldaten sind auch vereinzelt ehemalige Verteidiger des Vaterlandes in den Straßen Moskaus anzutreffen. Als ein Veteran aus einer Seitenstraße heraus tritt, wird er sofort von Bewunderern umringt. Der 97- Jährige wird von allen Seiten fotografiert, dutzende Orden schmücken das Sakko des hoch dekorierten Kriegsteilnehmers. Passanten überreichen ihm rote Nelken, als Zeichen der Tapferkeit und des Sieges. Gegen Fotos hat Michail Alexandrowitsch Korjakin nichts, höflich fordert er seine Bewunderer auf, ihn abzulichten. Als er hört, dass ihn eine deutsch – russische Zeitung interviewt, wird der Veteran kurz nachdenklich dann strahlt er, „aha eine deutsche Zeitung“, stellt er auf deutsch mit russischem Akzent fest.

Kim Hornickel

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