Deutsche Wirtschaft in Russland: Stimmungsampel auf Grün

Prima Klima: Die AHK hat die Ergebnisse der jährlichen Geschäftsklimaumfrage unter ihren Mitgliedern vorgelegt – sie zeugen von einem bemerkenswerten Stimmungswandel. So hat sich der Anteil der Unternehmen, die ihre Geschäftslage als sehr gut oder gut einschätzen, innerhalb eines Jahres fast verdoppelt.

Der Sitz der AHK im Business-Center Fili Grad an der Moskwa in Moskau (Foto: Tino Künzel)

Die deutsch-russischen Beziehungen waren schon mal besser. Das ist wahrlich kein Geheimnis, nun hat man es aber wieder einmal schriftlich. Über 60 Prozent der deutschen Unternehmen in Russland finden, das Verhältnis habe sich in den letzten zwölf Monaten weiter verschlechtert, eine Verbesserung können nur zwölf Prozent erkennen. Nachzulesen ist das in der aktuellen Geschäftsklima­umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer. Mit 1000 Mitglieds­unternehmen ist die AHK der größte ausländische Wirtschaftsverband in Russland. Für die Umfrage wurden 175 Antworten ausgewertet, unter anderem von DAX-Konzernen wie Siemens, Volkswagen, Bayer und SAP oder Mittelständlern wie Knauf und Phoenix Contact.

„Deutsche Wirtschaft krisenfest“

Wenn das politische Klima nur als kühl bezeichnet werden kann, konstatiert die deutsche Wirtschaft in Russland einen deutlichen Temperaturanstieg, was ihre Geschäfte betrifft. Beurteilten bei der Umfrage vor einem Jahr noch 28 Prozent der Unternehmen die eigene Geschäftslage als schlecht, sind es heute nur fünf Prozent. Als sehr gut oder gut bewerten die Situation heute 64 Prozent, das ist fast eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahreswert von 33 Prozent. „Einmal mehr zeigt sich: Niemand in Russland ist krisenfester als die deutsche Wirtschaft“, kommentierte AHK-Vorstandschef Matthias Schepp die Ergebnisse, die auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurden und, so Schepp, „viel besser ausfallen als in den Vorjahren“.

Dass sich die Stimmung kräftig aufgehellt hat, lässt sich mit weiteren Zahlen illustrieren. Über die Hälfte der deutschen Unternehmen geht davon aus, in nächster Zeit mehr Mitarbeiter einzustellen. Nur drei Prozent rechnen mit Personalkürzungen. 47 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, binnen eines Jahres in Russland investieren zu wollen. Bei den Umfrageteilnehmern belaufen sich die geplanten Investitionen auf 840 Millionen Euro. Rechnete man diese Summe auf alle 3971 in Russland registrierten deutschen Firmen hoch, ergäben sich Investitionspläne in Milliardenhöhe, heißt es in einer Pressemitteilung der AHK.

Investitionsbereitschaft stark gestiegen

Im vorigen Sommer hatte die Investi­tionsbereitschaft lediglich bei 30 Prozent gelegen. „Nach schwierigen Jahren, die von Corona, Sanktionen und politischen Konflikten geprägt waren, sind die deutschen Unternehmen in Russland auf Wachstumskurs und holen offenkundig verschobene Investitionen in Milliardenhöhe nach“, sagt Schepp. Nach Angaben der Bundesbank betrugen die deutschen Netto­direktinvestitionen in Russland im ersten Quartal 2021 rund 1,1 Milliarden Euro.

Auch in den zurückliegenden Jahren waren die deutschen Firmen in Russland stärker gewachsen als der Markt. Jetzt sehen die Firmen erstmals seit Einbruch der Coronakrise wieder Anzeichen für ein stärkeres Wachstum der russischen Wirtschaft. Die Hälfte der befragten Unternehmen schätzt die Entwicklung des Geschäftsklimas seit Anfang des Jahres positiv oder leicht positiv ein, für weniger als ein Viertel (22 %) war sie negativ oder leicht negativ. Eine positive oder leicht positive Entwicklung im zweiten Halbjahr erwarten sogar 68 Prozent. Auch Schepp hält einen „Post-Corona-Boom“ von Russlands Wirtschaft für sehr wahrscheinlich.

Gegen Sanktionen, für Nord Stream 2

53 Prozent der deutschen Unternehmen glauben, dass die Bedeutung Russlands für sie langfristig zunehmen wird. Als Störfaktoren werden aktuell vor allem der Wechselkurs, die EU-Sanktionen und die russischen Gegensanktionen, die US-Sanktionen, die Entwicklung der Konjunktur sowie bürokratische Hürden ausgemacht. Die Russland-Sanktionen werden von den Wirtschaftsvertretern nahezu geschlossen abgelehnt. 60 Prozent fordern ihren schrittweisen Abbau, 33 Prozent ein sofortiges Ende. Die Politik sei gehalten, „neue Wege zur Deeskalation zu finden und die Sanktionsschraube zurückzudrehen“, so AHK-Präsident Rainer Seele. Sanktionen schadeten der Wirtschaft und hätten ihre politischen Ziele verfehlt.

Auch bei der vor allem in den USA und Osteuropa umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 ist das Stimmungsbild eindeutig. 94 Prozent der deutschen Unternehmen sind der Meinung, die Gasverbindung sei wichtig oder sogar unverzichtbar für die europäische Energieversorgung. 97 Prozent äußern die Erwartung, dass die Bundesregierung die Fertigstellung und Inbetriebnahme politisch durchsetzt.

Seele verweist darauf, dass die deutsche Wirtschaft nicht allein sei mit ihrer Unterstützung für das Projekt. Auch die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland habe sich für die Pipeline ausgesprochen. Als „Brückentechnologie auf dem Weg zur Energiewende“, so Seele, sei Nord Stream 2 „unbedingt notwendig“.

„Export-Champion in der Landwirtschaft“

Die Top-3-Wachstumsbranchen in Russland sind aus Sicht deutscher Unternehmen die Bereiche IT und Telekom, Land- und Ernährungswirtschaft sowie Gesundheitswirtschaft. „Die Ausweitung der staatlichen Programme, um eine bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, zeigt deutlich Wirkung“, sagt Niels Hessmann, CEO von Bayer in Russland. „Aber auch in der Landwirtschaft, in der Russland durch seine Importsubstitutionspolitik und durch Effizienzsteigerungen immer produktiver wird, entwickelt sich das Land zu einem richtigen Export-Cham­pion, der viele Länder aus der ganzen Welt beliefert.“

Tino Künzel

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