Der Mythos lebt: Wiktor Zoi in der Moskauer Manege

Die Ausstellung "Der Weg des Helden“ setzt der sowjetischen Rock-Legende ein weiteres Denkmal aus Musik, Filmausschnitten und persönlichen Artefakten. Der multimediale Ansatz schwankt zwischen Immersion und Heiligenverehrung.

Wiktor Zoi als Statue in einer Schneekugel bei der Ausstellung "Wiktor Zoi. Der Weg des Helden" in der Moskauer Manege.
Bis Mitte April ist die Manege ein Schrein für Wiktor Zoi (Sofija Sandurskaja/AGN Moskva)

Der „Weg des Helden“ Wiktor Zoi beginnt in der Leningrader Punk­szene der frühen Achtzigerjahre, mit Auftritten im „Leningrader Rock-Klub“ und bei Konzerten in Privatwohnungen. Am Ende führt er ihn 1990 auf eine zu diesem Zeitpunkt beispiellose Tournee durch 25 Städte der Sowjetunion. Sie gipfelt in einem Konzert im Moskauer Luschniki-Stadion.

Legende und Idol

Bekanntheit erlangen Zoi und seine Band „Kino“ auch im Westen. Das gelang etwa durch die Hilfe der kalifornischen Musikerin Joanna Stingray. Diese schmuggelte Tonaufnahmen von Kino sowie weiteren Musikern aus der Sowjetunion. Anschließend veröffentlichte sie diese 1986 in den USA unter dem Titel „Red Wave“. Während der Perestroika wird Zoi zu Idol und Identifikationsfigur vor allem für junge Menschen in der gesamten Sowjetunion und schließlich deren Nachfolgestaaten.

Weitere Legendenbildung hat er kaum nötig: „Zoi lebt“ liest man auch fast 32 Jahre nach seinem Tod bei einem Autounfall am 15. August 1990 nicht nur auf der Zoi-Wand auf dem Moskauer Arbat. Auch auf immer wieder neu auftauchenden Graffiti in den Straßen von Sankt Petersburg prangt der Slogan. Durch diese zu laufen, ist abends praktisch unmöglich, ohne wenigstens ein Cover von „Kukuschka“ zu hören. Der Songs stammt vom sogenannten Schwarzen Album, das nach Zois Tod von den übrigen Bandmitgliedern auf Grundlage von Demoaufnahmen eingespielt wurde.

Auch heute ist Zoi omnipräsent

Auch Filme wie „Assa“ und „Die Nadel“, in denen Zoi als Schauspieler mitwirkte, genießen Kultstatus. Letzterer wurde 2010 gar in einer neu geschnittenen Fassung veröffentlicht. Ergänzte Animationssequenzen erwecken Zoi darin erneut zum Leben. Der Song „Peremen“ („Veränderung“), der zur Hymne der Perestroika wurde, wird auch heute noch bei politischen Protesten im post-sowjetischen Raum gespielt. Und in den zeitgenössischen sozialen Netzwerken ist die „Kinomania“ der späten Achtziger nach wie vor lebendig. Dort kursiert sie in Form zahlreicher folkloristischer Adaptionen und Kino-Coverversionen. Das zeigt auch die Ausstellung im letzten ihrer elf Säle.

Bis 15. April führt „Wiktor Zoi. Der Weg des Helden“ in der Manege diese Legendenbildung explizit fort. Tickets sind unter der programmatisch benannten Domain „tsoyhero .com“ zu haben. Die Ausstellung selbst beginnt mit einer Einführung in eine Welt namens „Sowjetunion“, in der „unser Held“ aufwächst und lebt. Der in der Ausstellung nachgebildete Kohleheizkeller Kamtschatka im Petersburger Stadtteil Petrogradskij Rajon wird als archaische „Prüfung“ des Helden innerhalb des Mythos inszeniert. Zoi und andere Vertreter des Leningrader „Andergraund“ wie Kostja Beljawskij von der Band AuktYon und Swjatoslaw Saderij von Alisa arbeiteten dort von 1986 an als Heizer. Der Keller diente ihnen aber auch als Konzertort und fungiert heute gleichermaßen als Musikklub und Schrein für das Heiligtum Zoi.

Zoi, der Heilige?

Das „Kino-Planetarium“ wiederum nimmt Zois Star-Dasein beim Wort. In einem abgedunkelten, mit Sternbildern dekorierten Raum werden Weggefährten etwa in kurzen Interviews vorgestellt. So zum Beispiel die zeitweiligen Mitglieder von Kino Juri Kasparjan und Aleksej Rybin sowie Boris Grebenschtschikow, Pionier des russischen Rock und Gründer der Band Aquarium. Er organisierte die Aufnahmen der ersten Alben von Kino in halblegalen Wohnungsstudios und prägte den frühen Sound der Band maßgeblich.

Das Konzept des „Ausstellungs-Biopic“, durch das die Besucher mit am Eingang ausgegebenen Kopfhörern zum Kino-Soundtrack geführt werden, schwankt dabei zwischen einerseits Immersion und andererseits fast religiös-andächtiger Präsentation einzelner Artefakte. Gegenstände wie die Musikkassette, die während der tödlichen Kollision mit einem Bus in Zois Auto spielte, werden wie Reliquien ausgestellt. Wie viel Ernst und wie viel Ironie in dieser exponierten Heroisierung liegt, bleibt am Ende schwer zu sagen.

Katharina Tönsmann

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