Wenn die Armee wichtiger als der Präsident ist

66 Prozent der Russen halten ihr Militär für vertrauenswürdig. Dies ergab eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Lewada-Zentrum. In den Präsidenten setzen dagegen nur 58 Prozent der Befragten ihre Hoffnungen. Die MDZ sprach mit Studienautor Denis Wolkow über die Gründe.

Das Ansehen des russischen Militärs wächst. Auch als Arbeitsgeber wird die Armee wieder geschätzt. /Foto: pxhere.com

Zum ersten Mal seit sechs Jahren vertrauen mehr Russen der Armee als ihrem Präsidenten. Wie kommt es dazu?

Ich würde den Akzent ein bisschen anders setzen. Eher ist das Vertrauen in den Präsidenten gesunken. Zuvor, nach dem Anschluss der Krim, war das Vertrauen in staatliche Institutionen wie Regierung und Präsident zunächst stark gewachsen. Speziell die Armee konnte dabei auch von dem Konflikt mit dem Westen und dem Syrienkrieg profitieren. In den letzten Jahren beobachten wir aber bei allen Messgrößen wieder ein Absinken dieses Vertrauens. Das ist so ein allgemeiner Trend. Und es hat sich eben so entwickelt, dass das Vertrauen in den Präsidenten schneller gesunken ist als das in die Armee. Speziell vor dem Hintergrund der Rentenreform, für die nach Meinung der Russen vor allem der Präsident verantwortlich ist. Dazu kommt noch die Verschlechterung der Lebensumstände und das Sinken der Einkommen in der Zeit der Krise der letzten Jahre.

Wodurch hat sich die Armee dieses Vertrauen verdient? Was erwarten sich die Menschen?

Nun, noch mal, das ist wieder mit der Außenpolitik der letzten Zeit verbunden. Vor allem vor dem Hintergrund des Konflikts mit dem Westen genießt die Armee auch als Symbol der Stärke ein hohes Vertrauen. Starke Armee und starke Raketen sind eine wichtige symbolische Komponente. Zar Alexander III. hat einmal gesagt, Russland habe nur zwei Verbündete, seine Armee und die Flotte. Diese Auffassung hat sich sehr tief eingebrannt. Es gibt aber auch ein anderes gewichtiges Pfund. Das sind die Reformen, wie die Beseitigung der Dedowschtschina (Anm. d. Red.: das Schikanieren junger Wehrpflichtiger durch dienstältere Soldaten) und der Übergang zum einjährigen Dienst, der das Klima in der Armee nachhaltig verbessert hat. Die Armee wird auf Augenhöhe mit den anderen staatlichen Institutionen wahrgenommen, ihre Autorität als Arbeitsplatz wächst.

In Deutschland wären ähnliche Umfrage-Ergebnisse eher unwahrscheinlich. Wie erklären Sie sich den Unterschied zu Russland?

Das ist etwas schwierig zu beantworten, ich habe keine entsprechenden Studien vor Augen. Deshalb ist es schwer, zu kommentieren, wie einzigartig das ist und welche Ähnlichkeiten es eventuell gibt. Aber mir scheint, dass das keine russische Besonderheit ist. Institutionen wie Armee oder Kirche haben allgemein eine hohe symbolische Bedeutung. Speziell nach kleinen siegreichen Kriegen, wie man so sagt. Für die gegenwärtige Geschichte Deutschlands und anderer europäischer Staaten ist das heute vielleicht ungewöhnlich. Aber ganz sicher gab es auch Perioden in der deutschen Geschichte in denen es ähnliche Effekte gab. Für Großbritannien hatte zum Beispiel der Falklandkrieg einen ähnlichen Effekt. Ich denke, hier kommt es immer auf den Kontext an. Und in Russland ist das eben der, den ich beschrieben habe: der Anschluss der Krim, der Konflikt mit dem Westen und das Gefühl, dass Russland eine Renaissance als Großmacht erlebt.

Das Gespräch führte Birger Schütz

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