Mit Covid-19 in Moskauer Krankenhäusern: Ein Deutscher erzählt

Kai-Uwe Gundermann (47) lebt mit Frau und Tochter in Moskau. Der Deutsche ist schon seit 2009 in Russland, arbeitet heute für eine Unternehmensberatung in Deutschland, fühlt sich aber in Moskau heimisch. Jetzt lag er mit Covid-19 mehrere Wochen im Krankenhaus. Wenn er nicht in eine Privatklinik gewechselt wäre, sagt er, würde er heute vielleicht nicht mehr leben. Hier erzählt er seine Krankengeschichte.

In der Medsi-Klinik konnte Kai-Uwe Gundermann schon wieder lächeln. (Foto: Privat)

Am 5. April habe ich den Notarzt gerufen. Zu diesem Zeitpunkt ging es mir schon über eine Woche mal schlechter, mal besser. Am Morgen hatte ich das Frühstück zubereitet und war danach so platt, dass ich mich ausruhen musste. Nach ein bisschen Treppensteigen wurde mir regelrecht schwarz vor Augen.

Weil meine Arbeit in Deutschland ohnehin auf Homeoffice umgestellt worden war und auch meine Tochter, die seit Herbst in die erste Klasse der Deutschen Schule Moskau geht, nur noch Fernunterricht hatte, sind wir Mitte März auf unsere Datscha umgezogen. Draußen waren wir praktisch nur noch zum Einkaufen. Da muss ich mich angesteckt haben.

Test positiv – bei der Tochter

Mehrere Ärzte hatten mir in der fraglichen Woche bei Hausbesuchen unterschiedliche Diagnosen gestellt. Das Coronavirus war nicht dabei. Aber natürlich macht man sich seine Gedanken. Ich hatte jedoch noch vollen Geschmackssinn, hustete nicht und konnte problemlos eine halbe Minute die Luft anhalten. Das heißt von den Anzeichen her, an denen man laut diverser Empfehlungen im Internet selbst erkennen kann, ob man infiziert ist, war die Lage nicht so eindeutig.

Zwischenzeitlich wurde auch noch meine Tochter krank. Zwei Ärzte haben ihr eine Grippe attestiert. Doch ein Corona-Test fiel bei ihr positiv aus. Als das Ergebnis kam, war sie allerdings schon genesen.

Auch ich glaubte mich das eine oder andere Mal bereits auskuriert. Dann erlitt ich einen heftigen Rückfall mit bis zu 39 Grad Fieber, beginnendem Husten und Problemen beim Luftanhalten, deshalb der Notarzt. Er hat durch Abklopfen eine beidseitige Lungenentzündung festgestellt und mich zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus mitgenommen. Mit dem Krankenwagen ging es los, ohne zunächst zu wissen, wohin überhaupt, weil unklar war, welche der für Corona-Patienten vorgesehenen Einrichtungen freie Kapazitäten hat. Letztlich wurde ich ins staatliche Judin-Krankenhaus im Süden von Moskau eingeliefert.

„Wie in einem schlechten Film“

Der Notarzt übergab mich an eine Aufnahmeärztin, ich musste nicht warten. Es wurde Blut abgenommen, ein EKG gemacht. Man hat mich für eine Computertomografie in die Röhre geschoben. Die Sauerstoffsättigung meines Blutes lag nur noch bei 91 Prozent. Ein Corona-Test war negativ.

Mein erster Eindruck vom Krankenhaus: Ich fühlte mich in die 80er Jahre zurückversetzt. Das war wie in einem schlechten Film. Ein altes Gebäude, ein erster Stock ohne Fenster, im weiß gekalkten Flur kauerten Menschen still auf Bänken und warteten darauf, dass irgendetwas passiert. Als ich selbst dort saß, wurden ständig Notfälle hereingeschoben. Eine Frau musste mehrfach wiederbelebt werden, weil ihr Herz aussetzte. Eine andere konnte sich kaum noch bewegen, hat gewimmert und geschrien.

Was diese Szenerie durchbrochen hat, war die Freundlichkeit des Personals. Ein Pfleger hat mir sogar einen Witz erzählt. Ich habe ihn vergessen, aber es kamen Angela Merkel und Donald Trump darin vor.

Erklärt wurde überhaupt nichts. Das lief nach dem Prinzip: Setz dich hier hin, geh dahin und stell bloß keine Fragen. Als ich mich erkundigt habe, was denn nun mit mir ist, hat mich die Ärztin böse angeschaut und gesagt: na beidseitige Pneumonie. Das war die einzige Auskunft, die ich bekommen habe.

Übrigens wollte nie jemand eine Krankenversicherung von mir sehen. Alles, was in diesem Krankenhaus mit mir unternommen wurde, war kostenlos – auch für mich als Ausländer.

60 Leute, eine Toilette, ein Arzt

Ich musste zur stationären Behandlung bleiben, wurde mir mitgeteilt. Gleichzeitig wurde meine Familie unter Quarantäne gestellt. Ich habe kurz mit dem Gedanken gespielt, aus diesem Krankenhaus einfach abzuhauen. Aber abgesehen davon, dass ich vermutlich nicht an der Wache vorbeigekommen wäre, war ich gar nicht in der Verfassung dazu.

Man hat mich in den vierten Stock gefahren. Dort war die Station für Fälle wie mich. Etwa 60 Leute, eine Toilette, ein Arzt. Ungefähr vier Stunden, nachdem wir von der Datscha losgefahren waren, bekam ich eine Art Feldbett auf Rädern im Korridor. Das war bereits am späten Abend. Ich bin dann so langsam eingedämmert, habe noch gemerkt, dass mich eine Krankenschwester zugedeckt hat, weil es mich fröstelte. Ich will nicht sagen, dass man sich dort nicht gekümmert hätte.

Dreimal am Tag Antibiotika

Nachts füllte sich der Flur. Gegen zwei oder drei Uhr wurde ein Toter herausgefahren. Dann hat eine Art Aufräumkommando das Zimmer desinfiziert. Von den freien Betten dort wurde mir eins zuteil. Wir waren zu dritt.

Behandelt wurden alle gleich und alle gegen Corona. Unabhängig vom Testergebnis. Wer das Virus vorher noch nicht hatte, der hatte es jetzt sowieso. Uns wurde dreimal am Tag ein Breitband-Antibiotikum gespritzt. Damit hoffte man, dass es uns allmählich besser gehen würde. Aber mein Zustand verschlechterte sich zusehends. Mir fiel inzwischen jeder Schritt, jedes Wort schwer. Ich hustete und hechelte.

Noch 71 Prozent Sauerstoffsättigung

Meine Frau hat dann alle Hebel in Bewegung gesetzt und es geschafft, dass ich nach zwei Tagen in die Medsi-Klinik verlegt werden konnte, ein Privatkrankenhaus nach westlichen Standards. Die Woche kostet 200.000  Rubel (ca. 2500 Euro), aber das ist gut angelegtes Geld. Als ich dort ankam, war der Sauerstoffgehalt im Blut auf 71 Prozent gesunken. Wäre ich in dem staatlichen Krankenhaus geblieben, dann hätte die Chance, es lebend zu verlassen, nach Aussage der Medsi-Ärzte höchstens 50 Prozent betragen.

Inzwischen bin ich sogar schon wieder zu Hause. Anfangs hieß es, dass ich voraussichtlich noch vier Wochen im Krankenhaus verbringen müsste. Aber dann reichten doch zwei, bis ich entlassen werden konnte. Jetzt mache ich fleißig Lungengymnastik und nehme aufbauende Tabletten.

In die Corona-Statistik gehe ich im Übrigen nicht ein. Auch wenn die Ärzte mich wegen Covid-19 behandelt haben, wurde ich doch negativ getestet und war also offiziell an einer „normalen“ Lungenentzündung erkrankt. Das könnte auch der Grund sein, warum in Russland die Corona-Sterberate statistisch vergleichsweise niedrig ist: In vielen Fällen werden als Todesursache andere Erkrankungen angeführt.

Notiert von Tino Künzel

Russischer Journalist: Zustände die „Hölle“

Wie es der Zufall will, hat der bekannte russische Journalist Maxim Schewtschenko nahezu dasselbe durchgemacht wie Kai-Uwe Gundermann und nahezu zur selben Zeit. Auch er wurde, als er plötzlich hohes Fieber bekam, von verschiedenen Ärzten zunächst beschwichtigt, er solle sich keine Sorgen machen, bis er selbst eine Computertomografie anfertigen ließ, die eine Lungenentzündung ergab. „Ansonsten wäre ich wahrscheinlich gestorben.“

Auch Schewtschenko geriet mit der Notambulanz wie Gundermann ins Judin-Krankenhaus (das alternativ als 79. Krankenhaus bezeichnet wird) und sprach später auf seinem YouTube-Kanal und in Interviews davon, die Zustände seien die „Hölle“ gewesen. Dabei lobte auch er das Personal. Nach zwei Tagen hätten Bekannte dafür gesorgt, dass er ins 83. Krankenhaus kam (das Föderale Wissenschaftlich-Klinische Zentrum der Föderalen Biomedizinischen Agentur, einer Behörde des Gesundheitsministeriums). Dort habe man ihm, so Schewtschenko, „das Leben gerettet“. Der Journalist sagt, er sei fünfmal auf das Coronavirus getestet worden – und fünfmal negativ. Dabei sei für die Ärzte offensichtlich gewesen, dass er schwer an Covid-19 erkrankt gewesen sei, deshalb hätten sie bei ihm trotz der Testergebnisse ohne jeden Zweifel eine Coronavirus-Infektion diagnostiziert.

Schewtschenko hat aus seiner Erfahrung den Schluss gezogen, die Tests seien absolut unzuverlässig und der offiziellen Statistik dürfe man keinen Glauben schenken, die tatsächlichen Zahlen seien wohl um ein „Dutzendfaches“ höher. Er geht dabei von sich selbst aus. „Wäre ich nicht ins Krankenhaus gekommen, sondern irgendwo gestorben, hätte man beispielsweise gesagt: Lungenentzündung.“

In diesem Video (in russischer Sprache) erzählt der Journalist, wie es ihm mit Covid-19 in Moskau erging.

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