Virale Lügen: Warum Menschen auf Fake-News reinfallen

Seit der US-Wahl 2016 wird diskutiert, wie Fake-News Wahlen beeinflussen. Der Wissenschaftsjournalist Borislaw Koslowskij nahm das zum Anlass und schrieb ein Buch über Nachrichten, Verschwörungstheorien, das menschliche Gehirn und Algorithmen. Im Interview erklärt er, warum Menschen Falschnachrichten Glauben schenken und was man dagegen unternehmen kann.

Nach zahlreichen Skandalen: 26 Prozent der Facebook Nutzer zwischen 18 und 29 löschten die Facebook-App von ihrem Handy. /Foto: Pixabay.

Herr Koslowskij, sind Sie mal auf Fake-News reingefallen?

Als ich anfing mein Buch im Jahr 2015 zu schreiben, war der Begriff „Fake-News“ noch keine weitverbreitete Kategorie wie heute. Erst 2016 ist er vielen vertraut geworden. Und damals habe ich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet Falschmeldungen aus der Fülle von Lügen im Internet zum zentralen Thema werden. Damals beschäftigten mich Gerüchte und Verschwörungstheorien. Es schien mir, dass sie zwischen den Diskussionen, die ich bei Freunden auf Facebook sah, auf wundersame Weise vermehrt haben. Und weil ich ein Wissenschaftsjournalist bin, wollte ich das Organisationsprinzip dieses Phänomen herausfinden.

Also kann Ihrem Auge heute nichts entgehen?

Ganz im Gegenteil. Ich bin in diesem Sinne ein potentielles Opfer von Falschmeldungen. Und ich kann Ihnen eine lustige Geschichte dazu erzählen.

Ich bin gespannt.

Ich habe mein Buch zur Rezension an Alexej Nawalnyj geschickt. Als er für die Organisation einer nicht genehmigten Demonstration zu 30 Tage verurteilt wurde und aus dem Gefängnis frei kam, schrieb er auf Facebook einen Post im Sinne: „Anscheinend haben sie sich auf feierwütige Engländer vorbereitet. Um nicht das Gesicht in der Welt zu verlieren, haben sie uns englischsprachige Wächter an die Seite gestellt und im Menü gab es sogar Tiramisu und vieles mehr.“ Es war also ein lustig-ironischer Post, um zu zeigen, was für eine Augenwischerei betrieben wurde. Ich habe Nawalnyjs Worte für aufrichtig gehalten. Ein paar Tage später dachte ich aber: Vielleicht ist das alles nicht wahr. Und tatsächlich: Nawalnyj, der mein Buch im Gefängnis las, hat ein kleines Experiment durchgeführt.

Eine These in Ihrem Buch ist, dass es normal ist, dass Menschen auf Fakes-News reinfallen und schuld daran sind Soziale Netzwerke.

In der Tat. Natürlich ist es leichter mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu sagen, um mich herum laufen ungebildete Menschen herum, die nicht fähig sind das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Deshalb wollte ich herausfinden, was die Gründe meiner eigenen Fehler sind und warum andere Menschen, die mir ähnlich sind, getäuscht werden. Ich hatte Glück, ich konnte eine sehr gute Ausbildung genießen, ich lese viele Bücher und arbeite im Medienbereich – aber das ist alles kein Gegengift.

Müssten wir beim Medienkonsum kritischer sein?

Es gibt die landläufige Meinung, dass die unkritische Masse eher Lügen Glauben schenkt. Wer sollte sich Lügen entgegensetzen? Skeptiker. Leute, die gewohnt sind, alles zu hinterfragen. Doch die Rhetorik, lasst uns alle kritischer denken, ist zwar sehr verständlich, aber sie funktioniert in der Praxis umgekehrt. Sie bringt mehr Lügen zu Tage als normale Leichtgläubigkeit. Letzteres kann man auch biologisch erklären. Beispielsweise, dass unser Gehirn dazu neigt, sich Manipulationen zu unterziehen.

Fake-News sind nicht irgendwelche Informationen. Sie fügen sich wie Bausteine in eine Verschwörungstheorie. Wenn jemand Ihnen erzählt, dass die Person, die Hilary Clintons geheimen E-Mail-Verkehr aufgedeckt hat, tot ist, dann werden sie vermutliche die Vorstellung von den skrupellosen Demokraten haben, die versuchen, die Wahrheit zu verbergen. Und nur in solch einem Kontext haben einzelne Nachrichten ihre grandiose Wirkung. Das ist keine Geschichte von einem Menschen, der zufällig einem Fakt Glauben geschenkt hat, sondern eine Geschichte darüber, dass ein Fakt sich in die Weltanschauung eines Menschen eingefügt hat.

Sie schreiben, dass nicht populäre Nutzer erfolgreich Gerüchte verbreiten, sondern unbedeutende Nutzer.

Denn sie sind viel aktiver und die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass sie „Fakes“ reposten als Informationen seriöser Medien. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass unbeliebte Nutzer plötzlich das Gefühl verspühren eine Autorität zu sein, wenn sie im Besitz einer geheimen Information sind und es weitergeben. Eine normale Nachricht löst so einen Glauben nicht aus. Worin liegt der Sinn zu erzählen, dass heute ein Parteitag stattgefunden hat? Das kann jeder in den gewöhnlichen Nachrichten nachlesen.

Sollte die Politik eingreifen?

Facebook hat versucht, gegen Fake-News zu kämpfen. Und es wäre gut gewesen, wenn das Unternehmen es nicht gemacht hätte. Weil gerade der Versuch, gegen etwas anzukämpfen, Falschnachrichten zehn Mal mehr verbreitet. Das ist der Backfire-Effekt. Mit Falschnachrichten wie mit faulen Tomaten umzugehen wäre einfach, wenn es sich um nicht qualitätsreiches Wissen handeln würde. Aber Fake-News weisen Merkmale auf, die echte Nachrichten nicht haben. Der Kampf mit ihnen ist die Zutat des Erfolgs.

Außerdem möchte ich nicht, dass Facebook und Google für mich auf der Ebene der Bedeutung entscheiden und Inhalte zensieren. Wenn man weniger Fake-News lesen möchte, reicht es auch Facebook zu verlassen. So haben in Amerika in diesem Jahr 26 Prozent der Facebook Nutzer zwischen 18 und 29 die Facebook-App von ihrem Handy gelöscht.

Gibt es Länder, wo Falschmeldungen erfolgreicher sind?

In unfreien Staaten, die gewohnt sind, dem Staat nicht zu vertrauen, suchen Menschen alternative Quellen in den sozialen Medien. Und wenn die Regierung in die sozialen Netze kommt und bei der Verbreitung von Gerüchten mitspielt, werden diabolische Effekte freigesetzt. Das scheint mir auch in Russland der Fall zu sein, wo Trolle Geld bekommen, um in Kommentarspalten zu schreiben. Sie scheinen effektiver zu sein als das Staatsfernsehen.

Und wie steht es mit dem Vorwurf, Russland habe den amerikanischen Wahlkampf manipuliert?

Wenn Menschen eine direkte Einmischung von Wahlen diskutieren, habe ich das Gefühl, dass sie versuchen aus einer schwierigen Geschichte eine einfach zu machen. Es ist leichter eine konkrete Macht zu sehen, die versucht zu erschrecken. Man muss vorsichtig mit der Idee umgehen, dass in Russland geniale Leute sitzen, die es geschafft haben, 150 Millionen Amerikaner zu überzeugen, Trump zu wählen. Der Erfolg ist nicht immer vorhersehbar.

Zur Person

Foto: Alpina Verlag

Foto: Alpina Verlag.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Borislaw Koslowskij ist Wissenschaftsjournalist.Er war Redakteur des Wissenschaftsressort bei Lenta.ru und Colta.ru und arbeitete als Sonderkorrespondent und stellvertretender Leiter der Zeitschrift GEO in Russland. In diesem Jahr erschien sein Buch „Der maximale Repost“ im russischen Alpina-Verlag.

Das Gespräch führte Katharina Lindt.

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