Viele Antworten und eine Frage zur Leningrader Blockade

Am 27. Januar jährte sich das Ende der Belagerung von Leningrad durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg zum 78. Mal. Was die 872 Tage Blockade für die Stadt und ihre Menschen bedeuteten, hat Franka Bernreiter (19), Abiturientin aus Aalen, jetzt in St. Petersburg erfahren – von Überlebenden. Hier berichtet sie über ihre Erfahrungen und Eindrücke.

Reise in die Geschichte: die Freiwilligen am Denkmal „Der aufgebrochene Ring“ am Ladogasee. (Foto: drb)

In der Schule habe ich so gut wie nichts über die Leningrader Blockade gelernt. Und das trotz Geschichtsleistungskurs. Einmal haben wir im Unterricht ein Bild angeschaut, das mit „Frauen in Leningrad während des Krieges“ betitelt war. Es wurde nicht darauf eingegangen, dass das Bild während der Blockade entstanden ist. Für mich ist das schlechte Arbeit.

Erst im Rahmen der „Humanitären Geste“ habe ich mich genauer mit der Blockade Leningrads durch die Wehrmacht von 1941 bis 1944 beschäftigt. Bei dem Projekt (nach pandemiebedingter Pause fand es erstmals wieder vor Ort und nicht nur online statt – d. Red.) kamen deutsche und russische Freiwillige drei Monate in St. Petersburg mit Überlebenden, den sogenannten Blokadniki, zusammen. In Vorbereitung auf unsere Arbeit haben wir unter Anleitung von Historikern mit Quellen, Texten und Karten gearbeitet und so die Geschichte der Blockade rekonstruiert.

Das Eis war schnell gebrochen

Als wir dann auf die Blokadniki getroffen sind, hatte ich schon den Eindruck, dass bei ihnen eine gewisse Zurückhaltung da war. Wir sind ja nicht nur Deutsche, sondern auch viel jünger. Das hat sich aber bald gelegt und wenn wir Freiwilligen mal nicht da waren, wurde schnell nach uns gefragt. Wir sind uns schon nach kurzer Zeit nähergekommen. Ich habe mich mit einer Zeitzeugin besonders gut verstanden, die auf mich immer sehr lebensfroh wirkte. Diese Diskrepanz zu dem, was uns die Überlebenden von der Blockade erzählt haben, war für mich bemerkenswert.

Unsere Hauptaufgabe im Freiwilligendienst war die Arbeit in der sogenannten Akademie für Inspiration und Kreativität. Dabei handelt es sich um ein Freizeitzentrum für Senioren, die als Kinder die Leningrader Blockade er- und überlebt haben. Das Angebot dort reicht von Sportkursen über Landeskunde bis hin zum Umgang mit Smartphones. Es gibt sogar Deutschkurse. Wir Freiwilligen sollten jede Woche 20 bis 25 Stunden in der Akademie verbringen und die verschiedenen Programme unterstützen. Am liebsten habe ich an den Sportkursen teilgenommen, dort war es einfach, die Sprachbarriere zu überwinden und miteinander zu lachen. Den Samstag haben wir dann immer selbst gestaltet und uns oft mit den Blokadniki zum Kaffee verabredet, um ihren Erzählungen zuzuhören.

Die Bedeutung von Symbolen

Dabei ist mir auch bewusst geworden, wie wichtig ihnen die Orte und Denkmäler der Blockade sind. Es gibt beispielsweise diese blaue Tafel, die während der Belagerung anzeigte, welche Straßenseite bei Artilleriebeschuss gefährlicher ist. Sie sollte mal abgenommen oder übertüncht werden. Das fanden die Blokadniki schrecklich ignorant. Da merkt man, welche Bedeutung solche Symbole für sie haben.

Begegnungen mit den Blokadniki sind der Kern des Freiwilligenprogramms (Foto: drb)

St. Petersburg selbst ist voller Spuren der Blockade. Ich habe versucht, mir die Stadt auch vor diesem Hintergrund zu erschließen. An einem Tag haben wir gezielt solche Orte besucht und waren auch am Ladogasee, über den damals die „Straße des Lebens“ führte, als einziger Weg durch den Belagerungsring. Daran erinnert das Denkmal „Der aufgebrochene Ring“. Mir hat dieser Ausflug geholfen, die Schauplätze geografisch zueinander in Relation zu setzen, aber auch zu verstehen, wie viel sich seitdem verändert hat.

Hilfsbereitschaft im Alltag

In St. Petersburg war ich generell viel unterwegs. Oft hat mich dabei die enorme Hilfsbereitschaft überrascht. Einmal wollte ich einen Brief versenden und habe die Post nicht gefunden. Ein älterer Herr hat mich dann dort hingebracht, obwohl es für ihn ein langer Umweg war.

Die Stadt wirkte nach den von der Pandemie geprägten Monaten in Deutschland auf mich sehr lebendig. Überall war Straßenmusik zu hören. Die russischen Freiwilligen, die wie wir in der Akademie arbeiteten, haben uns viel gezeigt, mit uns Russisch geübt und uns dabei unterstützt, uns zurechtzufinden.

Leningrad und Stalingrad verwechselt

Gegen Ende des Freiwilligendienstes sollten wir uns ein eigenes Projekt ausdenken, die Geschichte sozusagen weitererzählen. Ziel ist es, das Erlebte in eine neue Form zu bringen, die von anderen nutzbar ist. Ich arbeite mit anderen deutschen Freiwilligen an einem Kurzfilm. Wir versuchen, filmisch den Hunger und die Kälte darzustellen, indem wir von zwei Mädchen im belagerten Leningrad erzählen. Uns kam die Idee, weil man zwar Dokumentationen findet, aber kaum Formate, die versuchen, einen emotionalen Zugang zu dem Thema zu ermöglichen. Wenn er fertig ist, wird der Film wahrscheinlich auf YouTube zu finden sein.

Ich finde es wichtig, das Erlebte weiterzugeben. Es gehört einem nicht allein. Deshalb ist es auch richtig, dass es Programme wie die „Humanitäre Geste“ gibt. Sie sind aber kein Ersatz dafür, was die Schule vermitteln sollte. Wir Freiwilligen haben in unserem deutschen Umfeld herumgefragt und festgestellt, dass die meisten nichts über die Blockade wussten. Da wurde auch mal Leningrad mit Stalingrad verwechselt. Ich sehe hier das Bildungswesen und den Staat in der Verantwortung. Dafür gibt es zuständige Ministerien und Menschen, die sich professionell mit dem Geschichtsunterricht beschäftigen. Da frage ich mich schon, warum das Thema der Leningrader Blockade so untergeht.

Aufgeschrieben von Sophia Othmer

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