Suhl und Kaluga: Städtepartnerschaft in Kriegszeiten

Seit Februar 2022 sind die Kontakte zwischen deutschen Städten und ihren Partnerstädten in Russland eingefroren oder eingeschränkt. Und trotzdem hat Suhl jetzt das Ansinnen des ukrainischen Podilsk ausgeschlagen, eine Städtepartnerschaft einzugehen – um die 55-jährige Partnerschaft zu Kaluga nicht zu gefährden.

2019 aktualisierten die Vertreter von Kaluga und Suhl, Alexander Ivanov und André Knapp (rechts), die Partnerschaftsvereinbarung (Foto: Aus dem Privatarchiv von Martin Kummer)

Diese Nachricht sorgte für großes Aufsehen in den Medien. Viele russische föderale Medien berichteten Anfang November, dass die Stadt Suhl in Thüringen „sich weigert, die Partnerschaft mit Kaluga aufzugeben“. Ukrainische Nachrichtensender betonten, dass die Deutschen eine Partnerschaft mit der Stadt im Gebiet Odessa „aus Angst vor dem Verlust der Beziehungen zu Kaluga“ abgelehnt hätten. Viele deutsche Medien berichteten über das große Unverständnis über das Vorgehen des Suhler Stadtrats.

Eine Geschichte, die fast ein Jahr dauert

Die Suhler lokale Zeitung „Freies Wort“ hat die Chronologie der Ereignisse rekonstruiert. Am 8. Januar dieses Jahres schickte der Bürgermeister der Stadt Podilsk, 200 Kilometer von Odessa entfernt, dem Oberbürgermeister von Suhl André Knapp (CDU) das Angebot, eine Städtepartnerschaft zu gründen.

Im April antwortete die deutsche Stadt, dass sie eine Partnerschaft mit Kaluga unterhalte, die zwar jetzt ruhte, aber die Aufnahme von Beziehungen mit der ukrainischen Stadt ausschließe. Der amtierende Bürgermeister von Podilsk Oleg Albanskiy schrieb, dass „jegliche partnerschaftliche Kontakte mit russischen Städten in der Vergangenheit uns nicht davon abhalten sollten, Beziehungen in der Gegenwart anzustreben und starke Verbindungen für die Zukunft in Europa aufzubauen.“ Im Mai fand eine Videokonferenz statt, bei der Vertreter von Suhl und Podilsk Präsentationen der Städte zeigten. Anschließend hatten die 36 Mitglieder des Suhler Stadtrats Zeit, das Für und Wider abzuwägen. Ende Oktober trafen sie ihre Entscheidung: Sie lehnten den Vorschlag von Podilsk ab.

Es ist nicht klar, wer genau gegen die neue Partnerschaft ist. Die Stadträte scheuen sich, offen darüber zu sprechen. „Freies Wort“ schreibt: „Zu groß ist offenbar die Angst, von den Medien als Putin-Freund abgestempelt und als Russland-Versteher gebrandmarkt zu werden“.

„Unterschiedliche Meinungen“

Die MDZ fragte die vier Fraktionsvorsitzenden des Suhler Stadtrates. Zwei haben geantwortet. Lars Jähne, Vorsitzender der größten Fraktion, der CDU, schrieb, wie wichtig die Partnerschaftsbeziehungen für Suhl sind und dass er selbst viele gute gemeinsame Partnerschaftsprojekte mit Russland hinter sich hat, dank derer er viele russische Freunde und Kollegen fand. „In unserer Fraktion der CDU gibt es zum Thema unterschiedliche Meinungen, die wir akzeptieren und respektieren“, so Lars Jähne. „Die Frage, was mir persönlich wichtiger ist, lässt sich so nicht beantworten. Ich habe die Einstellung, Menschen in Not zu helfen – ohne Waffen. Einen großen Anteil wird auch in Zukunft die Zivilgesellschaft leisten. Ohne Unterstützung aller Verwaltungen ist das aber nur sehr schwer möglich.“ Herr Jähne hat den Oberbürgermeister bei der Abstimmung unterstützt, der für die neue Partnerschaft ist.

Der Vorsitzende der kleinsten Fraktion, der Linken, Philipp Weltzien, betonte zu Beginn seiner Antwort ebenfalls die Bedeutung der Partnerschaftsbeziehungen. Daher sei die Fraktion dafür, dass „die Beziehungen zu unserer langjährigen Partnerstadt Kaluga nicht auf Eis gelegt werden“, auch in Zeiten eines militärischen Konfliktes nicht. Aber die Fraktion war auch nicht gegen eine neue Partnerschaft mit Podilsk. „Wir sind uns darüber bewusst, dass das auf dem politischen Feld zu Spannungen bei den Freundschaften in der Russischen Föderation führen kann, betonen aber ausdrücklich, dass wir sehr klar zwischen zivilgesellschaftlichen Freundschaften und politischen Bündnissen unterscheiden“, schrieb Herr Weltzien. Die Fraktion „Die Linke“ hat auch den Oberbürgermeister in seinem Anliegen unterstützt.

In Suhl fragt man sich, schreibt „Freies Wort“, warum sich Podilsk ausgerechnet an sie gewandt hat und ob das etwa eine Provokation sei? Suhl ist seit 1969 Partnerstadt von Kaluga. Diese Partnerschaft gehört zu den ältesten deutsch-russischen Städtepartnerschaften. Die Vereinbarung zwischen zwei Städten wurde vor fünf Jahren anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Partnerschaftsbeziehungen feierlich erneuert.

Sitz des Suhler Stadtrates
Sitz des Suhler Stadtrates (Foto: A. Savin, Wikimedia)

Chance, Geschichte zu schreibe

Wenn die thüringische Stadt Podilsk zustimmt, wäre sie die einzige deutsche Ortschaft, die sowohl mit einer russischen als auch mit einer ukrainischen Stadt eine Partnerschaft unterhält. Derzeit haben rund 210 deutsche Städte Partnerstädte in der Ukraine. Bis Februar 2022 waren es 75. Zum Vergleich: „Heute gibt es 90 offizielle deutsch-russische Städtepartnerschaften“, heißt es auf der Webseite des Deutsch-Russischen Forums.

Martin Kummer (CDU), ehemaliger Oberbürgermeister von Suhl und Vorsitzender der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen, hält die Partnerschaft von Suhl mit Kaluga und Podilsk für sinnvoll. „Dann habe man gute Chancen, etwas für die Verständigung und eine Annäherung nach Kriegsende zu tun“, zitiert ihn „Freies Wort“. Die deutsche Stadt werde dann Kontakte zwischen den Menschen in Kaluga und Podilsk vermitteln.

Es gab keine Antwort auf die Frage von der MDZ an die Stadtverwaltung von Kaluga, ob die Stadt eine Partnerschaft mit Suhl ablehnen würde, wenn sie ein Partner von Podilsk würde. Die Vertreter von Kaluga erklärten in den Medien, dass sie sich „an die zuvor getroffenen Vereinbarungen [mit Suhl] halten“.

Es gibt definitiv noch kein Ende in dieser Geschichte.

Olga Silantjewa

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