Norbert Staffa hätte gern noch eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn gemacht. In Sibirien war er mit seiner Frau bisher nicht, anders als in Moskau, Kasan, Kalmückien und im Wolga-Delta. Aber mit Mitte 70 ist der Rentner dann doch nicht mehr so gut zu Fuß, die Knie schmerzen und lange Wege sind da eher kontraproduktiv. Wobei man das Gefühl nicht loswird, dass Staffa das alles in Kauf nehmen würde, wäre heutzutage nicht allein das Hinkommen eine kleine Weltreise. Unter diesen Umständen muss das Vorhaben ein Wunschtraum bleiben.
Russland, trotz allem
Eine andere Herzensangelegenheit will der ehemalige Geschichtslehrer aber nicht so einfach abschreiben. Er ist Vorsitzender der Erzgebirgsfreunde Russlands. 2018 wurde der Verein gegründet, von den 30 Mitgliedern sind die meisten ungefähr in Staffas Alter. Man hat sich zusammengetan, um deutsch-russische Traditionen im Erzgebirge pflegen, den Einheimischen Russland und die Russen mit Kultur näherzubringen.
Das kam an. Die Vorträge stießen etwa im Altersheim oder im Dorfklub auf reges Interesse. Eine „Märchentante“ las Kindergartenkindern russische Märchen vor. Staffa selbst hat einige landeskundliche Bücher verfasst und sich dabei schwarz auf weiß zu seinem, wie es dort heißt, „Faible für Russland, seine Geschichte, seine Menschen, ihre Lebensart, besonders aber für ihren Charakter und ihre Seele“ bekannt. Mit Russen verbinde ihn allemal mehr als mit Amerikanern, sagt er.
Angebote nicht mehr gefragt
Doch seit jenem folgenschweren Februar 2022 liegen alle Projekte auf Eis. Die Nachfrage nach den kulturellen Angeboten des Vereins sei komplett eingebrochen, so Staffa. Auch bei vielen Kontakte nach Russland verliere sich die Spur. Man habe sogar in Erwägung gezogen, sich aufzulösen. Aber dann würde man ja aufgeben, was man Gutes im Sinn hatte, nämlich Menschen näher zusammenzubringen, Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu rücken und eine jahrhundertealte Beziehung weiter mit Leben zu erfüllen. Kann das schlecht sein – egal wie man politisch zu Russland steht?
Jedenfalls wolle das heute „keiner wissen“, konstatiert Staffa. Er spricht von „Russophobie“, von „westlicher Kriegstreiberei“, das Vokabular könnte auch aus den russischen Staatsmedien stammen. Doch Staffa verteidigt die Wortwahl. Man sei unzufrieden mit der „feindseligen“ Politik der Bundesregierung gegenüber Russland. Konfrontation habe historisch schon immer geschadet. Und letztlich: „Es wird eine Zeit nach Putin geben.“
Deutsch-russische Geschichte im Erzgebirge
Staffa ist in Hohndorf zu Hause, einem Ortsteil von Großolbersdorf rund 20 Kilometer südöstlich von Chemnitz in Westsachsen. Früher kam auf dieser Anhöhe ein Fernhandelsweg von Halle nach Prag durch, heute ist es die B 174. Die Zeiten ändern sich, vom Gasthaus „Schwarzes Ross“ ist nur der Name der Bushaltestelle übriggeblieben. Stattdessen firmiert an der Stelle heute ein Möbelhaus.
Doch nach wie vor künden die Chroniken davon, dass unten im Tal, in Zschopau und damit nur wenige Kilometer von Staffas Einfamilienhaus, 1711 der russische Zar Peter der Große genächtigt hat. Zweimal sogar: Im „Weißen Rößgen“ stieg er auf seiner Fahrt zur Kur in Karlsbad ab. Es scheint ihm gefallen zu haben, denn auf dem Rückweg machte er wieder hier Station.
Und das ist nur eine von vielen Querverbindungen, die sich anführen ließen. Michail Lomonossow, der vielleicht berühmteste russische Gelehrte des 18. Jahrhunderts, hat in Freiberg Bergbau studiert. In Zschopau ist nach dem Zweiten Weltkrieg das komplette DKW-Werk abgebaut und ins russische Ischewsk verfrachtet worden, nebst den fünf führenden Ingenieuren, die dort von 1946 bis 1952 Aufbauarbeit leisten und die Motorradproduktion ankurbeln mussten. Das war Teil der Reparationsleistungen.
Die gefühlte Nähe
Unvergessen ist natürlich auch die Wismut, jener deutsch-sowjetische Bergbaubetrieb, der für mehrere Generationen von Erzgebirgern identitätsstiftend wirkte. Begraben sind im Erzgebirge zudem zahlreiche sowjetische Kriegsgefangene, die ihre Zwangsarbeit nicht überlebten und die man in „Lazarettlagern“ sterben ließ.
Doch auch die DDR-Zeit an sich hat eine Prägung hinterlassen, die sich bis heute im Verhältnis zu Russland auswirkt. „Wir haben sowjetische Filme gesehen, in meinem Bücherschrank stehen noch immer die Kinderbücher aus Russland, das war ein Teil meines Lebens“, erzählt Norbert Staffa. Dabei komme er nicht etwa aus einer „roten“ Familie, seine Eltern stammten aus dem Sudetenland. Doch an die DDR hat er vor allem gute Erinnerungen. In „sehr bescheidenen“ Verhältnissen aufgewachsen, habe er nichtsdestotrotz studieren können.
Auch als Wende-Verlierer kann man die Staffas beim besten Willen nicht bezeichnen. Norbert Staffa unterrichtete an der Kölner Wirtschaftsfachschule, betrieb anschließend noch 15 Jahre ein Reisebüro für Senioren. Auch seine Frau machte sich selbstständig und unterhielt einen Krankenpflegedienst. Es geht ihnen gut. Diesen Winter kam eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach, nicht ganz billig, aber eben „unser eigenes kleines Kraftwerk“, wie Staffa lächelnd meint.
Austausch mit Gleichgesinnten angestrebt
Das „Faible“ für Russland ist nicht aus sozialem Unfrieden in Deutschland geboren und seine Vereinsarbeit ein „guter Zweck“, den er gern weiterverfolgen würde. Dafür werden in Russland nun Gleichgesinnte gesucht. „Wir wünschen uns wieder mehr kommunikative Beziehungen in die Russische Föderation“, sagt Staffa.
Angesprochen fühlen dürfen sich nach seinen Worten Organisationen, soziale Projekte, Interessentenkreise oder auch Einzelpersonen, die an einem Austausch interessiert sind. Man wolle die Traditionen am Leben erhalten und „im Denken der Menschen eine Spur hinterlassen“. Europa, so Staffa, dürfe nicht im Baltikum enden, sondern müsse bis zum Ural reichen. Mindestens.
Tino Künzel