Moskau in rotem Licht: ein Gespräch mit Maler Kirill Strjukow

Seit Kirill Strjukow als Student nach Moskau kam, hält er die Stadt in melancholischen Gemälden fest. Mit der MDZ spricht er über eine Metropole, die stets im Wandel ist und doch den Geist vergangener Tage in sich trägt.

Ein Gemälde von Kirill Strjukow
Allein auf weiter Flur, irgendwo am Rand der Stadt (Kirill Strjukow)

Kirill, Moskau ist der Gegenstand fast aller Ihrer Arbeiten, Sie selbst sind damals zum Kunststudium aus Stawropol in die Hauptstadt gekommen. Wie hat sich Ihre Faszination für diesen Ort entwickelt? Wussten Sie sofort, dass Ihre Kunst so lange und tief mit ihm verbunden sein würde?

Das stimmt, die meisten meiner Bilder beschäftigen sich mit Moskau. Die Stadt fesselt mich in meiner Kunst schon seit dem ersten oder zweiten Studienjahr am Surikow-Ins­titut. Moskau ist wahnsinnig vielseitig und bietet eine endlose Fülle an Sujets, die sich in Kunst umsetzen lassen. Vielleicht ist das nur meine persönliche Sichtweise, aber ich nehme das so wahr. Als Student wohnte ich im Stadtteil Taganka. Alle meine Arbeiten während des Studiums waren mit diesem Ort verbunden. Und meiner Meinung nach habe ich gerade mal ein Prozent aller Motive, die sich in dieser Gegend finden, überhaupt gemalt. Meine Kommilitonen haben oft darüber gescherzt, dass ich mir den Rest Moskaus so gar nicht erschließe. Aber warum sollte ich meine Motive auch in der ganzen Stadt suchen, wenn sie doch direkt vor mir auf der Straße lagen?

Als ich Ihre Bilder zum ersten Mal sah, war ich mir nicht sicher, ob ich in ihnen das heutige oder das sowjetische Moskau sehe. Sind Ihre Bilder auch ein visuelles Echo des Moskaus des 20. Jahrhunderts?

Natürlich ist vieles in Moskau das Erbe des 20. Jahrhunderts und noch früherer Zeiten. Die klassischen architektonischen Sehenswürdigkeiten, stalinistische Hochhäuser, die Metro, der Großteil der Stationen – viel davon wurde im 20. Jahrhundert gebaut. Eine Villa aus dem 18. Jahrhundert steht neben einem sowjetischen Gebäude. Direkt daneben ist dann noch ein High-Tech- Wolkenkratzer. Das alles tritt in Dialog miteinander und formt die Atmosphäre, das, was wir dann den Geist der Stadt nennen. Als Künstler zieht mich das natürlich an. Ich mag den Ausdruck „Stadt der Kontraste“ nicht, aber in der Stadt resonieren verschiedene Zeiten und Epochen.

Ein Gemälde von Kirill Strjukow
Tiefroter Himmel über der Moskwa auf Höhe der Sperlingsberge

Was mir auf Ihren Bildern sofort ins Auge springt, ist das intensive Rot des Himmels. Warum kommt genau diese Farbe so oft in Ihren Bildern vor? Ist da noch die Spur des sozialistischen Realismus zu sehen? Oder ist das einfach Ihre Art, die Stadt wahrzunehmen?

Ehrlich gesagt ist Rot einfach meine Lieblingsfarbe. Das meine ich auf die Kunst, wie auch auf das Leben im Allgemeinen bezogen. Ich verstehe die Frage insofern, als Rot die Farbe der sowjetischen Flagge war. Ich bin zwar sehr stolz auf diese Zeit und auf das Land, das diese Farbe im Banner trug, aber mit meiner Arbeit hat das weniger zu tun. Wichtiger ist mir, dass die rote Farbe eine starke Energie zu den Bildern beisteuert. Jeder Künstler hat so eine Lieblingsfarbe, die ihm nahe ist.

Über die Jahre hat sich Moskau stark verändert, ist moderner geworden, vielerorts auch sauberer als früher. Verändert das auch Ihren künstlerischen Blick auf die Stadt? Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Natürlich, die Stadt verändert sich und weil es die Hauptstadt unseres Landes ist, geschieht das besonders schnell. Aber die wichtigsten Orte sind recht gleich geblieben, sie sind wie Säulen, auf denen alles ruht. Die Sache ist die, dass Moskau einfach unglaublich groß ist. Wenn man in dem einen Eck lebt, kann man sich nur schwer vorstellen, was in anderen Stadtteilen gerade vor sich geht. Generell stehe ich Veränderungen positiv gegenüber. Ich sehe sie als eine Art Update und die Stadt als lebenden Organismus, der nie gleich bleiben kann. Das Update verjüngt die Stadt, sofern man das sagen kann, ohne banal zu klingen.

Ein Gemälde von Kirill Strjukow
Die Moskauer Metro zur Rushhour: einig in der Masse?

Auf Ihren Bildern, besonders wenn Sie Metrostationen malen, sieht man nur selten die Gesichter der Menschen. Warum?

Für mich ist in meinen Arbeiten vor allem der emotionale Zugang wichtig. Man kann das auch die Atmosphäre nennen. Natürlich verschmelzen die Menschen in der Metro für eine Zeit lang zu einer Masse und der Mensch als Individuum hört auf, zu existieren. Das ist eine Eigenheit aller großen Städte. Im Moment interessiert mich nicht so sehr der einzelne Mensch, sondern vielmehr eine Art Gesamtheit der Menschen in einem bestimmten Ausschnitt.

Was interessiert Sie mehr: das überirdische oder das unterirdische Moskau?

Was Sie, glaube ich, ganz richtig anpeilen, ist, dass sich meine Arbeiten etwa zu je 50 Prozent in „Overground“- und „Underground“-Bilder teilen. Sowohl die Stadt selbst, als auch die Metro interessieren mich ungemein. Genau diese Gegensätzlichkeit lässt mich alle meine Sujets schärfer und intensiver wahrnehmen.

Eine etwas lockerere Frage zum Ende. Wenn Sie sich ein komplett anderes Thema für Ihre Kunst aussuchen müssten, was würden Sie wählen?

Da fiele mir alles Mögliche ein. Vielleicht werde ich mich in Zukunft an detaillierteren Studien der Menschen probieren und zum Beispiel Porträts malen. Viele Künstler haben im Laufe ihrer Karriere die Genres gewechselt. Oder sie sind wieder zu ihren früheren Motiven zurückgekehrt. Das ist normal für einen Künstler. Ich würde sagen, es tut der Sache sogar gut. Leben bedeutet immer auch Veränderung.

Die Fragen stellte Thomas Fritz Maier.

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