Zum Tod von Michail Podwigin: „Er hat mir geholfen, Russland zu verstehen“

Eine schwere Krankheit. Und dann auch noch Covid. Irgendwann haben Michail Jewgenjewitsch Podwigin die Kräfte verlassen. Am 14. März ist der erste Chefredakteur der MDZ im Alter von 81 Jahren gestorben. „Er hat euch alle geliebt und sich gern an euch erinnert“, sagt seine Frau Valentina am Telefon. Hier erinnern wir uns an ihn.

Michail Podwigin auf einem Foto aus dem Jahre 2008 in seinem Moskauer Stadtbezirk (Foto: Tino Künzel)

Olga Martens, Herausgeberin der MDZ

Michail Podwigin war ein Deutschlandkenner, wie man sie heute selten findet. Ich kannte ihn praktisch von der ersten Stunde, der Konzipierung der MDZ an. Für mich als Germanistin war das eine Erfahrung von unschätzbarem Wert. Podwigin hat dafür gesorgt, dass die Redaktion den richtigen Ton bei der Berichterstattung über die deutsch-russischen Beziehungen getroffen hat. Die Redaktionspolitik, für die er stand, hat es der Zeitung erlaubt, Anerkennung sowohl im russischen wie im deutschen Umfeld zu erlangen.

Heinrich Martens, MDZ-Gründer, Vorsitzender des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVDK)

Michail Jewgenjewitsch stieß im Februar 1998 zur MDZ, anderthalb Monate nachdem überhaupt die Idee entstanden war, die deutschsprachige Zeitung in Moskau wieder aufleben zu lassen. Wir haben gemeinsam die Philosophie der MDZ entwickelt, gemeinsam davon geträumt, eine russische Zeitung der Russlanddeutschen und für Russlanddeutsche aufzubauen. Sie sollte eine echte Brücke der Freundschaft zwischen den Völkern Russlands und Deutschlands schlagen. Ich würde sagen, der Traum ist voll und ganz in Erfüllung gegangen.

Wir haben die ersten Ausgaben geplant, die Themen besprochen, über die Inhalte der Artikel gestritten. Von Anfang an basierten sie auf einer ausgewogenen Berichterstattung über beide Länder, die Ecken und Kanten nicht aussparte, aber auch positive Aspekte zeigte. Wir glaubten an das große Poten­zial der Freundschaft zwischen Russland und Deutschland.

Michail Jewgenjewitsch zog Menschen in seinen Bann, verfügte über eine große Ausstrahlung, teilte seine riesige Erfahrung uneigennützig mit anderen, half in schwierigen Situationen. Für mich war und bleibt er für immer aufrichtig und grenzenlos mit seiner Heimat Russland verbunden, der er Gutes zu tun versuchte.

Bis heute folgt die MDZ in ihrer Redaktionspolitik den Werten, die Michail Jewgenjewitsch ihr mit auf den Weg gegeben hat: Wahrhaftigkeit, Verantwortungsgefühl, Ausgewogenheit, Arbeit im Interesse Russlands und zu Gunsten des Ausbaus und der Entwicklung der deutsch-russischen Zusammenarbeit. Der Tod von Michail Jewgenjewitsch, des langjährigen Chefredakteurs der MDZ, eines Arbeitskollegen und Freundes, ist ein großer Verlust für unsere Zeitung und für mich persönlich als Gründer der MDZ. Mein tief empfundenes Beileid geht an seine Ehefrau Valentina, seine Tochter Marina, an die gesamte Familie. Ewiges Gedenken!

Dana Ritzmann, Diplom-Journalistin, Wirtschaftsredakteurin der MDZ von August 2003 bis Januar 2006

Gerade in den letzten Tagen habe ich viel an Herrn Podwigin gedacht. Er war ein guter Lehrer, ein streitbarer Chefredakteur, ein väterlicher Freund, damals, als ich 2003 neu in Moskau war. Das Entsetzen darüber, dass die jungen Redakteure seine vorgesehene Ressortverteilung – Kultur die Frau, Wirtschaft der Mann – aufmüpfig über den Haufen warfen, hat er runtergeschluckt. Umso ehrlicher dann sein verhaltenes Lob etwa drei Monate später, ich würde meine Sache als Wirtschaftsredakteurin ja ganz gut machen, auch wenn er mir das gar nicht zugetraut hätte.

Herr Podwigin hat in seinem Leben viele Gewissheiten schwinden sehen, war aber immer auch bereit zu diskutieren, zumal mit uns jungen deutschen Journalisten. Auf manches hatte er eine sehr eigene Sicht, aber er hatte für ganz vieles eine Erklärung. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hat mir geholfen, Russland zu verstehen. Gerne hätte ich Kontakt gehalten, aber irgendwie war ich dann weg – erst von der MDZ, dann aus Russland.

Vielleicht wäre es leichter gewesen, die dramatischen Entwicklungen der letzten Jahre zu begreifen, wenn wir uns hin und wieder ausgetauscht hätten. Jetzt ist es leider zu spät. Ich bin sicher, er hat darunter gelitten, die Beziehungen zu Deutschland so zerbrechen zu sehen. Aber meine Erinnerung an Herrn Podwigin trägt vielleicht in Zukunft dazu bei, wieder Verständnis und ein europäisches Miteinander auch mit Russland aufzubauen.

Ludmilla Kolina, MDZ-Korrespondentin

Bei der „Moskauer Deutschen Zeitung“ habe ich 2001 angefangen, nach Abschluss meines Journalistik-Studiums an der Lomonossow-Universität. Eine Kommilitonin, die ihr Studium damals in Deutschland fortsetzte, hatte mir von dieser Möglichkeit erzählt. Frisch von der Uni, war ich eine Anfängerin im Beruf – und durfte mich gleich in die Redakteursarbeit stürzen. Ich war für eine achtseitige Beilage über das kulturelle Leben in Moskau unter dem Titel „Wo und Was in Moskau?“ zuständig. Und das alles auf Deutsch.

Natürlich war ich anfangs etwas ängstlich, aber das legte sich schnell, als ich spürte, dass ich in eine echte Familie und ein tolles Kollektiv von Gleichgesinnten aufgenommen worden war. Das ist zweifellos das Verdient von Michail Podwigin. Den Jungjournalisten, ob sie nun aus Russland oder Deutschland kamen, war er auf väterliche Art und Weise zugeneigt. Er ermutigte uns, neue Ideen vorzubringen, unterstützte uns mit klugen Ratschlägen. Seine Tür stand mir immer offen, sodass wir uns zu allen Dingen, die mir am Herzen lagen, austauschen konnten, bis hin zu persönlichen Anliegen. Anregungen für die nächste Ausgabe hatte Michail Jewgenjewitsch immer parat.

Aber es war nicht nur interessant, mit ihm zu reden. Er wusste auch stets eine Atmosphäre von Ruhe und Warmherzigkeit um sich herum zu schaffen. In diesem Klima haben wir auch Feier- und Geburtstage gemeinsam begangen. Und Michail Jewgenjewitsch, geistreich wie wir ihn kannten, war die Seele des Kollektivs.

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