Jazz neu interpretiert: Internationale Improvisationsmusik in Moskau

Wenn es draußen kälter wird, beginnt in Moskau die Zeit der Musikklubs. Am 5. Oktober eröffnete das 8. Mal das Festival „Jazz im Herbst“, das das Verständnis von Jazz erweitern will. Noch bis Anfang November werden Größen der internationalen Jazz- und Improvisationsszene im Kulturzentrum „DOM“ auf der Bühne spielen.

Jazz

„Revolver 23“ auf der Bühne des Kulturzentrums „DOM“ /Foto: Swetlana Selesnjowa

Kann experimentelle Improvisationsmusik politische Bezüge haben? Sie kann. Das bewiesen „Revolver 23“ am 5. Oktober zum Auftakt des 8. Festivals „Jazz im Herbst“-. Mit voller Wucht begann das Quartett um den legendären deutschen Improvisationsmusiker Alfred Harth sein Konzert im Kulturzen-trum „DOM“. Eine intensive Klangwand ergriff innerhalb weniger Augenblicke den vollen Saal. Anschließend nahm „Revolver 23“ das Publikum auf eine musikalische Zeitreise mit, inklusive vieler Tempi- und Stilwechsel.

Diese Reise hatte einen politischen Hintergrund, wie Alfred Harth nach dem Konzert erklärte. Denn allein der Name der Band „Revolver 23“ (von lateinisch revolvere–zurückwälzen) nehme Bezug auf die rückwärtsgewandten Vorgänge in der aktuellen Politik in der Welt. Dies wollen die Bandmitglieder auf ihre Musik übertragen. Aus einer anderen Zeit waren musikalisch gesehen auch die Elemente aus Punk und elektronischer Musik, die während des Konzertes immer wieder auftraten. Beides seien zwar historische Stile, aber immer noch aktuell und wurden von den Musikern mit frischem Impetus auf die Bühne gebracht, so Harth.

Der Begriff des Jazz wird erweitert

Das Konzert von „Revolver 23“ gibt die Richtung vor, in die sich das „Jazz im Herbst“ in diesem Jahr bewegt. Es trägt den Zusatztitel „Experimentelle Improvisationsmusik“. Was wie eine Abkehr vom Ursprungsgedanken des Festivals klingt, ist in Wahrheit das Gegenteil. Es gehe immer noch um Jazz, jedoch um die Erweiterung dessen, was Jazz sei, sagt Astrid Wege, Leiterin der Kulturprogramme des Goethe-Instituts, das das Festival gemeinsam mit Kirill Polonskij organisiert.

Das diesjährige Musikfestival sei eine logische Entwicklung. Der neue Titel gebe das wider, was in den letzten Jahren bereits gemacht wurde, so Wege. Das Festival will einen anderen Ansatz des Jazz-Machens zeigen. Einen Ansatz, der improvisiert ist, bei dem nicht nach vorgegebenen Notationen gespielt wird und der immer im Hier und Jetzt stattfindet. Solche Konzertabende halten immer eine Überraschung parat, denn die Musiker agieren nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Publikum.

Das „Jazz im Herbst“ 2018 will Musik präsentieren, die wie eine Momentaufnahme wirkt und nur einmal erfahren werden kann. Nicht einmal die Musiker werden wissen, wie ihr Konzert enden wird, so Wege. 

Die Moskauer Szene ist klein, aber stabil 

Die Moskauer Jazz-Szene sei klein, aber sehr stabil. Angst, dass der neue Ansatz des „Jazz im Herbst“ die Fangemeinde, die über Jahre hinweg aufgebaut wurde, abschrecken könne, haben die Organisatoren nicht. Ganz im Gegenteil. Eher habe man gemerkt, dass mit dem klassischen Jazz-Begriff einen Teil des potentiellen Publikums nicht erreicht werden konnte. Die Konzerte seien für alle offen, die sich darauf einlassen, betont Wege. Der Auftakt ist bereits gelungen, der Funke übergesprungen. Publikum und Musiker waren begeistert voneinander. Alfred Harth lobte nach dem Konzert die Moskauer und sprach von einem Kennerpublikum, das die Musiker motiviere.

Weitere Größen der Improvisation kommen

Wer in den nächsten Wochen den Weg ins Kulturzentrum „DOM“ findet, erlebt ein Festival, dass an den Schnittstellen von Jazz mit Neuer Musik und Elektronik agiert. Insgesamt vier international renommierte Formationen sind in diesem Jahr Gäste des „Jazz im Herbst“. So folgt auf „Revolver 23“ am 12. Oktober das Duo Thomas Lehn und Marcus Schmickler, eine der wichtigsten Bands der elektroakustischen Improvisationsszene. Lehn und Schmickler setzen sich in ihrer Musik mit Gegensätzenauseinander: was ist analog und was digital, was macht Stabilität und wo beginnt Zerstörung.   

Eine Woche später, am 19. Oktober, wird „Perlonex“, eine der angesagtesten Gruppen der experimentellen Improvisationsmusik, in Moskau zu hören sein. Die Musiker sind Teil der Berliner Echtzeitmusikszene und stehen in der Tradition freier Improvisation. Die Musiker desorientieren ihre Zuhörer, lassen elektronische Instrumente wie akustische klingen und umgekehrt.

Am 3. November beendet mit dem New Yorker Trompeten-Pioner Peter Evans ein Vertreter der Neuen Musik das Festival „Jazz im Herbst“. Als „Peter Evans’ Köln Quartet“ wird er gemeinsam mit drei jungen Streichmusikern innerhalb der europäischen Kompositionsmusik des 20. Jahrhunderts der Improvisation freien Lauf lassen.

Daniel Säwert

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