Hilferuf ausländischer Studenten: Lasst uns nach Russland zurück!

Zehntausende ausländische Studenten russischer Universitäten können seit Monaten nicht nach Russland einreisen. Ihre so ziemlich letzte Hoffnung sind die Medien.

Volle Hörsäle gehören erst einmal der Vergangenheit an. (Foto: Higher School of Economics)

St. Petersburg? „Oh“, sagt Manuela Schmid und holt zu einer Liebeserklärung aus. Sie sei noch nie in einer schöneren Stadt gewesen. Und dann die herzlichen Menschen. „Ich fühle mich sehr wohl dort.“ Die 22-jährige Deutsche hat nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr in der alten Zarenhauptstadt absolviert und 2018 an der St. Petersburger Staatsuni ein Psychologie-Studium aufgenommen. Doch nun war sie schon über ein halbes Jahr nicht mehr dort, wo eigentlich ihr Lebensmittelpunkt ist.

Der jungen Frau aus Willich in Nordrhein-Westfalen geht es wie vielen Ausländern mit Studienplatz an russischen Hochschulen. Als Russland im Frühjahr seine Grenzen schloss, um der Pandemie Herr zu werden, flog sie in die Heimat – und kommt nun nicht mehr zurück. Anders als Deutschland, das russischen Studenten in der Regel die Einreise erlaubt, zählt Bildung für die russischen Behörden nicht zu den Ausnahmen, für die sich die Grenze öffnet.

Bis zu einem Drittel betroffen

Das hat gravierende Folgen. Russlands Bildungsminister Walerij Falkow sprach Mitte September davon, mehr als 100.000 auslän­dische Studenten seien bisher noch außer Landes. Das wäre in etwa jeder dritte der an russischen Universitäten eingeschriebenen Ausländer. Deren Zahl wurde im vergangenen Studienjahr offi­ziell mit 297.900 angegeben. Der Großteil davon kam aus Kasachstan, China, Usbekistan, der Ukraine und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Seit September hat sich die Lage nicht kardinal verändert, dafür verzweifeln die Betroffenen immer mehr. Die verbreitete Hoffnung war, zumindest zum Wintersemester wieder an ihre Studienorte gelangen zu können. Als das nicht passierte, wurden russische Botschaften und Ministerien mit Fragen, Beschwerden und offenen Briefen überflutet. Wenn es darauf überhaupt Antworten gab, dann wurde meist nur auf den sattsam bekannten Status quo verwiesen.

Ohne Umfeld, Sprache und Wintersachen

Und so wohnt Manuela Schmid statt in ihrer Kommunalka im Zentrum von St. Petersburg noch immer in ihrem ehemaligen Kinderzimmer bei ihren Eltern. Sie kämpft mit den Unzulänglichkeiten des Online-Unterrichts und mit der Zeitverschiebung, die sie mitunter schon um 6 Uhr morgens vor den PC zwingt, leidet aber vor allem darunter, ihres gesamten sozialen Umfelds entrissen zu sein. „Ich habe sozusagen mein Leben in St. Petersburg gelassen“, sagt sie. Auch die Entwöhnung von der russischen Sprache macht sich langsam bemerkbar. In Willich weit im deutschen Westen hat Schmid natürlich keinerlei Praxis und fühlt sich zunehmend weniger sicher im Russischen, dessen Beherrschung schon deshalb wichtig ist, weil es die Unterrichtssprache darstellt.

Manuela Schmid in ihrem geliebten St. Petersburg (Foto: Privat)

Damals im April Russland verlassen zu haben, aus Sorge um sich und ihre Familie, bereut sie heute. „Das war die falsche Entscheidung. Aber man konnte eben auch schlecht absehen, welche Ausmaße das alles noch annimmt.“ Sie zahlt weiter Miete für das Zimmer in St. Petersburg, auch der Großteil ihrer Sachen ist dort geblieben, darunter sämtliche Winterbekleidung. Die könnte Schmid jetzt gut gebrauchen.

Es ist ein schwacher Trost, dass andere noch größere Probleme haben. In manchen Ländern ist etwa ein Internetanschluss alles andere als selbstverständlich oder aber die Nutzung teuer. Umgekehrt hat auch nicht jede Uni bisher überhaupt Fernunterricht angeboten. Oder Stichwort Kasachstan: Studenten von dort dürfen zwar nach Russland einreisen, weil beide Länder ihren Reiseverkehr wieder aufgenommen haben, allerdings ausschließlich auf dem Luftweg. Da reguläre Flüge aber nur einmal pro Woche erfolgen, kosten sie ein kleines Vermögen und sind mittlerweile bis zum Jahresende ganz ausgebucht.

Verhundertfachung der Reisekosten

Kasachische Medien rechneten vor, was die Situation für Studenten aus den Regionen bedeutet, die an Russland grenzen. So ist beispielsweise die Stadt Petropawlowsk nur 300 Kilometer vom russischen Omsk entfernt, wo demensprechend auch viele Kasachen studieren. Die Busfahrt dauert vier, fünf Stunden und kostet umgerechnet vier Euro. Doch weil die Landgrenze geschlossen ist, führt der Weg nach Omsk über die 500 Kilometer entfernte kasachische Hauptstadt Nur-Sultan, von dort mit dem Flugzeug nach Moskau (2300 Kilometer) und weiter per Flugzeug oder Zug bis zum Zielort in Sibirien (2200 Kilometer). Statt der vier Euro wird dafür ungefähr das Hundertfache fällig – für Studenten kein Pappenstiel.   

Manuela Schmid kennt solche Geschichten, weil sie in Chats mit Leidensgenossen aus aller Welt in Verbindung steht, etwa in einer Telegram-Gruppe mit über 2000 Mitgliedern. „Dort besprechen wir die weitere Strategie. Und die heißt jetzt, sich an die Medien zu wenden.“ Viel bleibt den Studenten sonst auch nicht übrig.

Dass Russlands große Unis in Moskau und St. Petersburg Mitte November bis zunächst 6. Februar komplett auf Fernunterricht umgestellt haben, darf nicht dazu führen, dass das Thema der Einreise ausländischer Studenten nun erst recht unter den Tisch falle, so Schmid. „Selbst wenn der Unterricht nur online stattfindet, bleibt es wichtig, am Studienort zu sein.“ 

Tino Künzel  

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