Heilung auf Sonderwegen: Wo der Arztbesuch ein Ereignis ist

Wer krank ist, geht zum Arzt. Diagnose, Rezept, Apotheke. Doch so einfach ist das nicht überall. Der Fotojournalist Emile Ducke begleitete für sein Projekt „Diagnosis“ einen Medizinzug quer durch Sibirien. Der Auftrag: Menschen behandeln, die in abgelegenen Orten weder Ärzte noch Krankenhäuser aufsuchen können.

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Abgelegene Dörfer erreicht das Gesundheitswesen mit dem Zug. /Foto: Emile Ducke

„Da gab es einen Mann, sein Name war Wladimir Kusmin. Er lief seit zwei oder drei Monaten mit einer Brustquetschung herum. Bis der Zug kam“, erzählt der 24-jährige Emile in einem kleinen Café. Keine zwei Jahre ist es her, da schlief er im Röntgenwagen des Medizinzuges auf dem Weg nach Krasnojarsk und Chakassien. „Zwischen den Geräten hatte ich zuerst Angst, die Strahlung könnte meine Filme zerstören. Aber die Ärzte konnten mich schnell beruhigen.‘‘

„Heiliger Lukas“ ist der Name des Zuges. Er stammt von seinem Schutzpatron St. Lukas, einem Arzt und Priester, der während des Zweiten Weltkrieges in Krasnojarsk tätig war. Deswegen gibt es im hinteren Teil auch eine Miniatur-Kathedrale, die die Menschen zwischen den Behandlungen besuchen können. Sogar Taufen ließen sich darin vornehmen. Die einzelnen Waggons sind zwar nicht größer als gewöhnliche Zugabteile, dafür sind sie mit erstaunlich moderner Technik ausgestattet. Darunter ein Blutlabor, Ultraschall-Monitore (Sonografie), sowie EKG- und EEG-Geräte. Insgesamt fünf dieser rollenden Krankenhäuser sind in den ländlichen Bereichen Sibiriens unterwegs, ein bis zwei Mal im Jahr machen sie in den jeweiligen Orten Halt. Mit ihnen versucht die russische Regierung, die medizinische Grundversorgung dort zu sichern, wo es am Nötigsten fehlt. Die Behandlung für die Patienten ist kostenlos.

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In der sibirischen Kälte warten Patienten auf einen Arztbesuch. /Foto: Emile Ducke

Am Tag erhalten bis zu 50 Personen Hilfe

Als Emile im November 2016 fotografierte, betrug die Temperatur in den sibirischen Weiten bis zu minus 38 Grad. Aber die Leute kamen trotzdem. Zu Fuß, mit dem Auto und sogar aus den umliegenden Dörfern. Geschützt von Pelzmänteln und Mützen stellten sie sich bei tiefem Schnee und eisigem Wind in die Schlange vor den Zug, um sich einen Termin geben zu lassen. Wer in dieser Gegend Hilfe braucht, muss oft eine Nacht- oder Tagfahrt auf sich nehmen, um in das nächstgelegene Krankenhaus zu fahren. Eine weite Strecke für eine kranke Person. Umfassende Behandlungen seien bei 50 Patienten an einem Tag nicht machbar, die Zeit sei zu kurz, die Möglichkeiten begrenzt. Dafür können mehrere Spezialisten an einem Tag Diagnosen stellen und Überweisungen tätigen. Die Leute hätten somit die Sicherheit, ob eine Weiterbehandlung notwendig ist oder ob ein einfaches Medikament ausreicht, welches im Zug vorrätig ist. Das erspare ihnen viel Zeit und Geld.

„Wladimir Kusmin bekam schließlich ein Röntgenbild und wusste, dass er behandelt werden muss. Aber was auffällt, ist dass die Leute in diesen Orten eher dazu neigen, Kleinigkeiten unbehandelt zu lassen.‘‘ erklärt Emile. Am meisten beeindruckt während der Reise hat ihn der Teamgeist der Ärzte und Assistenten: „Diese Leute arbeiten sonst in normalen Krankenhäusern. Aber zehn Mal im Jahr leben sie für zwei Wochen auf engstem Raum zusammen. Sie behandeln nicht nur dort, sondern teilen sich auch ein Abteil mit ihren Kollegen und hören jedes Geräusch auf den Fluren. Und trotzdem machen sie diese Arbeit und treffen sich dann abends noch zum Volleyball. Ich finde, das ist eine Wahnsinnsleistung.‘‘

Emely Schalles

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