Gefahr von oben: Das Problem der ewigen Eiszapfen

Aufsehen erregende Bilder von Eiszapfen der Superlative kursieren im Netz. Es gibt Verletzte und beschädigte Autos. Wie sich herausstellt, besteht das Problem seit Jahren. Die Stadtverwaltung will das ewige Eis nun per App brechen – ein lokales Unternehmen gar per Mikrowellenstrahlen.

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Eiszapfen in einem der so für St. Petersburg typischen Innenhöfen / Foto: Sergej Bogomjako

Was schön aussieht, kann auch gefährlich sein: Manch ein Eiszapfen in der Hauptstadt des Nordens erreicht schon mal gigantische Ausmaße. Rekordverdächtige zwei Stockwerke Länge misst ein Stück an einem Haus in der Rusowskaja-Straße. Schnappschüsse von übergroßen, bedrohlich wirkenden Eisstacheln häufen sich derzeit zu Hunderten in den sozialen Medien.

Die Petersburger nehmen es mit einer Mischung aus Respekt und Humor: Posts werden mit Hashtags wie „Eiszapfen-Killer“, „Eisiges Piter“, „Stört doch keinen“ oder „Echter Winter“ versehen. Und wer dieser Tage die malerischen Gassen der Stadt entlang schlendert, der sollte in der Tat Vorsicht walten lassen. Denn womöglich wird er sonst selbst getroffen von einem der Monster-Eiszapfen. Schließlich fallen sie derzeit wie Fallobst im Spätherbst von den Dächern der Häuser im Jugendstil und Klassizismus. 

Pech hatten eine Frau und zwei Kinder Mitte November auf der Wassiljewski-Insel. Sie kamen glücklicherweise mit nur leichten Verletzungen davon. Es gab weitere Verletzte, genaue Zahlen sind unklar. Neben Fußgängern sind auch Autofahrer bedroht: So verursachte „Falleis“ leichte Staus und Karosserieschäden. Dies ist keine Eintagsfliege, St. Petersburg leidet seit Jahren unter der Gefahr: 2012 wurde eine 44-jährige Frau erschlagen, ein Jahr zuvor ein sechsjähriger Junge. „Es wird jedes Jahr geredet und geredet. Leider hat sich bisher wenig getan – man schaut beim Laufen besser ab und zu nach oben“, so die 23-jährige Studentin Jekaterina Katkowa.

Gegenmaßnahmen: Beschwerde-App und Geldstrafen

In der Stadt gibt es bereits vereinzelt Abzäunungen und Warnschilder. Das eigens eingerichtete Komitee für technische Inspektion warnte bereits kurz nach dem ersten Schneefall am 8. November vor Lebensgefahr. Bei den täglichen Kontrollen bis Ende November wurden über 443 Ordnnungsverstöße gezählt. Für die Entfernung der bedrohlichen Zapfen ist laut Regionalgesetz jeder Hauseigentümer selbst zuständig. Bei Verstoß droht eine empfindliche Geldstrafe: 250  000 bis 500  000 Rubel (umgerechnet rund 3700 bis 7400 Euro) bei kompletter Missachtung, 30 000 Rubel (rund 440 Euro) bei nachlässiger Säuberung.

Der Vizegouverneur St. Peterburgs, Nikolaj Bondarenko, schlägt  vor, die bedrohlichen Dächer nicht nur von Eis, sondern auch vom Schnee zu befreien. Er kritisierte zudem eine mit der Beseitigung der Eiszapfen im Stadtzentrum beauftragte Firma. Alexej Ziviljow, Abgeordneter des Stadtparlaments, schlägt gegenüber „Radio Baltika“ nun eine sogenannte Eiszapfen-Beschwerde-App vor. Mittels dieser sollen Passanten bedrohliche Eisbildungen in Gehwegnähe künfitg per mobiler Kamera melden. Die Hausbesitzer werden anschließend zur Kasse gebeten. „Verantwortungslose sollen jeglichen Verstoß finanziell spüren“, so Ziviljow. Beschwerden sind bereits über das Onlineportal „Nasch Sankt Peterburg“ möglich.

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Eiszapfen-Horror im Stadzentrum: Vereiste Regenrinnen sorgen dafür, dass der geschmolzene Schnee zur Gefahr für Fußgänger wie Autofahrer wird / Foto: Sergej Bogomjako

Hauptstadt des Eiszapfen: Über 6500  Gebäude als Ursache

Experten zufolge liege das chronische Problem der Stadt an der fehlenden Modernisierung historischer Gebäude im Stadtzentrum. „Sie sind nicht vor Eisbildung geschützt“, erklärt Bauingenieur Wjatscheslaw Tokarew von der Firma „Sewernaja Piramida“. Laut ihm werde die starke Eisbildung zusätzlich durch die Flachdächer nach skandinavischem Vorbild verstärkt. Dies sei in Moskau anders. Hier soll der Großteil der Gebäude im Stadtzentrum neu und mit „No-Frost-Systemen“ ausgerüstet sein. Dabei verhindern in Regenrinnen und teilweise auf dem Dach installierte Heizkabel die Eisbildung. Laut Angaben der Stadtverwaltung werden über 6500 Gebäude als potentiell gefährlich eingestuft.

Die Firma „LOZATT Aerocomputer“ will das Eis nun per Mikrowellenstrahlung brechen. Eine Installation im Regenrinnen-Trichter soll dafür sorgen, dass der Ablauf nicht zueist. Laut Stadtverwaltung wurde das System bereits erfolgreich getestet. Das Gebäude des Bauamts am Mojka-Kanal sowie das Gostinyj Dwor blieben eisfrei.

Christopher Braemer

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