Anfang des Jahres machte die Meldung die Runde: Yandex startet im Februar einen Service mit fahrerlosen Taxis in Moskau. Rund um einige Metrostationen im Süden sollte ein öffentlicher Testbetrieb starten, jedoch nur für Fahrgäste, die sich zuvor als Testpersonen registriert hatten. Bei den Fahrten sollte auch stets ein Techniker mit an Bord sein – aus rechtlichen Gründen, technisch seien die Autos in der Lage, autonom zu fahren.
Austonome Yandex-Taxis: Start verschoben
Kurz darauf dementierte Yandex jedoch die Meldungen, mangels Genehmigung könne der Startzeitpunkt noch nicht genannt werden. Dass die für das autonome Fahren modifizierten Autos der Modelle Toyota Prius und Hyundai Sonata alltagstauglich sind, beweisen sie bereits seit einigen Jahren im Testbetrieb. In der IT-Stadt Innopolis bei Kasan sowie auf dem Gelände des Innovationszentrums Skolkowo bei Moskau sind sie schon als Taxis im Einsatz, wenn auch ebenso mit Techniker an Bord.
Schon 2018 gab es eine Testfahrt von Moskau ins rund 780 Kilometer entfernte Kasan, bei der laut Angaben von Yandex zu 99 Prozent der Zeit im autonomen Modus gefahren wurde. Rund um die Konzernzentrale im Moskauer Stadtteil Chamowniki sind die Fahrzeuge ständig zu sehen, zudem führt Yandex in den USA und in Israel Tests auf öffentlichen Straßen durch.
Eigener Geschäftsbereich
Im September 2020 hat der Internetkonzern den Geschäftsbereich in die Yandex Self-Driving Group ausgegliedert. Die Autos arbeiten nach dem fahrzeugbasierten Ansatz des autonomen Fahrens. Das heißt, die Technik ist komplett im Auto verbaut. Sie können sich unabhängig von spezieller Straßeninfrastruktur bewegen und brauchen keine ständige Internetverbindung. Mittels Kameras, Radar und Sensoren erfassen sie ihre Umgebung, Verkehrszeichen und andere Fahrzeuge und berechnen sich so ihren Weg.
Ein Herzstück sind dabei die Lidar-Sensoren, die den Raum um das Fahrzeug erfassen und ein 3D-Punktemodell erstellen. Yandex hat eigene solcher Sensoren entwickelt und kann dadurch nach eigenen Angaben 75 Prozent der Kosten für diese hochwertigen Bauteile einsparen.
Autonom durchs Krankenhausgelände
Doch die Autos des Internetkonzerns sind nicht die einzigen, die schon in Betrieb sind. Die Moskauer Verkehrsbehörde hat zusammen mit der Moskauer Universität für Straßenbau MADI und dem Russischen Institut für Straßenverkehrswesen ROSDORNII ebenfalls ein System für autonome Fahrzeuge entwickelt. Seit September 2020 findet hierzu ein Alltagstestbetrieb auf dem Gelände des Krankenhauses Nr. 1 in Moskau statt.
Ein gewöhnliches Auto, zunächst war es ein Ford, doch seit April 2021 kommt ein Lada Vesta zum Einsatz, transportiert auf dem weitläufigen Krankenhausgelände Container mit Gewebeproben zwischen den einzelnen Stationen. Das Fahrzeug ist acht Stunden am Tag nach einem festen Fahrplan unterwegs und transportiert dabei bis zu 4000 Container.
Gesetzliche Regelungen sind in Arbeit
Die Daten zu seiner Route hat es aus einem sogenannten Digital Twin. Das ist ein digitales 3D-Modell der Umgebung mit einer Genauigkeit von zwei Millimetern. Die Moskauer Verkehrsbehörde hat einen solchen Digital Twin des gesamten Stadtgebiets erstellt, inklusive aller Verkehrszeichen und Ampeln. Die Daten unterstützen die vom Fahrzeug über Sensoren und Kameras erfassten Live-Informationen.
Bis allerdings autonome Fahrzeuge wirklich auf Russlands Straßen unterwegs sein werden, müssen vor allem noch gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Sultan Schankasijew, Direktor der Akademie für intelligente Verkehrssysteme an der Russischen Universität für Verkehrswesen (MIIT) sagt gegenüber der MDZ, dass momentan die dritte Version eines Gesetzesentwurfs zu autonomen Fahrzeugen in Arbeit sei. Russland stehe dabei in engem Austausch mit internationalen Expertengremien.
Yandex-Rover: Lieferroboter im Praxistest
Ebenfalls schon im realen Einsatz sind dagegen andere Fahrzeuge aus dem Hause Yandex, die sogenannten Rover. Dabei handelt es sich um kleine, sechsrädrige Lieferroboter. Vom Design ähneln sie Konkurrenzprodukten aus anderen Ländern, etwa der estnischen Firma Starship Technologies. Seit Ende 2020 sind sie rund um die Moskauer Metrostation Frunsenskaja für den Essenslieferdienst Yandex Eda im Einsatz. Kunden können sich über die App Hamburger oder Pizza vor die Haustür liefern lassen.
Die Roboter basieren auf denselben Technologien, die Yandex auch in den Autos einsetzt. Welche Genehmigungen der Konzern für den Betrieb erhielt, ist nicht ganz klar, das Unternehmen schweigt dazu. Laut Sultan Schankasijew muss es eine Ausnahmegenehmigung geben, es handele sich auch nicht um ein kommerzielles Projekt. Tatsächlich ist die Lieferung mit den Robotern – im Gegensatz zu Kurieren – kostenlos.
Erste Yandex-Rover in den USA im Einsatz
Mittlerweile setzt Yandex die Roboter auch in Zusammenarbeit mit der Russischen Post in der Paketzustellung ein. Es geht vor allem darum, zu zeigen, was technisch machbar ist. Sultan Schankasijew schränkt jedoch ein, man könne die Rover nicht als vollständig autonome Fahrzeuge ansehen. „Sie fahren auf der Grundlage zuvor erstellter digitaler Routenpläne in Kombination mit Sensorik und einem Ausweichsystem für Gefahrensituationen“, so der Experte.
Ein besonderer Coup gelang im Sommer 2021. Im Auftrag des US-amerikanischen Lieferdienstes Grubhub betreibt Yandex seither eine Flotte von 50 der Rover auf dem Campus der Ohio State University. Über die Vertragsbedingungen schweigen die Parteien. Vermutlich hat auch dieser Auftrag eher symbolischen Wert. Von wirtschaftlichem Betrieb sind die Lieferroboter weltweit noch mindestens einige Jahre entfernt, wie etwa eine Studie des US-Marktforschungsunternehmens IDTechEx im Jahr 2020 prognostizierte.
Die fahrerlose S-Bahn soll 2024 kommen
Die Russischen Eisenbahnen arbeiten seit mehreren Jahren an fahrerlosen Zügen. Ende 2021 hat zum ersten Mal einer der autonom gesteuerten Elektrotriebzüge vom Typ Lastotschka eine Runde auf dem Moskauer S-Bahn-Ring gedreht. Ohne Fahrgäste versteht sich. Denn wie auf der Straße sind auch hier die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch lange nicht angepasst. Die Bahn kündigte dennoch selbstbewusst an, den Regelbetrieb auf der Strecke 2024 aufzunehmen.
Vermutlich wird dennoch ein Mensch an Bord sein, denn hier geht es eher um einen optimierten Fahrplan als um die Einsparung von Personalkosten, wie Leonid Baranow, Leiter der Abteilung Informationsmanagement und Datensicherheit der MIIT gegenüber der MDZ sagt.
Mittlerweile die Moskauer Nahverkehrsgesellschaft Mosgortrans angekündigt, in Kooperation mit Yandex auch eine fahrerlose Straßenbahn erproben zu wollen. Da verwundert eigentlich, dass es noch eine solchen Pläne für die Metro gibt. Denn das ist weltweit das Feld, auf dem bislang am meisten autonome Schienenfahrzeuge bereits im realen Betrieb stehen.
Jiří Hönes