„Catherine the Great“: Tausend Küsse, wenig Politik

In seiner neuen Miniserie greift der US-amerikanische Streaming-Anbieter HBO erneut auf russischen Geschichtsstoff zurück. An den großen Erfolg von „Chernobyl“ kann das Drama aber nicht anknüpfen.

Die Macht im Blick: Helen Mirren als Katharina die Große
© Hal Shinnie/HBO

Das Intro von „Catherine the Great“ lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um eine Serie der Marke HBO handelt. Dafür sorgt weit mehr als allein die Einblendung des ikonischen Logos des US-amerikanischen Kultsenders, der als ein Garant für hochwertige Fernsehunterhaltung steht: Chorale Gesänge hinterlegen den Vorspann, der mit feierlichem Pathos und feuerroten Farbtönen den russischen Absolutismus inszenieren. Die Voraussetzungen dafür, dass aus „Catherine the Great“ ein Hit wird, könnten eigentlich nicht besser sein: Die Regie führte Philip Martin, der mit seiner beliebten Netflix-Serie „The Crown“ über Elisabeth II. für Aufsehen sorgte und dem mit Helen Mirren als Katharina die Große eine begnadete Schauspielerin zur Seite steht.

Und doch bleibt das neue Projekt weit hinter den Erwartungen zurück – zumindest, wenn man einen Blick ins Netz wirft. Die Nutzer der Filmdatenbank IMDb, an der sich nach wie vor der Erfolg eines filmischen Kunstwerks ablesen lässt, bewerteten „Catherine the Great“ mit kaum mehr als sechs von zehn Sternen. Damit liegt die Serie natürlich weit unter den 9,5 Sternen, die „Chernobyl“ vor knapp einem halben Jahr erzielte.

Helen Mirren überzeugt

Woran das liegen mag, ist auf den ersten Blick nicht ganz klar: Was historische Exaktheit angeht, nimmt sich die Serie nicht mehr Freiheiten als andere Produktionen. Die Presse preist das neue HBO-Drama zwar nicht überschwänglich an, regelrechte Verrisse sind aber ebenso die Ausnahme. Einig ist man sich vor allem über die einmal mehr beeindruckend starke schauspielerische Leistung Helen Mirrens. Der Britin gelingt es, ein facettenreiches Bild der Zarin zu entwerfen. Katharina ist auf der einen Seite leidenschaftliche Liebhaberin und fortschrittliche Reformerin mit liberalen Absichten. Zugleich porträtiert Mirren aber auch eine gnadenlose Herrscherin, die alles für den Erhalt und Ausbau der eigenen Kontrolle tut. Von essenzieller Bedeutung für ihre machtpolitischen Vorhaben und auch für die Handlung der Serie selbst ist der russische Fürst Grigorij Potjomkin.

Für den Ruhm seiner Kaiserin stürzt dieser sich in diverse Gefechte und nimmt langwierige diplomatische Reisen auf sich. Katharina belohnt ihn hierfür mit Macht und einer wahnsinnig intensiven Liebesbeziehung, die den Dreh- und Angelpunkt der Serie bildet. Das scheint nicht nur denjenigen vor den Kopf zu stoßen, die der Herrscherin einst zur Macht verhalfen, sondern ist zugleich auch einer der größten Kritikpunkte der Serie.

Den falschen Fokus gesetzt

Katharina unterhält etliche Liebschaften, die in ihrer Darstellung stark an „Game of Thrones“ erinnern. Das heißt: viel nackte Haut und laszives Getöse. Was beim Fantasy-Epos noch gut funktioniert hat, lässt „Catherine the Great“ bisweilen leider zur Schnulze verkommen. Die erotischen Szenen machen einen beträchtlichen Anteil des Vierteilers aus und lassen andere, potenziell spannende Aspekte der kaiserlichen Herrschaft zu Nebenschauplätzen verkommen.

Es entsteht der Eindruck, Katharinas Macht würde sich hauptsächlich über sexuelle Beziehungen zu Männern definieren. Dass die Herrscherin zuletzt am Verlust ihrer großen Liebe zugrunde geht, ist in diesem Sinne nur folgerichtig, wird der legendären Regentin aber nicht gerecht.

Patrick Volknant

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