Buhrufe für Preisträger

Menschenrechtler aus Belarus, Russland und der Ukraine haben den Friedensnobelpreis 2022 erhalten. Sofort meldeten sich diejenigen zu Wort, die mit dieser Wahl unzufrieden sind. Zur in den letzten Jahren gewohnten Skepsis über diese Auszeichnung kommen diesmal politische Motive dazu.

Das Moskauer Büro der russischen Menschenrechtsorganisation wurde in „öffentliches Eigentum“ umgewandelt. (Foto: Kirill Kallinikow/RIA Novosti)

Es scheint manchmal so, als ob der Friedensnobelpreis am häufigsten Kontroversen auslöst und Konflikte verursacht. Die Auszeichnungen in den Bereichen Medizin, Chemie oder Literatur werden nie so heftig diskutiert, wie die für Frieden. Fast jedes Mal, wenn das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung bekannt gibt, greifen Kritiker von verschiedenen Seiten die Preisträger stark an.

Fürs Klima und nichts

2007 gewann der Vizepräsident der Vereinigten Staaten Al Gore den Friedensnobelpreis. So hoch schätze das Nobelpreiskommitee seine Bemühungen um die Verbreitung von Wissen über den Klimawandel. Obwohl es ein wirklich aktuelles Thema für die Menschheit ist, verstanden und akzeptierten diese Wahl bei Weitem nicht alle. Den Preis verdiene eine andere Kandidatin, Irena Sendler, die ca. 2500 jüdische Kinder aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt hatte und dadurch ihre Leben rettete, meinten Kritiker der Entscheidung des Nobelpreiskomitees. Ebenso umstritten fanden manche Beobachter den Preis für Barack Obama 2009. Seine „außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“ wurden von seinen Kritikern in der ganzen Welt nicht bemerkt.

Anna Trushova und Alina Danilova im CCL-Büro nach der Ankündigung über den Friedensnobelpreis (Foto: Konstantyn Ogirenko/Reuters)

Nicht oppositionell genug

Anders war es bei Dmitri Muratow, der den Friedensnobelpreis letztes Jahr kriegte. Der bekannte Journalist und Chefredakteur der in Russland kürzlich geschlossenen „Nowaja Gaseta“ ist in der ganzen Welt geschätzt. Umso merkwürdiger war die Reaktion auf diese Auszeichnung in Russland. Die Staatsdiener konstatierten nur, Muratow bliebe seinen Idealen treu, kremlnahe Medien äußerten sich zur Wahl des Nobelpreiskomitees negativ und manche Oppositionelle waren total unzufrieden damit, dass der Preis an Muratow ging. Es gäbe Personen, die viel kritischer zum Kreml stünden und bessere Kandidaten für den Preis wären.

Schlechte Gesellschaft

Ein Jahr später wurde wieder ein Kandidat aus Russland mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Zusammen mit dem belarusischen Menschenrechtler Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Center for Civil Liberties bekam auch das russische Memorial den Preis. Die scharfe Kritik ließ nicht lange auf sich warten. So glaubt der Vorsitzende des russischen Menschenrechtsrats, der Preis habe sich durch diese Wahl endgültig diskreditiert. Walerij Fadejew glaubt, Memorial befand sich „in schlechter Gesellschaft“ und schlug der Organisation vor, die Auszeichnung abzulehnen. Über „schlechte Gesellschaft“ wurde auch von der ukrainischen Seite gesprochen. Der Berater des ukrainischen Präsidenten Mychajlo Podoljak meinte, das Nobelpreiskomitee habe „eine interessante Auffassung des Wortes ‚Frieden‘, wenn den Friedensnobelpreis Vertreter zweier Länder zusammen erhalten, die ein drittes überfallen haben.“

Der Gründer von „Wjasna“ Ales Bjaljazki (VK Wjasna)

Kein Schutz für Preisträger

Die „Vertreter zweier Länder“ werden nicht nur mit Kritik aus dem Nachbarland konfrontiert. Der Gründer der Menschenrechtsorganisation „Wjasna“ Ales Bjaljazki befindet sich schon 460 Tage in Minsk hinter Gittern, und die Vertreter der russischen, inzwischen liquidierten, Organisation standen am Tag der Preisvergabe vor Gericht, das die Räumlichkeiten des Menschenrechtszentrums in Moskau enteignete. Dass der Nobelpreis keinen Schutz für dessen Preisträger bedeutet, ist schon seit langem bekannt.

*Die Organisationen International Memorial und das Menschenrechtszentrum Memorial wurden vom russischen Gesetzgeber als ausländische Agenten eingestuft und liquidiert

Igor Beresin

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