Blick nach Osten: Shoppingcenter suchen neue Mieter

Moskaus Shoppingcenter haben ein Problem. Seit Beginn der „Sonderoperation“ haben fast alle westlichen Händler ihre Läden geschlossen. Auf der Suche nach Ersatz hoffen die Betreiber auf Firmen aus „freundlichen“ Ländern und einheimische Designer.

Shoppingcenter
Die Läden westlicher Ketten bleiben in Moskau vorerst zu. (Foto: Mobilnyj reportjor/ AGN Moskwa)

Eigentlich sollte 2022 ein Rekordjahr werden. Statt der üblichen elf, waren für dieses Jahr ganze 30  Neueröffnungen von Shoppingcentern in Moskau geplant. Die Corona-Krise und ausbleibende Kunden – all das schien überwunden. Seit Beginn der russischen „Sonderoperation“ in der Ukraine stehen die Betreiber von Moskaus Shoppingcentern vor einem neuen Problem. Über 160 westliche Unternehmen haben sich seit dem 24. Februar aus Russland zurückgezogen, jedes fünfte davon kommt aus dem Modesektor.

Die Bilder der halbverwaisten Luxuskaufhäuser GUM und ZUM gingen um die Welt. Aber auch in anderen Einkaufszentren bleiben viele Rollläden unten. H&M, Adidas oder IKEA – sie alle sind für die Moskauer Kundschaft nicht mehr da. Wie viele Läden genau in Moskaus Shoppingcentern geschlossen haben, kann niemand genau sagen, die Angaben schwanken zwischen 15 und 60 Prozent. Klar ist hingegen, dass den Betreibern wichtige Einnahmen entgehen. „Nach verschiedenen Berechnungen haben die Läden, die ihre Arbeit eingestellt haben, 50 bis 60 Prozent der Besucher angezogen“, erklärte die Vizepräsidentin von „Becar Asset Management“, Olga Scharygina der Wirtschaftszeitung „Forbes“. Scharygina glaubt, dass die Besucherzahlen in diesem Jahr um 15 bis 20 Prozent zurückgehen könnten. Dabei kamen schon jetzt fast ein Fünftel weniger Kunden als vor der Pandemie.

Schwere finanzielle Verluste

Für die Betreiber sind die geschlossenen Läden ausländischer Marken ein großer finanzieller Verlust. Bis zu 20, 30 oder gar 50 Prozent Umsatzeinbußen kommen nach verschiedenen Berechnungen auf sie zu. Dazu kommen noch die Zinsen. 70 Prozent der Shoppingcenter laufen auf Kredit. Ein Großteil gehört also bereits faktisch den Banken. Die aber wollen und können das Geschäft nicht übernehmen.

Alexej Panfilow, Präsident des Shoppingcenter-Betreibers „Garant-Invest“ versucht zu beschwichtigen und spricht gegenüber „Forbes“ von einer „Pause“, die die internationalen Händler einlegen: „Ich weiß nichts von Entlassungen, gekündigten Mietverträgen oder ausbleibenden Zahlungen. Zudem haben einige ihre Mitarbeiter nicht einmal in den Urlaub geschickt. Sehr gut möglich, dass sie relativ bald wieder öffnen.“ Einige Betreiber versuchen bereits, gegen die Schließungen vorzugehen. So verklagte das „Dream Island“ den Modehändler H&M auf Vertragsbruch. Denn der Kontrakt sehe vor, dass das schwedische Unternehmen während der Vertragslaufzeit durchgehend öffnen muss, ist der Betreiber überzeugt. Andererseits müssen die Händler sich auf die neue Realität einstellen. Dabei geht es nicht nur um Geopolitik, sondern vor allem um die Frage der Logistik und des Währungsumtauschs.

Ersatz aus „freundlichen“ Ländern

So lange will der Russische Rat der Shoppingcenter nicht warten. Im März bat die Lobbyvereinigung die Regierung um Hilfe. Konkret geht es um die Senkung von Nebenkosten und Steuererleichterungen sowie das Aussetzen von Krediten. All das könne die Arbeit der Shoppingcenter und der Mieter stabilisieren, erklärte der Präsident Dmitrij Moskalenko. Aus dem Ministerium für Industrie und Handel kamen erste positive Signale. Gleichzeitig schrieb das Haus von Denis Manturow, „Vermieter sollen pragmatischere Position bezüglich der Bedingungen weiterer Zusammenarbeit mit ausländischen Mietern, die ihre Arbeit eingestellt haben, einnehmen.“

Für die Einkaufszentren heißt das: Neue Mieter müssen her. Nach eigenen Angaben hat der Russische Rat der Shoppingcenter Anfragen in „freundliche Länder“ wie die Türkei, nach Indien und Iran sowie China mit einer Liste von Unternehmen, die man ersetzen wolle, geschickt. Nun schaue man, ob es in den Ländern Unternehmen gibt, die „in Design und Qualität“ den westlichen gleichwertig sind. Allein in der Türkei gebe es 200 solcher Marken, schreibt der Rat in einer Pressemitteilung. Aus dem Iran kamen mittlerweise positive Signale. Man sei bereit für den russischen Markt, hieß es dort.

Anna Lebsak-Klejmans ist skeptisch, ob sich wirklich so schnell neue ausländische Mieter finden lassen. Denn das größte Hindernis ist momentan die Logistik. Außerdem stellen Unternehmen in der Regel einen Geschäftsplan für mindestens drei Jahre auf. „Russland ist aber aktuell eine Blackbox. Es ist unklar, was in einer Woche oder einem Monat sein wird“, so die Generaldirektorin der „Fash­ion Counsulting Group“ gegenüber dem „Kommersant“.

Mehrere Shoppingcenter setzen deswegen lieber auf russische Designer. „Vegas Crocus City“ bietet lokalen Modemarken Sonderkonditionen und unterstützt sie bei der Ladeneröffnung. Die „Magic Group“ will den Besucherschwund mit Pop-up-Stores aufhalten. Die ersten sind bereits in Moskau und auch landesweit aktiv.

Auch Nachbarschafts­zentren sind betroffen

Die Shoppingcenter sind nicht die einzigen Einrichtungen, die sich neu erfinden müssen. Seit Jahren investiert die Investmentfirma ADG Group in die Sanierung alter sowjetischer Kinos, die es in jedem Stadtviertel gibt. Diese sollen, komplett entkernt und neugestaltet, zu Nachbarschaftszentren werden. Shopping, Freizeit, Bildung – all das direkt vor der Haustür, so die Idee. Insgesamt 39 dieser Sowjetkinos will die ADG Group bis 2024 eröffnen.
Mit dem Rückzug der großen US-amerikanischen Filmstudios stehen die Investoren jedoch vor einem Problem. Denn in 29 der neuen Nachbarschaftszentren sollen Kinos als Ankermieter einziehen.

Die machen allerdings ihren Umsatz zu 80 Prozent mit Hollywood-Streifen. Schnell kamen deshalb Meldungen auf, die Kinos könnten durch Fitnessstudios ersetzt werden. Waschbrettbauch statt Popcorn-Wampe also? Die Idee könne den Betreibern der Nachbarschaftszentren durchaus gefallen. Allerdings ziehen Fitnessstudios nicht so viele Menschen an wie Kinos, gibt Michail Wasiljew, Leiter der Abteilung Forschung und Consulting des Marktanalysten „Focus“, im „Kommersant“ zu bedenken. Bei der ADG Group hieß es zwar, dass man durchaus einzelne Konzepte überarbeite, an den Kinos wollte man aber festhalten.

Wie genau Moskaus Shoppingcenter in ein paar Monaten aussehen werden, bleibt abzuwarten. Eine Rückkehr in die 1990er wird es keinesfalls geben. Die Einkaufszentren sind mittlerweile etabliert und auch diversifiziert, ist der Vorsitzende der Rus­sischen Gilde der Geschäftsführer und Entwickler, Alexej Karawajew, überzeugt. Flohmärkte werden sicherlich keine Renaissance erleben.

Daniel Säwert

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