Aus dem Alltag eines Moskauer Taxifahrers

Nette und unverschämte Passagiere, 50 Euro Trinkgeld auf einmal und andere Geschichten: Der selbstständige Moskauer Taxifahrer Alexander Borejko schildert seinen erlebnisreichen Arbeitstag.

Alexander Borejko und sein Arbeitsplatz, ein Skoda Rapid (Foto: Privat)

6:45

Morgenroutine. Ich fülle den Fahrantrag für den heutigen Tag aus. Meiner Meinung nach ist das ein Relikt der Vergangenheit. Aber wenn du von der Verkehrspolizei kontrolliert wirst, dann ist der Fahrantrag eines der Papiere, nach denen du zuerst gefragt wirst. Dafür muss man gewappnet sein.

Wie alle anderen auch bin ich natürlich nicht immer Taxi gefahren. Aufgewachsen im belarussischen Gomel, habe ich eine Lehre zum Dreher und Fräser gemacht. Aber nach anderthalb Jahren in der Produktion war mir klar: Das ist nichts für mich. 2008 bin ich nach Moskau gezogen und nach diversen anderen Jobs vor drei Jahren im Taxigewerbe gelandet. Mir gefällt‘s. Ich bin selbstständig, arbeite direkt mit Yandex. Das Auto ist auch meins. Ein Skoda Rapid. Der zählt bei Yandex als Economy-Klasse.

7:00

Ich logge mich in meinen Account bei Yandex ein. Die Verifizierung schließt eine Gesichtskontrolle mit ein. Damit soll verhindert werden, dass sich ein anderer Fahrer deines Accounts bemächtigt und mit deiner Identität auf den Straßen unterwegs ist.

7:10

Ich nehme den ersten Auftrag des Tages an. Die Bestellungen wählen nicht wir Fahrer aus, sie werden von Yandex zugewiesen. Ich hoffe, dass ich nicht am frühen Morgen in einen der Vororte wie zum Beispiel Balaschicha oder Domodedowo fahren muss. Von dort kommt man wegen der morgendlichen Staus in Richtung Moskau anschließend ewig nicht weg. Das Beste sind um diese Tageszeit Fahrten innerhalb der Stadtbezirke, wobei die im Moskauer Westen zu bevorzugen sind. Dort sind die Leute wohlhabender als im eher proletarischen Osten. Dass sie eine Bestellung stornieren, ist eher selten.

7:45

Ich hole eine junge Frau vom Kurs­ker Bahnhof ab. Sie nimmt im Auto Platz und streckt mir einen Kaffee entgegen: „Ich habe mir gedacht, dass Sie vielleicht die ganze Nacht auf den Beinen waren, deshalb wollte ich Ihnen etwas Gutes tun.“ Bestimmt keine Moskauerin, vermute ich – und soll Recht behalten. Taxifahren schult die Menschenkenntnis. Aber viel davon braucht es gar nicht, um Leute zu erkennen, die nicht aus Moskau sind: Sie sind irgendwie gutmütiger und einfacher.

Dies ist ein Beitrag aus unserer Serie „Ein Tag im Leben von …“.

9:20

Auf der Pjatnizkaja-Straße nehme ich drei Italiener an Bord. Ihr russischer Begleiter nennt das Fahrtziel. Aus der Route, die Yandex dorthin ausspuckt, ergibt sich ein Preis von 300 Rubel (umgerechnet ca. 5,30 Euro). Ich schalte Celentano und Ramazzotti ein. Als wir uns der Zieladresse, dem Haus am Ufer, nähern, wiederhole ich noch einige Male auf Englisch: 300 Rubel. Als die Italiener aussteigen, drücken sie mir 3000 Rubel in die Hand und sind auf und davon. Ich versuche noch, sie aufzuhalten, rufe ihnen nach, dass sie mich falsch verstanden haben müssen, aber mich hört schon keiner mehr. Sagen wir es so: Das ist das fetteste Trinkgeld, das ich je bekommen habe.

11:10

Ich habe mir selbst eine Norm gesetzt, was ich am Tag verdient haben will, bevor ich Feierabend mache. Sie liegt bei 6000 Rubel (etwa 107 Euro). Die habe ich jetzt fast rein. Aber so, wie die finanzielle Lage bei mir im Moment ist, mache ich trotzdem bis zum Abend weiter. Als nächste Passagiere werden mir ein Vater und sein Kleinkind zugeteilt. Ich habe keinen Kindersitz und frage den Vater, warum er kein entsprechend ausgerüstetes Taxi angefordert hat, was einen Aufpreis von 150 Rubel bedeutet. Er antwortet ohne mit der Wimper zu zucken, dass er Polizist ist und wir deshalb keine Strafe zu befürchten hätten.

So etwas macht mich wirklich wütend. Es geht um die Sicherheit, nicht um Strafen. Wenn das Kind bei einem Unfall tödlich verletzt wird, nur weil es nicht im Kindersitz saß, dann droht mir als Fahrer eine Gefängnisstrafe. Aber vor allem wird das Kind nicht wieder lebendig, nur weil der Mann einen Polizeiausweis hat. Ihn scheint inzwischen schon das Gewissen zu quälen, denn er holt den Kindersitz aus seiner Wohnung.

13:00

Zeit fürs Mittagessen. Meist habe ich zu Hause etwas dafür eingepackt. Wenn eine Überlandtour ansteht oder schon absolviert ist, dann versuche ich es so einzurichten, dass ich irgendwo in der Natur anhalten kann, um einen Bissen zu essen. Wenn eine Bestellung die nächste jagt, dann nutze ich den erstbesten Stau dafür, etwas zu mir zu nehmen. 

14:40

Ein hungriger Passagier steigt ein. Er fragt, ob wir einen Zwischenstopp bei McDrive einlegen können – oder eben „Wkusno i totschka“, wie das jetzt heißt. Ob er mich einladen dürfe, will er wissen. Ich lehne dankend ab, bin kein Freund dieses Fast Foods.

18:40

Ich muss ein Notebook zurückgeben. Eine Frau hat es auf der Rückbank vergessen, als ich sie nach Tula brachte. Das übrige Gepäck war im Kofferraum verstaut. An das Notebook hat sie nicht mehr gedacht. Ich habe einen Treffpunkt mit ihrem Sohn in Moskau ausgemacht, um ihm das Gerät auszuhändigen. Bei mir im Auto liegengebliebene Gegenstände kehren immer zu ihren Besitzern zurück. Alles andere wäre nicht gut fürs Karma.

20:15

Yandex zeigt nicht immer den Endpunkt einer Fahrt an, solange man noch auf dem Weg zu einem Passagier ist. Als ich den Kunden erreiche, sehe ich: Es soll nach Balaschicha gehen. Oh nein, sage ich mir, das muss kurz vor dem Feierabend wirklich nicht sein, dass ich womöglich noch Stunden im Stau verbringe. Ich storniere den Auftrag und versuche, dem Kunden die Gründe zu erklären. Es ist ein dunkelhäutiger Mann, der offenbar weder Russisch noch Englisch versteht. Gut möglich, dass er mich jetzt für einen Rassisten hält.

21:30

Meine letzte Passagierin für heute ist geschätzt um die 30. Erst möchte sie das Radio lauter gedreht haben, dann soll ich ein paar Mal den Sender wechseln. Schließlich ändert sie mehrfach die Richtung, was für mich überhaupt keinen Sinn ergibt, denn Yandex vergütet meine Arbeit auf Basis der ursprünglichen Route. Aber die Frau ist für irgendwelche Argumente nicht zugänglich. Stattdessen steckt sie sich eine Zigarette an. Alles hat seine Grenzen. Ich setze sie auf der Moskauer Ring­autobahn an die Luft. Vielleicht ist ihr wenigstens das eine Lehre.

22:10

Endlich zu Hause. Morgen muss ich wieder früh raus, obwohl ich einen freien Tag habe. Meine Frau wartet schon auf unserer Datscha in Luchowizy südöstlich von Moskau auf mich. Ich träume davon, irgendwann ganz dorthin umzuziehen, raus aufs Land. Das Taxifahren rentiert sich dort nicht, aber ich finde sicher eine andere Arbeit.

Aufgeschrieben von Anna Braschnikowa

Eine Taxifahrt mit der „russischen Mafia“

Einmal, berichtet Alexander Borej­ko, habe er einen Deutschen in seinem Taxi gehabt. „Er hieß Max, wenn mich die Erinnerung nicht trügt. Ich habe immer eine Pistole dabei, sie liegt bei mir im Handschuhfach. Wir kommen also ins Gespräch, er spricht gut Russisch, da frage ich ihn doch: Willst du nicht ein wenig rumballern? Er sagt: Das darf man doch gar nicht. Da habe ich so richtig dick aufgetragen: Das ist Russland, hier gibt es immer mal eine Schießerei. Letztlich hat er sich darauf eingelassen.

In der Nähe vom Flughafen Scheremetjewo haben wir angehalten, da ist freies Feld. Er hat geschossen und war einfach happy, ich habe ihn mit der Kamera gefilmt, damit er hinterher etwas zum Posten in den sozialen Netzwerken hat. Ich zu ihm: Jetzt kannst du allen erzählen, dass du in Russland mit Gangstern zusammen warst, mit der russischen Mafia. Er zu mir: Diesen Tag werde ich nie vergessen. Vielleicht liest er ja Ihre Zeitung und erkennt sich wieder. Das war im Jahr 2019.“

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